Nora Kühnlein als "kunstseidenes Mädchen" Doris auf der Bühne vor dem Wasserschloss Glatt.Foto: Beyer Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Das Rottweiler Zimmertheater überzeugt bei Gastspiel in Glatt mit "Das kunstseidene Mädchen"

Das Zimmertheater aus Rottweil hat am Sonntag vor dem Wasserschloss in Glatt das Ein-Personen-Stück "Das kunstseidene Mädchen", basierend auf dem Roman von Irmgard Keun, aufgeführt.

Sulz-Glatt. Trotz Einbruch der Dämmerung ist es noch immer warm, die Grillen zirpen laut und das Wasserschloss bietet einen märchenhaften Hintergrund. Doch märchenhaft ist das Stück nicht, welches das Zimmertheater als Gastspiel in Glatt auf die Bühne bringt.

"Das kunstseidene Mädchen" handelt von einer jungen Frau namens Doris, die davon träumt, berühmt und wohlhabend zu werden. Zunächst versucht sie ihr Glück als Statistin am Theater. Nach einer gescheiterten Affäre stiehlt sie einen Pelzmantel und flieht nach Berlin. Durch Beziehungen mit verschiedenen Männern bemüht sie sich, gesellschaftlich aufzusteigen, was ihr aber immer wieder misslingt. All dies spielt sich vor dem Hintergrund der politisch turbulenten frühen 30er-Jahre ab.

Von dieser Handlung bekommt man als Zuschauer aber nichts zu sehen. Nora Kühnlein steht als Protagonistin Doris allein auf der Bühne, ohne Möglichkeit, mit anderen Figuren zu interagieren. Stattdessen erzählt sie von ihrem turbulenten Leben und den zahlreichen glücklosen Beziehungen. Das Publikum wird hier ins Vertrauen gezogen, kann sich bald wie eine Freundin von Doris fühlen.

Dies ist vor allem dem überzeugenden Schauspiel Kühnleins zu verdanken. Zu Beginn rauscht sie auf die Bühne, singt lauthals "Das ist die Liebe der Matrosen", schwärmt, träumt und verkündet aufgedreht: "Ich werde ein Glanz."

Zunehmende Verzweiflung

Doch nach und nach schleichen sich zunächst Nachdenklichkeit und schließlich Verzweiflung in das Spiel. Am Ende verlässt Kühnlein weinend die Bühne, was sie auch dann noch herzzerreißend spielt, wenn sie schon längst aus dem Scheinwerferlicht verschwunden und für kaum noch einen Zuschauer zu sehen ist.

Leichte Kost ist das nicht. Die Konzeption des Stückes verlangt vom Zuschauer höchste Konzentration und ein gewisses Maß an Vorstellungskraft. Angesichts der Flut von "Männergeschichten" verliert man gerne mal den Faden. Doch spätestens beim dramatischen Höhepunkt leidet man mit Doris mit.

Das alles findet auf einer geradezu winzigen Bühne statt, auf der nur einige wenige Requisiten Platz finden: Zwei Kleiderstangen voller Klamotten, ein Sitzpolster und ein stählernes Bett. Doch Kühnlein weiß, damit umzugehen: Sie taucht in den Kleider-Wald ein, um sich umzuziehen, erzählt dabei munter weiter, verrückt die Kulissen von der einen Ecke zur anderen, und entlockt dem Publikum ein Raunen, als sie beherzt auf das Bett hüpft und in die Luft katapultiert wird.

Musik gibt Stimmung vor

Ergänzt wird das großartige Schauspiel von live eingespielter Musik. Dorin Grama am Akkordeon und Nicholas Charkviani am Schlagzeug begleiten dabei nicht nur die zahlreichen Gesangsnummern, sondern untermalen das gesamte Stück und erzeugen so stets die richtige Atmosphäre. Beispielsweise werden die politischen Wirren der Zeit angedeutet durch einen raschen Wechsel von der "Internationalen" zu "Preußens Gloria". Und ein zunehmend ins Abgründige entfremdete "Stille Nacht" verdeutlicht die Tristes eines deprimierenden Weihnachtsabends. Statt süßlich auf die Tränendrüse zu drücken, changiert die Musik zwischen manischer Fröhlichkeit und angstvoller Verzweiflung.

Bei den Zuschauern kommt das Stück gut an. Am Ende gibt es langanhaltenden Applaus. Germanistikstudent Rafael Barth lobt "die sehr lebendige Darbietung". Ebenso zeigt sich Klara Nabholz von der schauspielerischen Leistung begeistert und ergänzt: "Auch die Musik war toll." Bettina Rega-Heiß lobt die Kreativität angesichts der Herausforderungen der Corona-Pandemie: "Ich finde, das ist ein gelungener Versuch, den Kulturbetrieb aufrecht zu erhalten."