Auch in Tübingen werden Tierversuche an Affen durchgeführt. (Archivfoto) Foto: Marijan Murat/dpa

Am 24. April ist internationaler Tag zur Abschaffung von Tierversuchen. Dies nehmen wir zum Anlass, auf eine Einrichtung zu blicken, in der viele Tierversuche durchgeführt werden: die Eberhard Karls Universität Tübingen.

Tierschützer sehen die Tierversuche in Tübingen kritisch – so auch der Verein „Ärzte gegen Tierversuche“, der sich seit 1979 für eine tierversuchsfreie Forschung einsetzt. Besonders durch die Versuche an Affen würde sich die Universität Tübingen von anderen Einrichtungen, die an Tieren forschen, abheben, erklärt Julia Radzwill. Sie ist Diplom-Biologin und als Wissenschaftliche Referentin bei dem Verein angestellt. Natürlich werde auch in anderen Instituten in Deutschland an Affen geforscht, weiß Radzwill: „Aber nicht in vielen.“

Sie sieht Versuche an Affen generell kritisch: „Zum einen werden Affen oft über viele Jahre immer wieder für Tierversuche benutzt, während andere Tiere, wie beispielsweise Mäuse, nicht lange leben, beziehungsweise immer wieder nachgezüchtet werden“, erklärt die Diplom-Biologin. Zum anderen werde bei Affen zunächst durch eine Operation die Schädeldecke geöffnet, um ihnen eine Kopfhalterung einzusetzen, mit welcher sie später für die Tierversuche an sogenannten Primatenstühlen fixiert werden könnten, erklärt sie weiter. „Von dieser Kopfhalterung aus werden für einige Versuche Elektroden ins Gehirn geführt, um bestimmte Nervensignale aufzuzeichnen. Und das ist im Prinzip eine permanente Wunde, die dadurch entsteht.“

Max-Planck-Institut stellte Forschung ein

Nicht die Uni Tübingen, aber eine andere Einrichtung der Neckarstadt war zuletzt wegen der Forschung an Affen in Skandale verwickelt: das Max-Planck-Institut. Die Affenversuche in den Laboren des Institutes waren äußerst umstritten. Zuletzt schlug 2022 ein Obduktionsbericht aus dem Jahr 2009 Wellen. Aus diesem geht nach Überzeugung der Tierschützer hervor, dass die Tiere bei Hirnversuchen in der außeruniversitären Einrichtung schwerstes Leid erlitten und die Behörden, denen dieser Obduktionsbericht vorlag, nichts dagegen unternahmen. „Das wurde totgeschwiegen, obwohl da schwerstes Leid belegt wurde. Deshalb haben wir uns auch auf Affenversuche konzentriert. Weil das besonders leidvolle Versuche sind, die immer wieder gemacht werden“, meint Radzwill. Das Max-Planck-Institut hatte die Versuche mit Affen 2017 eingestellt.

Verein kritisiert jegliche Tierversuche

Der Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ lehnt allerdings nicht nur Versuche an Affen, sondern an jeglichen Tieren ab. „Nicht nur aus ethischen, sondern vor allem aus wissenschaftlichen Gründen“, lässt die Diplom-Biologin wissen. Tierversuche könne man nicht prospektiv auf den Menschen übertragen, so ihre Überzeugung. „Es gibt zwar bestimmte Bereiche, wo Tiere und Menschen ähnlich reagieren. Aber man weiß erst wie der Mensch reagiert, wenn man etwas am Mensch getestet hat.“ Die Medikamentenentwicklung sei dafür ein gutes Beispiel: „Da ist es so, dass erstmal Tierversuche gemacht werden und man schaut, ob das Medikament sicher und wirksam ist. Wenn das bei Tieren der Fall ist, werden die klinischen Studien am Menschen geplant.“

Die wissenschaftliche Referentin kritisiert: Neun von zehn Medikamente kommen im Schnitt nach den Studien an Menschen gar nicht auf den Markt. „Und der Hauptgrund dafür ist die Falschaussage durch den Tierversuch“, so Radzwills Überzeugung. Natürlich gebe es auch andere Gründe, weshalb die Zulassung eines Medikaments scheitere. Doch meist liege es daran, dass das Medikament Nebenwirkungen bei den Menschen verursache oder die Krankheit nicht bekämpft, so Radzwill: „Da Publikationen zur Übertragbarkeit nicht so zahlreich sind, genießen Tierversuche unverdient einen guten Ruf. Solche Publikationen sind aber auch meist nicht gewollt. Inzwischen erkennen aber immer mehr Forscher diese Problematik an und daher mehren sich die Belege.“

