Torhüter Sven Ulreich. Foto: Pressefoto Baumann

Vor dem Spiel beim FC Schalke 04 gibt sichVfB-Keeper Sven Ulreich angriffslustig – er fordert aber auch Geduld ein bei der Umsetzung der neuen Spielphilosophie.

Vor dem Spiel beim FC Schalke 04 gibt sichVfB-Keeper Sven Ulreich angriffslustig – er fordert aber auch Geduld ein bei der Umsetzung der neuen Spielphilosophie.
Stuttgart - Herr Ulreich, erlauben Sie eine hypothetische Frage: Stellen Sie sich vor, Sie wiegen 100 Kilogramm – was löst das in Ihnen aus?
100 Kilo kann ich mir gerade nicht wirklich vorstellen. Eine gewisse Muskelmasse braucht man als Torhüter, aber zu schwer sollte man aus meiner Sicht nicht sein.
Ex-Nationaltorhüter Tim Wiese ist ganz stolz darauf, dass er seit Januar sechs Kilo Muskelmasse auftrainiert hat. Mit 100 Kilo ist er jetzt der schwerste Spieler der Bundesliga.
Ich bin mit 1,92 Metern einen Zentimeter kleiner als er und wiege 86,5 Kilo. Das ist ideal für mich. Dann muss ich nicht so viele Kilos bewegen, wenn ich hochspringe. Es kommt darauf an, dass man explosiv in die Ecken kommt. Da ist zu viel Muskelmasse vielleicht sogar hinderlich.
So fällt jeder auf seine Art auf. Sie hatten zuletzt beim Spiel in Freiburg zwei Szenen, in denen sie wie der sterbende Schwan aussahen.
(Lacht) Das Freiburger Publikum mag mich nicht besonders. Das ist okay. Wenn ich weiß, dass das ganze Stadion gegen mich ist, macht mir der Fußball noch mehr Spaß.
Also haben Sie geschauspielert? Manche Fans haben Ihnen diese Szenen übelgenommen.
Klares Nein. Einmal lässt mein Gegenspieler den Ellbogen stehen und schrammt mir am Kiefer vorbei, das hat schon wehgetan. Beim anderen Mal habe ich mir den Ball zu weit vorgelegt, da tritt mir der Gegner auf den Fuß. Danach hatte ich zwei, drei Tage Schmerzen.
Früher hätten Sie da das nächste Spiel gehabt. Wie lebt es sich mit nur einem Wettbewerb?
Früher stand der Koffer immer griffbereit neben dem Bett, das ist jetzt anders. Aber ich vermisse die Spiele unter der Woche. Ich mag die Stimmung unter Flutlicht. Ich mag Spiele sowieso mehr als Training.
Mehr Training fördert die Leistung. Wo haben Sie Ihr Torwartspiel verbessert?
Wie ich schon bei den Kilos gesagt habe: Man muss sich wohlfühlen. So eine Phase habe ich jetzt. Mir hat meine Verletzungspause gut getan, da habe ich viel an der Explosivität und Ausdauer gearbeitet. Aber wenn man gut hält und verliert, ist man trotzdem enttäuscht.

"Brauchen noch mehr Konstanz im Spiel"

