Michael Häberle ist Betriebsratschef des Daimler-Werks Untertürkheim. Foto: Schwarzwälder Bote

Interview: Neuer Chef des Daimler-Betriebsrats in Untertürkheim ist gegen Fahrverbote und für gleitenden Übergang zum E-Auto

Stuttgart. Seit Anfang des Jahres ist Michael Häberle Chef des Betriebsrats des Daimler-Werks Untertürkheim. Im Kampf um Jobs fürs E-Auto wird er ein harter Verhandlungspartner sein.

Herr Häberle, der Daimler-Konzern geht davon aus, dass es den Verbrennungsmotor noch lange geben wird. Er soll den Wandel zur Elektro-Mobilität ermöglichen, ohne dass die Beschäftigung einbricht. Lässt sich diese Strategie angesichts der Diesel-Fahrverbote noch durchhalten?

Es wäre sehr vernünftig, wenn der Diesel noch lange bleibt und auch hier produziert wird. Denn der Diesel, wie wir ihn heute bauen, wird für eine nachhaltige Transformation dringend benötigt, vor allem auch um die geforderten CO2-Grenzwerte einhalten zu können. Er schafft die Basis für einen nachhaltigen Übergang der Produktion zur Elektromobilität. Das wird in der öffentlichen Diskussion fast völlig übersehen.

Was bedeuten die Fahrverbote und die Stickoxidbelastung der Luft für die Zukunft des Diesels?

In der Diskussion geht es fast ausschließlich um alte Diesel, die auf der Straße zu viel an Schadstoffen ausstoßen. Aber heute haben wir doch genau die Diesel in der Produktion, die wir brauchen, damit das nicht mehr der Fall ist. Trotzdem ist in der öffentlichen Debatte, auch in den Medien, noch immer von "dem" Diesel die Rede. Der Diesel wird dadurch pauschal in eine Ecke gestellt, in die er nicht gehört. Ich habe deshalb die Sorge, dass er nicht mehr die Zeit bekommt, die er benötigt, um die Transformation zu begleiten.

Was sollte sich an der öffentlichen Diskussion verändern?

Ich vermisse vor allem das Bewusstsein dafür, dass es unmöglich ist, in einem so komplexen System wie der Mobilität an der einen Stelle etwas zu verändern, ohne dass es Auswirkungen an einer anderen Stelle hat. Man redet teilweise den modernsten Diesel in Grund und Boden, ohne sich zu überlegen, welche Konsequenzen das hat – für das Klima ebenso wie für die Beschäftigung. In Deutschland scheint es nur 0 Prozent oder 100 Prozent zu geben. Eine vernünftige Lösung zeichnet sich aber dadurch aus, dass verschiedene Ziele miteinander in Einklang gebracht werden.

In der Debatte über Fahrverbote tun sich jetzt auch die Gegner zusammen und protestieren regelmäßig. Wie ist die Stimmung in der Belegschaft gegenüber diesen Demonstrationen?

Die Menschen, die in der Autoindustrie arbeiten, sind ja gleich in zweierlei Hinsicht von den Fahrverboten betroffen. Zum einen als Autofahrer, die sich bevormundet fühlen, zum anderen als Beschäftigte, die spüren, dass das, was sich hier abspielt, ganz konkret mit ihrem Arbeitsplatz zu tun hat. Es ist daher nicht verwunderlich, dass eine solche Demonstration Zulauf bekommt. Sie wirkt für viele wie ein Ventil.

Wie sollte die Politik damit umgehen?

Wir sind gut beraten, den Unmut, der dort sichtbar wird, aufzunehmen und alles dafür zu tun, dass sich die Umweltpolitik nicht gegen die eigene Bevölkerung und gegen die Beschäftigung richtet. Dazu gehört, die Ausweitung der Fahrverbote auf Euro-5-Fahrzeuge unbedingt zu vermeiden. Neue Technologien können nicht von einem Tag auf den anderen eingeführt werden, indem man eine harte Kante einzieht. Wir brauchen vielmehr einen gleitenden Übergang, und der ist ja auch im Gang.

Für die künftige Beschäftigung in Untertürkheim wird es wichtig sein, dass die Belegschaft beim Elektro-Auto zum Zug kommt. Nun kündigte der Konzern aber an, in den nächsten Jahren für 20 Mrd. Euro Batteriezellen von außen zu kaufen. Welche Strategie fährt Daimler mit Blick auf die eigenen Beschäftigten?

Wir als Arbeitnehmervertreter stehen dafür, dass gerade in Untertürkheim die Fertigungstiefe nicht sinkt, sondern steigt...

...was Konzernchef Dieter Zetsche vor einem Jahr aber abgelehnt hat...

...während er nun bei der Jahrespressekonferenz ausdrücklich erklärte, beim elektrischen Antriebsstrang sei noch alles offen. Darauf verlasse ich mich.

Wie geht es jetzt weiter?

Es ist vereinbart, dass wir bald in Gespräche einsteigen, und ich gehe davon aus, dass ein Werk wie Untertürkheim, das seit jeher auf den Antriebsstrang, also Komponenten wie Motoren und Getriebe, spezialisiert ist, auch beim Thema Elektro-Mobilität zum Zuge kommen wird.

Nun hat Daimler aber die Anteile am Elektro-Motorhersteller EM-motive an den bisherigen Partner Bosch verkauft. Schafft der Konzern damit nicht vollendete Tatsachen?

Mit Blick auf die Fertigungstiefe überhaupt nicht – ganz im Gegenteil. Bisher war Daimler durch das Gemeinschaftsunternehmen bei der Frage festgelegt, woher die Elektro-Motoren kommen. Erst jetzt ist der Weg frei für Verhandlungen mit der Arbeitnehmerseite. Der Verkauf ist daher nicht das Ende der Gespräche, sondern erst der Startschuss.

Viele Komponenten fürs E-Auto werden in China zu dortigen Löhnen und Sozialstandards hergestellt. Müssen die Daimler-Beschäftigten künftig mit Menschen in Asien konkurrieren?

Wir konkurrieren weltweit, das ist so. Schon bisher ist über jedes Thema hart verhandelt worden, und das wird sich auch nicht ändern.

Mit asiatischen Löhnen werden Sie aber kaum mithalten können.

Wir haben mit dem Unternehmen eine Zukunftssicherung bis Ende 2029 vereinbart. Das Unternehmen wird daher die Frage beantworten müssen, mit welchen Technologien es diese Vereinbarung mit Leben erfüllen will. Dazu gehört auch, dass man in Untertürkheim in Themen mit einer langfristigen Perspektive investiert.

Entwicklung und Bau des Elektro-Autos sind bislang sehr teuer. Wird auf Dauer die Profitabilität des Unternehmens leiden und damit auch die Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter?

Wir haben auch in diesem Jahr eine Gewinnbeteiligung ausgehandelt, hinter der man sich gewiss nicht verstecken muss. Aber klar ist, dass das Unternehmen vor enormen Investitionen steht – für die Verbesserung der Verbrennungstechnologie ebenso wie für neue Technologien. Es kann schon sein, dass diese Investitionen tatsächlich einmal die Gewinnbeteiligung schmälern werden. Dennoch sind sie notwendig, damit die Beschäftigten auf lange Sicht eine klare Perspektive haben. Der allergrößte Fehler wäre es, jetzt an Investitionen in die Zukunft zu sparen und später in die Röhre zu schauen. Über eine Gewinnbeteiligung bräuchten wir uns dann auch nicht mehr zu unterhalten.   Die Fragen stellte Klaus Köster.