Manfred Wölfle ist sich treu geblieben: Auch nach einem halben Jahrhundert verkauft er auf dem Weihnachtsmarkt noch Süßwaren wie Lebkuchenherzen und Mandeln. Foto: Max Kovalenko

Manfred Wölfle ist seit rund 50 Jahren Beschicker auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt, hat an seinem Süßwarenstand den Wandel der Buden und Besucher erlebt. Im Interview blickt der 70-Jährige auf das Gestern und Heute des weltweit beliebten Markts.

Manfred Wölfle ist seit rund 50 Jahren Beschicker auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt, hat an seinem Süßwarenstand den Wandel der Buden und Besucher erlebt. Im Interview blickt der 70-Jährige auf das Gestern und Heute des weltweit beliebten Markts.
Stuttgart - Herr Wölfle, was macht Sie auf dem Weihnachtsmarkt schwach: Ihre gebrannten Mandeln oder die rote Wurst vom Nachbarn?
Na, die Rote natürlich. Mit Mandeln hab’ ich es ja ständig zu tun. Und außerdem bin ich kein Süßer. Aber pst! (Hält den Finger an den Mund) Das muss unter uns bleiben.
Sie sind seit einem halben Jahrhundert auf dem Weihnachtsmarkt. Wie fing alles an?
Eigentlich schon als ich neun war. Nach der Schule hab’ ich bei einem Händler geschafft, der vom Lkw weg Bananen verkauft hat. Nach meiner Lehre als Kellner wurde auf dem Weihnachtsmarkt ein Obststand frei. Den hab’ ich übernommen und Kräuterbonbons verkauft.
Da waren Sie gerade mal 20. Wie sah der Weihnachtsmarkt damals aus?
Die Stände waren bunt durcheinandergewürfelt. Über die Klapptische waren Zeltdächer, Planen und Sonnenschirme gespannt. Viele Händler sprangen damals ab, weil sie sich nicht den A. . . – na, Sie wissen schon – abfrieren wollten. Um die 80 Stände werden es damals wohl gewesen sein. Und zwar im Ehrenhof vom Neuen Schloss. Der Marktplatz war nach dem Krieg ja zerstört.
Mit knapp 300 Ständen hat sich der Stuttgarter Weihnachtsmarkt zum Großunternehmen gemausert. Was gab die Initialzündung?
Damals war das städtische Marktamt zuständig. Der Chef wollte einen einheitlich gestalteten Markt. Er und eine Gruppe von Händlern, zu der auch ich gehörte, haben einige Weihnachtsmärkte wie den in Nürnberg abgeklappert und geguckt, wie es dort gemacht wird. Und so kamen wir Anfang der 70er Jahre auf die Holzhütten.
Und mit den Hütten wuchs die Attraktivität?
So war es! Während die Besucher früher nur aus Stuttgart und der Region kamen, reisten nun richtige Touristen an. Und plötzlich wollten die Kollegen, die abgesprungen waren, auch wieder dabei sein. Der Weihnachtsmarkt schwappte über Schiller- und Marktplatz auch in die Seitenstraßen. Und je größer der Markt, desto mehr Besucher aus aller Welt. Aber jetzt frage ich Sie was (lacht verschmitzt): Wissen Sie, wieso die Dächer der Buden geschmückt sind?
Da bin ich aber gespannt.
Das ist aus der Not geboren. Ursprünglich waren die Dächer aus orangefarbenen Plastikplanen. Irgendwann waren die so dreckig, dass sie hätten ausgetauscht werden müssen. Aber wir sind ja Schwaben und geizig. Deshalb haben wir die Planen unter Bastmatten versteckt und Gestecke draufgesetzt. Und Sie sehen ja selbst, was sich daraus entwickelt hat.
Gefällt Ihnen das?
(Überlegt) Manche Kollegen übertreiben es mit der Schmückerei. Wenn es kitschig wird, sieht das Ganze mehr nach Hollywood als nach deutscher Weihnacht aus. Das Gleiche trifft auch für die Musik zu: Statt Weihnachtsliedern wird irgendwas gespielt, was keiner kennt. So etwas ist schade. Das verwässert den Weihnachtsmarkt.
Also Romantik ade?
Romantisch wird der Weihnachtsmarkt immer sein. Denn mit Lebkuchen- und Bratwurstduft liegt auch Nostalgie in der Luft.
Hat sich das Angebot im vergangenen halben Jahrhundert verändert?
Verkaufsschlager sind bei mir noch immer gebrannte Mandeln und Erdnüsse – aber mittlerweile auch mit Chili- und Baileys-Geschmack. Ganz weg sind Puppenstuben und Kaufläden für Kinder. Dafür gibt es pädagogisch wertvolles Holzspielzeug. Und nach wie vor geht traditionelle Ware wie Küchenartikel, Wollsocken und Hemden. Manche Kunden an meinem Stand wissen allerdings nicht mehr, was Magenbrot ist.
Und was ist es ?
Eine Art Lebkuchen, der durch Gewürze wie Sternanis und Zimt magenfreundlich ist. Wenn ich den Kunden ein Versucherle anbiete, sind sie begeistert.
Hat Ihnen auch schon mal jemand eine Zahnarztrechnung geschickt, weil beim Mandelkauen ein Zahn abgebrochen oder die Plombe rausgefallen ist?
Ärger mit Kunden hatte ich noch nie. Ich nehme auf ein Kilo Mandeln ein Kilo Zucker. Dadurch kann man die Mandeln gut beißen. Das Zähneputzen sollte man halt nicht vergessen. Gefährlich wird es bei drei bis vier Kilo Zucker, da werden die Mandeln hart.
Haben Sie dieses Jahr schon kalte Füße bekommen?
Nein, ich trage ja die Wollsocken vom Weihnachtsmarkt und lange Unterhosen.
Bei den Menschenmassen, die auf den Weihnachtsmarkt strömen, haben Sie bestimmt bis zum nächsten Weihnachtsmarkt ausgesorgt.
Schön wär ’s. Doch dafür hab’ ich das falsche Angebot. Aber Spaß beiseite: Der Umsatz ist angenehm, aber nicht so hoch, dass ich Veranstaltungen wie Volks- und Frühlingsfest sausen lassen kann. Das Schöne am Weihnachtsmarkt ist, dass er vier Wochen dauert. Dadurch lohnt sich der Auf- und Abbau. Andere Veranstaltungen sind schon nach ein paar Tagen rum.
Noch eine ganz persönliche Frage: Haben Sie Ihrer Frau schon mal eins Ihrer Lebkuchenherzen geschenkt?
Ich schenke ihr täglich mein eigenes Herz. Aber ehrlich, ich weiß es nicht mehr. Wenn ja, stand bestimmt „Ich liebe dich“ drauf.