In den vergangenen Wochen hat der VfB viel zu viele Punkte liegengelassen. Woran liegt das?
Wir haben gute Ansätze und Phasen, in denen wir es richtig gut machen. Thomas Schneider und sein Trainerteam haben viel frischen Wind und neue Ideen gebracht, taktisch haben wir uns schon gut entwickelt. Aber wir brauchen noch mehr Konstanz im Spiel und weniger Ballverluste, gerade im Zentrum. Denn ansonsten läuft man in Konter, ist nicht mehr geordnet, und schon fällt ein Gegentor.
Wie lange soll das so gehen?
Ich sage, es wird noch ein paar Wochen und Monate dauern, bis sich die neue Spielphilosophie komplett eingeprägt hat. Aber wir haben es in den Spielen unter Thomas Schneider ja auch schon gezeigt, dass wir es können.
Monate? Wenn man euch Spieler hört, könnte man denken, ihr beginnt bei Null. Ist das so?
Unser Ziel muss es sein, über 90 Minuten und nicht nur phasenweise zu überzeugen. Wir wollen das in der Rückrunde hinbekommen – und dafür im Trainingslager die Automatismen verfeinern.
Die trainiert die Mannschaft doch schon lange.
Unter Thomas Schneider ist es schon ein wenig anders. Er legt zum Beispiel viel Wert darauf, dass die Ketten kompakter zueinander stehen, dass wir bei Balleroberung Fußball spielen und dass der erste Ball in die Tiefe gespielt wird. Wenn du davor weiter auseinandergestanden bist, steckt das in dir als Spieler. Das muss so in Fleisch und Blut übergehen, dass man nicht nachdenken muss, wie man sich richtig verhält.
Was hat sich für Sie unter Schneider verändert?
Er will, dass ich noch häufiger hinten raus spiele und den Ball nicht nur nach vorn schlage. In Bedrängnis ist das zwar auch nötig, aber gezielt. Andererseits habe ich schon immer die spielerische Lösung bevorzugt.
Das Problem war nur, dass Sie kaum Anspielstationen gefunden haben.
Der Trainer fordert, dass sich die Spieler noch mehr zeigen. Dann habe auch ich mehr Möglichkeiten in der Spieleröffnung. Deshalb mag es jetzt so aussehen, dass ich anders rausspiele, aber früher waren vielleicht nur weniger Anspielstationen da.
Ist das ein Beispiel für diesen langen Prozess?
Genau, es gibt zwei, drei Schwerpunkte, an denen wir länger arbeiten müssen. Das muss einfach in unsere Köpfe.
Der VfB hat viele Jahre hinter sich, die sportlich schwer waren. Bleibt da nicht irgendwann bei Ihnen der Spaß auf der Strecke?
Ich würde auch lieber konstant oben mitspielen. Aber natürlich haben wir alle Spaß am Fußball. Das treibt uns doch seit der Kindheit an. Aber bei aller Kritik sollten wir nicht vergessen, dass es in den letzten 15 Jahren nur zwei Mannschaften gab, die häufiger international gespielt haben als der VfB.

"Die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft sind gestellt"

Sie sind ein VfB-Junge. In Bernd Wahler hat der Verein einen neuen Präsidenten, in Thomas Schneider einen neuen Trainer, doch die Aufbruchstimmung von der Mitgliederversammlung ist dahin. Wofür steht der VfB eigentlich?
Der Präsident ist sympathisch und fachlich sehr gut, Thomas Schneider hat selbst beim VfB gespielt und in der Jugend erfolgreich trainiert, mit ihm ist die Identifikation sicher wieder größer. Die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft sind gestellt. Der VfB ist auf einem guten Weg, aber es braucht Zeit.
Was ist denn der VfB-Weg?
Der VfB sollte möglichst regelmäßig international spielen, da gehört ein Traditionsverein wie der VfB einfach hin. Und er muss auch darauf schauen, dass viele eigene Talente zu den Profis hochkommen.
Ein Timo Werner wird nicht jeden Tag geboren.
Seine Entwicklung ist doch sehr erfreulich. Freuen wir uns doch erst einmal darüber. Der VfB kann aber noch mehr Typen wie ihn gebrauchen.
Hat er die denn?
In den Länderspielpausen trainieren Spieler aus dem Nachwuchs mit uns, da sieht man schon, dass bei dem einen oder anderen Potenzial vorhanden ist und dass Talente nachkommen. Der Trainer legt ja auch viel Wert darauf, junge Spieler einzubinden. Das ist ein gutes Zeichen.
Haben Sie Tipps für Timo Werner?
Wenn er eine Frage hat, kann er immer gerne kommen. Aber er braucht wenig Hilfe. Für sein Alter ist er schon sehr reif. Und er hat ein gutes Elternhaus. Er soll einfach seine junge, dynamische Art beibehalten. Dann steht ihm eine große Zukunft bevor.
Ihre Zukunft soll Sie irgendwann in die Nationalmannschaft bringen. Jetzt haben Sie auch noch Roman Weidenfeller vor der Nase.
Mich freut es für ihn, er hat sich das durch konstant gute Leistungen verdient.
Bundestorwarttrainer Andreas Köpke sagt, er sehe hinter den etablierten Torhütern drei, vier andere, die auf gleichem Niveau spielen. Da dürfen Sie sich angesprochen fühlen.
Ich möchte einfach mit dem VfB erfolgreich sein. Das Beispiel Roman Weidenfeller zeigt mir: Wer sich immer weiter verbessert, wird irgendwann belohnt.
Die WM 2014 haben Sie aber abgehakt?
Ich bin gerade schon dabei, meinen Sommerurlaub zu organisieren. Für Juni habe sogar schon meine Hochzeit geplant. Ich habe also gar keine Zeit für die WM (lacht). Nein – Spaß!
 

VfB-App