Gleich pikst es: Joanna Fietz injiziert einem Siebenschläfer mit einer Hohlnadel einen Chip unter die Haut. Foto: StN

Joanna Fietz von der Uni Hohenheim untersucht, ob Umweltveränderungen für Kleinsäuger Stress bedeuten

Stuttgart - „Auf die Schläfer haben wir einen guten Zugriff“, sagt Joanna Fietz und meint damit keineswegs bärtige Islamisten, kahlrasierte Rechte oder Spione, die auf ihren Einsatzbefehl warten. Die 44-Jährige ist nicht vom Verfassungsschutz, sondern die habilitierte Zoologin widmet sich in ihrer Grundlagenforschung einer Gruppe von Kleinsäugern, die Schläfer oder Bilche genannt werden. Zu diesen nachtaktiven Nagetieren zählen Siebenschläfer, Gartenschläfer und Haselmaus.

Wer sich in der Freilandforschung mit Siebenschläfern beschäftigt, muss morgens früh raus. Der Tag will genutzt sein, denn die Saison ist kurz. Siebenschläfer halten in Bodenhöhlen von Anfang September bis Ende Mai Winterschlaf. Das sind nicht sieben, sondern acht bis neun Monate.

Schon morgens ist Joanna Fietz, die nach einem Biologie-Studium in Tübingen am Primatenzentrum Göttingen über seltene winterschlafende Halbaffen auf Madagaskar promoviert hat, mit dem Doktoranden Franz Langer und der Studentin Constanze Franke in einem Waldstück des Schönbuchs nahe Tübingen unterwegs. Hier wurden vor Jahrzehnten auf einer Fläche von zwölf Hektar für ein Vogelforschungsprojekt in einem gleichmäßigen Raster 120 Nistkästen aufgehängt. Heute haben dort 40 bis 50 erwachsene Siebenschläfer ihr Sommerquartier, nachdem Kohlmeise und Kleiber ihre Bruten beendet haben. Weil die Schläfer darin den Tag verdösen, haben es die Forscher mit dem Zugriff leicht.

In Japan ist manche Straße speziell für Siebenschläfer mit Seilen überspannt

Weniger leicht haben es kleine Säugetiere wie die Bilche heutzutage im Wald. Straßen durchschneiden ihren Lebensraum. Wenn sie nicht von Baumwipfel zu Baumwipfel springen können, werden Verkehrsschneisen zu fast unüberwindlichen Hindernissen. Denn aufs offene Gelände wagen sich die Schläfer ungern. Nicht wegen der Autos, sondern wegen der nächtlichen Jäger wie Eulen und Waldkäuzen.

Anders als in Japan, wo manche Straße speziell für Siebenschläfer mit Seilen überspannt ist, wird hierzulande ihr Lebensraum durch Straßen immer mehr zerstückelt. Eine „Fragmentierung der Landschaft“, nennt das Joanna Fietz und spricht von der Bildung von „Habitatinseln“.

Diese Inseln sind nur auf dem ersten Blick Inseln der Seligen. Außer im Schönbuch, den die Zoologin als relativ großflächiges und weitgehend intaktes Waldgebiet zu Vergleichszwecken untersucht, arbeiten sie und ihr Team auch in vier Waldarealen nahe Ulm, die durch umliegende Felder, Straßen und Bahnstrecken isoliert liegen. „Dort sind die Siebenschläfer dicker, größer und zahlreicher als normal“, heißt eines der ersten Untersuchungsergebnisse. Dabei wäre doch eigentlich in einer Inselsituation durch Inzucht eine genau gegensätzliche Entwicklung zu erwarten. „Warum das anders ist, das ist die große Frage“, sagt Fietz. Eine erste Arbeitsthese lautet: Eulen und Waldkäuze sind in den isolierten Waldstücken seltener vorhanden.

Doch Thesen und Vermutungen müssen in der modernen Wissenschaft durch harte Fakten und Messdaten bestätigt oder widerlegt werden. Wirken sich diese Umweltveränderungen tatsächlich messbar auf Siebenschläfer und andere Bilche aus? Sind die Tiere in isolierten Waldinseln auf längere Sicht auf gefährdetem oder gar verlorenem Posten? Wie ist der Gesundheitszustand der Tiere in den verschiedenen Untersuchungsgebieten? Wie wirkt sich zum Beispiel Stress auf ihr Immunsystem aus? Gibt es Unterschiede im Erbgut? Sind die Stoffwechselaktivitäten verändert?

Mit Hilfe der Chips unter der Haut können die Forscher jedes Tier eindeutig identifizieren

Zur Beantwortung dieser Frage „stehen uns inzwischen sehr gute Messinstrumente zur Verfügung, die es uns ermöglichen, zahlreiche Parameter im Freiland und nicht im Labor zu messen“, sagt Fietz und zeigt auf eine Hohlnadel, mit der sie einem Siebenschläfer einen kleinen Chip unter die Haut injiziert.

Während dieser Prozedur hält das nur 93 Gramm schwere Tierchen, das in einem Nistkasten aufgespürt wurde, still. Ein Siebenschläfer mag keinen Schmerz kennen. Bei den Wissenschaftlern ist es anders. Denn Bilche können kräftig zubeißen; vor allem Weibchen mit Jungen. Doktorand Franz Langer fasst Siebenschläfer deshalb nur mit dicken Handschuhen an.

Mit Hilfe der Chips unter der Haut können die Forscher jedes Tier eindeutig identifizieren. Kaum ist der zweite Chip, der minutengenaue Daten über die Körpertemperatur liefert, unter der Haut platziert, wird der Siebenschläfer entlassen und schlupft blitzschnell zurück in seinen Nistkasten.

Gelegentlich geraten die Wissenschaftlern im Schönbuch selbst in Stress

Genau dort wollen ihn die Wissenschaftler haben. Denn der Nistkasten kann mit ein paar Handgriffen zu einer Stoffwechselbox umgebaut werden. Joanna Fietz klettert auf eine Leiter und dichtet die Klappe des Nistkastens mit Knetmasse ab, die aus den Vorräten ihrer beiden Kinder stammt. Atemluft kann nur noch über das Schlupfloch einströmen. Die verbrauchte Luft wird über einen Schlauch abgesaugt und ihr Sauerstoffgehalt über mehrerer Stunden automatisch gemessen. „Uns interessiert das Energiebudget der Tiere“, beschreibt Joanna Fietz die Absicht des Experiments. Aus dem Energieverbrauch wiederum lassen sich Hinweise auf die Folgen von Stress durch Umwelteinflüsse ableiten.

Gelegentlich geraten die Wissenschaftlern im Schönbuch selbst in Stress. Ursachen sind auch bei ihnen meist Umwelteinflüsse, wie zum Beispiel die häufigen sommerlichen Regenschauer. „Gelegentlich beißt auch mal eine Rötelmaus ein Loch in den Luftschlauch“, erzählt Joanna Fietz.

Ärgerlich aber ist es, wenn die Wissenschaftler selbst ganz tief im Wald Opfer von Langfingern werden. „Uns sind schon Leitern abhanden gekommen“, sagt Fietz. Inzwischen wird das Arbeitsgerät mit Ketten und Vorhängeschlössern gesichert. Damit der unerlaubte Zugriff nicht zu leicht ist.