Die Entführung von Schulmädchen durch die Terrorgruppe Boko Haram hat weltweit Proteste ausgelöst. Foto: dpa

Vier Wochen nach der Entführung von Hunderten Mädchen in Nigeria gibt es für die Eltern erstmals Hoffnung: Die Islamisten veröffentlichen ein Video, in dem die Mädchen zu sehen sind.  

Johannesburg/Abuja - Einen Monat nach der Massenentführung von mehr als 200 Schülerinnen in Nordnigeria hat die islamistische Terrorgruppe Boko Haram ihre Geiseln erstmals in einem Video gezeigt. Der britische Sender BBC zeigte am Montag Videosequenzen mit den Mädchen. Sie sitzen auf dem Boden, tragen muslimische Gewänder und rezitieren Verse aus dem Koran. Der Chef der Boko Haram, Abubakar Shekau, erklärte, viele der überwiegend christlich erzogenen Geiseln seien zum Islam konvertiert.

Boko Haram machte am Montag deutlich, dass sie wegen der entführten Mädchen möglicherweise zu Verhandlungen mit der Regierung in Abuja bereit ist. Shekau sagte, die Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren würden freigelassen, wenn die Behörden alle inhaftierten Boko-Haram-Mitglieder aus dem Gefängnis entlassen. Eine Reaktion von Präsident Goodluck Jonathan gab es zunächst nicht.

Die Mädchen waren Mitte April aus einer Schule in dem Ort Chibok im Bundesstaat Borno verschleppt worden. Seither fehlt von ihnen jede Spur. In einem ersten Bekennervideo hatte Shekau in der vergangenen Woche erklärt, er werde die Geiseln als Sklavinnen verkaufen. Daraufhin hatten die USA, Großbritannien, Frankreich und am Wochenende auch Israel ihre Hilfe bei der Suche nach den Vermissten angeboten.

Für die nächsten Tage gemeinsamer Militäreinsatz geplant

Nach einem Bericht der Zeitung „Punch“ gab es am Wochenende ein Treffen der ausländischen Teams mit Experten des nigerianischen Verteidigungsministeriums. Demnach ist für die nächsten Tage ein gemeinsamer Militäreinsatz geplant. Unter anderem sollen Geheimdienstinformationen genutzt und Drohnen und Techniken zum Durchleuchten von Gebäuden eingesetzt werden. Die Entsendung von Truppen hatten Washington und London aber ausgeschlossen.

Derweil gibt es nach Angaben des Gouverneurs von Borno, Kashim Shettima, erstmals Hinweise auf den Aufenthaltsort der Geiseln. Laut „Punch“ seien die Informationen an das Militär weitergeleitet worden, die diese nun verifizieren sollen. Lange wurde vermutet, dass die Kidnapper sich mit den Mädchen im dichten Sambisa-Wald verstecken, wo die Boko Haram Camps unterhält. Jedoch gab es auch Berichte, wonach einige der Jugendlichen nach Kamerun und in die Zentralafrikanische Republik gebracht wurden.

Die Entführung bewegt seit Wochen die Weltgemeinschaft. Durch Internetkampagnen wurden Millionen Menschen mobilisiert, darunter auch Prominente wie die amerikanische First Lady Michelle Obama und die US-Schauspieler Sean Penn und Angelina Jolie. Michelle Obama übernahm sogar die wöchentliche Video-Ansprache ihres Mannes, um auf das Schicksal der Mädchen aufmerksam zu machen.

Die Extremisten wollen im muslimisch geprägten Norden Nigerias einen Gottesstaat einrichten. Immer wieder verüben sie blutige Anschläge. Die Gruppe hat inzwischen weite Teile der Region destabilisiert. Boko Haram setzt auch Sprengfallen, Panzerfäuste oder Schusswaffen ein. Ziele sind Polizei, Militär, Regierungsvertreter, Märkte, christliche und muslimische Geistliche, Banken, Schulen und Mobilfunkmasten.

Seit 2009 über 6000 Terroropfer

Dem Terror sind seit 2009 über 6000 Menschen zum Opfer gefallen. Viele der Getöteten waren Muslime. Wer nicht mit der Boko-Haram-Ideologie übereinstimmt, wird im Norden Nigerias schnell zum Mordopfer, selbst wenn er Muslim ist.

Dem Ziel, die Unfähigkeit des Staates in seiner Schutzfunktion zu beweisen, ordnet Shekau bei seinem Kampf für die Bildung eines Gottesstaats alles unter. Er behauptet, auf Allahs Befehl hin zu handeln, mit ihm kommuniziere er direkt. Seine Anhänger müssen nach der Rekrutierung all ihre Habseligkeiten abgeben.

Lange nahm das Ausland die Bedrohung nicht ausreichend zur Kenntnis. Die Anschläge von Boko Haram, bei denen oft Hunderte Menschen starben, konzentrierten sich auf den strukturschwachen Nordosten – eine Region, in der seit über einem Jahr der Ausnahmezustand verhängt und der Zugang schwierig ist. In vielen Orten hat die Terrorsekte das Sagen, verlässliche Informationen über die Gegend sind rar.

Auch weil einflussreiche Lokalpolitiker und traditionelle Herrscher im Nordosten internationale Hilfe lange ablehnten, konnte sich Shekau eine veritable Machtbasis aufbauen. Inzwischen wurden immerhin zwei stärkere Einheiten der Armee in der Grenzregion zum Tschad, Kamerun und dem Niger stationiert. Sie sind besser ausgerüstet als die bisherigen Streitkräfte. Die Luftwaffe ist zuletzt mehr als 250 Aufklärungsflüge geflogen, Polizei und weitere Sicherheitskräfte kooperieren mit einer internationalen Einsatztruppe.

Der Schülerin Sarah Lawan (19), der bei der Entführungsaktion am 14. April die Flucht gelungen ist, bleiben nur die gemeinsamen Tränen mit den Müttern der verschleppten Töchter. Hätten ihre Mitschülerinnen des Internats doch nur den Mut aufbringen können, mit ihr wegzulaufen, sagte sie. So aber könne sie ihren Schmerz kaum beschreiben: „Er ist zu schlimm, um ihn in Worte zu fassen.“