Tierversuche gehen zurück

Zurück zur Forschung an der Universität Tübingen: Dort wurden 2023 laut Pressesprecherin Antje Karbe 17.966 Wirbeltiere (Vorjahr: 18.402) in Versuchen eingesetzt oder ohne vorherigen Eingriff getötet. Außerdem wurde dort im vergangenen Jahr an 564 laufenden Projekten (Vorjahr: 564) mit Tierversuchen geforscht. Deutlich ist hier die Tendenz: In den vergangenen sieben Jahren gab es an der Uni jedes Jahr weniger Projekte mit Tierversuchen und es wurden weniger Tiere eingesetzt. 2016 wurden noch 33.825 Tiere verwendet - 2023 waren es rund 16.000 Tiere weniger. Die Zahl hat sich demnach innerhalb von sieben Jahren halbiert.

Laut Website der Uni werden für Experimenten derzeit Mäuse, Ratten, Zebrafische und eine niedrige zweistellige Zahl von Affen eingesetzt. Mäuse machen laut der Website den größten Teil der Tiere aus. „Wie üblich – und wie auch vom Gesetzgeber vorgeschrieben – werden höher entwickelte Tiere wie Primaten nur dann in Experimenten eingesetzt, wenn Mäuse oder andere Tiere mit niedrigerem Entwicklungsniveau nicht ausreichen, weil ihre Gehirne nicht die erforderliche Struktur oder Fähigkeiten haben“, heißt es.

Uni-Pressesprecherin bezeichnet Tierversuche als „unverzichtbar“

Pressesprecherin Karbe begründet die Forschung mit Versuchstieren an der Uni Tübingen: „Um die drängenden Fragen in der Forschung beantworten zu können, ist es notwendig, aus einer Vielzahl von Methoden diejenigen auswählen zu können, die valide Erkenntnisse zur Beantwortung der Fragestellung liefern. Neben Ersatzmethoden sind auch Tierversuche ein unverzichtbarer Teil dieses Methodenspektrums.“ Tierversuche finden an der Uni laut Karbe beispielsweise in der Tumorforschung statt, um neue Ansatzpunkte für Therapien zu finden, um Therapien zu verbessern und zu ergänzen. Außerdem seien in der mikrobiologischen Forschung Tierversuche „unerlässlich, um Infektionen zu bekämpfen sowie um die Auswirkungen des Mikrobioms auf den Organismus aufzuklären“. Auch in der Neurobiologie werden laut der Sprecherin Tierversuche durchgeführt - mit dem Ziel, die Informationsverarbeitung im Gehirn zu verstehen. Als weitere Forschungsschwerpunkte, bei denen Tierversuche durchgeführt werden, nennt Karbe: neurologischen Fragestellungen, immunologischen Fragestellungen sowie die Verbesserungen in der bildgebenden Diagnostik.

Affen nehmen laut Uni freiwillig an Versuchen teil

Zur Kritik des Vereins „Ärzte gegen Tierversuche“ an den Versuchen mit Affen erklärt Pressesprecherin Antje Karbe: Die Haltung der Tiere erfolgt „unter Berücksichtigung aller Bestimmungen des Tierschutzrechts und internationaler Übereinkommen“. Die Einhaltung der Auflagen werde regelmäßig überprüft.

Auf der Uni-Website heißt es zudem, dass das Training von Rhesusaffen nach einem Ansatz auf der Basis von positivem Feedback (Belohnungen) erfolgt. Freiwillige Teilnahme der Labortiere sei der erste Teil des Trainings und werde oft schnell erreicht. So würden die Affen zum Beispiel lernen, sich selbst in den Primatenstuhl zu setzen. Das sei nicht nur für das Wohlbefinden der Tiere wichtig, sondern auch für die wissenschaftlichen Ergebnisse. So würden sich Tiere unter Stress anders verhalten als freiwillig teilnehmende Versuchstiere.

Zum Thema „Übertragbarkeit von Tierversuchen auf den Menschen“ verweist Karbe auf ein Faktenblatt der wissenschaftlichen Informationsinitiative „Tierversuche verstehen“. Die Initiative erklärt im Internet, dass es zwar stimme, dass ungefähr 92 Prozent der in Tierversuchen getesteten neuen Medikamente nie für Menschen zugelassen werden. Diese Zahl sei „allerdings kein Maß dafür, wie gut sich Ergebnisse aus Tierversuchen auf Menschen übertragen lassen“. So würden bei der Berechnung wichtige Gründe und Hintergrundinformationen außer Acht gelassen, die für das Scheitern neuer Wirkstoffe verantwortlich sind.

