Das Gebäude des ehemaligen Gasthauses Löwen in Tuningen wird demnächst abgebrochen. Foto: Klaiber Foto: Schwarzwälder Bote

Historisches: Das Gasthaus Löwen und seine Geschichte / Vor 200 Jahren besorgte Blicke auf Schindeldach

Vermutlich erfuhr das ehemalige Gasthaus Löwen in Tuningen seit 200 Jahren nicht so viel Aufmerksamkeit wie derzeit, kurz vor seinem Abbruch. Zuletzt war es die Hauptübung der Feuerwehr, die den Blick der Zuschauer auf den ehemaligen Löwen lenkte.

Tuningen. Vor 200 Jahren schauten die Tuninger Einwohner auch hinauf, damals auf das Schindeldach des Löwen. Aus dem Kamin sprühten Funken. Es blies ein starker Wind. Wieder drohte ein Großbrand, wie der, der 68 Jahre zuvor ein Drittel des Dorfes, damals 54 Häuser und 85 Haushaltungen, in Schutt und Asche legte. Seinerzeit wurden 20 Personen verletzt. Ein Kind verbrannte auf der Straße.

Wie besorgt waren die Bewohner von Tuningen, als der Löwen brannte. Was wäre geschehen, wenn am 21. Februar 1818 das Schindeldach des Löwen in Brand geraten wäre? Eine organisierte Feuerwehr gab es damals nicht. Alle Dorfbewohner mussten beim Löschen eines Brandes helfen. Aber bei einem Kaminbrand? Niemand wollte aufs Dach, bis schließlich der Schmied bereit war. Er deckte den feuerspeienden Kamin mit nassen Tüchern zu und rettete vielen Tuningern ihr Haus. Vosseler, der Schmied, war ein Held. Am 9. März 1818 erhielt er für seine tapfere Tat eine Prämie von 20 Gulden. Der Löwen blieb damals stehen. Er brannte auch 1860 bei der größten Tuninger Brandkatastrophe nicht ab.

Nun, im Jahr 2019, sind seine Tage gezählt. Das Haus ist rund 260 Jahre alt, und seit etwa 120 Jahren wurde in diesen vier Wänden keine Gaststätte mehr betrieben. Im Brandjahr 1818 hieß der Gastwirt Kohler. Nach ihm bewirtschaftete Johann Georg Benzing den Löwen. Sein Vater stammte aus Schwenningen, seine Mutter war eine Tuningerin. Die Schwenninger Vorfahren trieben mehrere Generationen lang den Mönchhof als Lehen um.

In Tuningen gab es im 19. Jahrhundert vier Brauereien mit Gasthäusern. Die Brauereien beschäftigten auch Personal von auswärts. Manche Biersieder kamen von Aldingen und von Talheim. Sie blieben vor Ort und heirateten Tuninger Mädchen. Die Löwenwirte betrieben keine Brauerei. Vermutlich handelte es sich um eine Schildwirtschaft, von denen es mehrere in Tuningen gab. Eine Schildwirtschaft war ein Bewirtungs- und Beherbergungsbetrieb mit Pferdestall, für Reisende mit Pferd.

Im Jahr 1816, nur zwei Jahre vor dem gefährlichen Kaminbrand, gab es keinen Sommer. Das Jahr ohne Sommer brachte schwere Ausfälle in der Landwirtschaft. Ursache war der im April 1815 erfolgte Ausbruch des Vulkans Tambora, auf der indonesischen Insel Sumbawa. Eine riesige Aschewolke trieb um die Erde und verdunkelte die Sonne. Zahlreiche europäische Staaten erlebten im Jahr 1816 Ernteausfälle, Hungersnöte und Wirtschaftskrisen. Im Königreich Württemberg, das von der Klimakatastrophe besonders schwer getroffen wurde, stifteten König Wilhelm I. und seine Frau Katharina das "landwirtschaftliche Fest zu Cannstatt", aus dem das Cannstatter Volksfest wurde. Die Königin beschaffte für die Hungernden Nahrungsmittel und Kleidung. Sie finanzierte das zum Teil aus ihrer eigenen russischen Mitgift. Auch ihr Bruder, Zar Alexander I., linderte mit Getreidelieferungen die Not in Württemberg.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschah in Tuningen eine geistliche Erweckung. Nach dem zweiten großen Brand im August 1860, der wieder unsagbar viel Not mit sich brachte, bildeten sich drei christliche Gemeinschaften. Sie hatten großen Zulauf. Durch die Erweckung wurde der Pietismus im Ort gestärkt. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gaben einige Wirte in Tuningen ihre Gaststätten auf, auch die Nachkommen des Löwenwirts Johann Georg Benzing. Der Tuninger Löwen hatte seine Geschichte.

Demnächst wird nicht nur ein altes Haus abgebrochen, das für die Vergrößerung des Feuerwehrhauses weichen muss. Mit dem Abbruch des Löwen endet auch ein Stück vom alten Tuningen.