Zahl der Versuchstiere sinkt deutschlandweit

Offizielle Zahlen zeigen derweil einen deutschlandweiten Abwärtstrend beim Einsatz von Versuchstieren. „Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl der in Deutschland verwendeten Versuchstiere im Jahr 2022 um etwa sieben Prozent“, berichtete das Bundesinstitut für Risikobewertung (BFR) im Dezember 2023 in einer Pressemitteilung. Damit sei die Zahl der Versuchstiere das dritte Jahr in Folge gesunken, heißt es. „Eine der möglichen Ursachen ist, dass sich Ersatzmethoden und Reduktionsmaßnahmen allmählich durchsetzen“, wird BFR-Präsident Andreas Hensel zitiert. Zum BFR gehört das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren.

Laut des Bundesinstituts wurden 2022 insgesamt 1,73 Millionen Wirbeltiere und Kopffüßer in Tierversuchen eingesetzt. Das seien rund 134.000 Tiere weniger als im Jahr 2021. Bei rund 79 Prozent der eingesetzten Versuchstiere handelte es sich laut BFR um Mäuse und Ratten. Bei diesen Tieren sowie bei Ratten und Fischen sei die Zahl der Versuchstiere zuletzt gesunken. Auch wurden weniger Katzen eingesetzt, so die Bilanz des BFR. Allerdings seien 2022 im Vergleich zum Vorjahr wieder mehr Hunde verwendet worden. Hunde und Katzen werden insbesondere zur Erforschung von Tierkrankheiten sowie für gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen von Tier- und Humanarzneimitteln benötigt, berichtet das Institut.

Anstieg bei der Verwendung von Affen

Neben Hunden gab es in Deutschland zuletzt auch einen Anstieg bei der Verwendung von Kaninchen, Vögeln sowie Affen und Halbaffen. So wurden laut BFR 2022 mit 2204 Affen und Halbaffen Versuche durchgeführt - 2021 waren es 1886 Tiere. „Affen werden insbesondere für gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen von Humanarzneimitteln eingesetzt“, erklärt das Institut.

Die Belastung für die Versuchstiere ließ sich 2022 laut BFR vorwiegend als gering einstufen (66,3 Prozent). Das BFR geht in der Pressemitteilung auch auf die Zahl der Tiere ein, die für wissenschaftliche Zwecke getötet wurden - beispielsweise, um deren Organe oder Gewebe für Zellkulturen zu verwenden. Ihre Zahl (711.939) sei im Jahr 2022 im Vergleich zum Jahr 2021 (644.132) um rund elf Prozent deutlich angestiegen.

Aktionstag in Tübingen geplant

Anlässlich des Tags zur Abschaffung von Tierversuchen ist in Tübingen eine Aktion geplant. „Am Haagtorplatz gibt es am Samstag, 27. April, von 10 bis 18 Uhr einen Info-Stand. Der wird vom Verein ’Act for Animals’ organisiert“, berichtet Julia Radzwill. In Rottenburg soll es am gleichen Tag von 10 bis 13 Uhr in der Sprollstraße eine „Ampelaktion“ und ebenfalls einen Infostand geben. Organisiert wird das von den Vereinen „Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg“ und „Rottenburg Animal Save“. Aber auch in vielen anderen Städten in ganz Deutschland soll es in den kommenden Tagen solche Aktionen geben, die über die Forschung an Tieren informieren.

Zahlen des Bundesinstituts für Risikobewertung

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BFR) ist laut Website eine wissenschaftlich unabhängige Einrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Es berät laut Pressemitteilung die Bundesregierung und die Bundesländer zu Fragen der Lebensmittel-, Chemikalien- und Produktsicherheit.

Das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren wurde im Jahr 2015 gegründet und gehört zum BFR. Es koordiniert laut Selbstbeschreibung bundesweite Aktivitäten mit den Zielen, Tierversuche auf das unerlässliche Maß zu beschränken und Versuchstieren den bestmöglichen Schutz zu gewährleisten. Darüber hinaus hat es zum Ziel, weltweit Forschungsaktivitäten anzuregen und wissenschaftliche Dialog zu fördern.