Die Deutsche Bahn hat erklärt, die Sprechklausel aus den S21-Verträgen in Anspruch zu nehmen. Der Konzern verlangt, dass das Land und die weiteren Partner Mehrkosten von bis zu 2,3 Milliarden Euro am Tiefbahnhof und der Strecke Feuerbach-Endlingen mit bezahlen.
Stuttgart - Zweieinhalb Stunden haben Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und Volker Kefer, Technikvorstand der Deutschen Bahn AG, am Montag die Planungs-, vor allem aber die Finanzmisere um Stuttgart 21 im Ministerium besprochen. Eine Lösung gibt es nicht. „Wir drehen uns im Kreis“, bekannte Hermann am Abend vor der Presse. „Die Situation ist für uns schwierig zu handhaben“, sagte Kefer.
Klar ist: Die Bahn zieht die sogenannte Sprechklausel aus dem Finanzierungsvertrag. Sie will weiteres Geld vom Land. Ein entsprechendes Schreiben ging am Montag beim zuständigen Abteilungsleiter in Herrmanns Ministerium ein. Offiziell, sagt der Minister, müsse die Bahn erst die Überschreitung des Kostendeckels im Lenkungskreis erklären. Das oberste S-21-Kontrollorgan sollte am 28. Februar tagen. Das Treffen wurde am Montag aber abgesagt, laut Hermann, weil Unterlagen fehlen. Stuttgart 21 ist mit 4,5 Milliarden Euro finanziert, das Land zahlt 930 Millionen Euro.
Bahn und Land sind sich uneinig darüber, was die Sprechklausel bedeutet. Nur sprechen, oder sprechen und auch zahlen? „Die Sprechklausel ist nicht bedeutungs- und wirkungslos“, sagte Kefer. Ein Rechtsstreit sei aber die „Ultima Ratio“, also das letze Mittel. Bisher hat das Verkehrsunternehmen erklärt, einen Gerichtsgang gegen das Land vermeiden zu wollen. Er könnte sich über Jahre hinziehen.
Volker Kefer kam am Montag nicht allein aus Berlin. Der 57-jährige Ingenieur hatte Gerd Becht, den Rechtsvorstand des Konzerns, an seiner Seite. Mit dem Auftreten des obersten Bahn-Juristen war klar, dass die Konzernspitze jetzt den Auftrag des Aufsichtsrates umsetzt. Das Kontrollgremium hatte am 12. Dezember einigermaßen fassungslos auf das Ausmaß der planerischen Fehlleistungen des Unternehmens reagiert. Kefer und Bahn-Chef Rüdiger Grube hatten damals einräumen müssen, dass Arbeiten im Wert von 610 Millionen Euro nicht untersucht, geplant und budgetiert worden waren. Weitere 490 Millionen aus Abweichungen und nicht realisierbaren Einsparungen würden in Stuttgart zudem auflaufen. Die Vorstände empfahlen, die Bahn solle diese 1,1 Milliarden selbst bezahlen. Bei den weiteren Risiken im Umfang von bis zu 1,2 Milliarden Euro wolle man die Baupartner zur Kasse bitten.
Angespannte Stimmung
Grube und Kefer scheiterten aber im Dezember mit ihrem Vorschlag im Aufsichtsrat. Die 20 Kontrolleure forderten den Vorstand auf, „die Interessen der Deutschen Bahn AG zu sichern und diese mittels der sogenannten Sprechklausel durchzusetzen“. Am 5. März muss Kefer dem Aufsichtsrat in einer Sondersitzung zu S 21 berichten. „Wir wollen bis dahin einen Vorschlag unterbreiten“, sagte Kefer. Wie er aussehen könnte, sagte er nicht, aber dass das Land Einsparvorschläge liefern solle. Hermann fordert weitere Papiere. Was im so genannten Datenraum bereit gelegt worden sei, nur ein Ordner, reiche nicht aus. „Wenn das Land nicht zahlt, warum will es dann weitere Informationen von uns?“, fragte Kefer. „Selbst wenn wir nicht zahlen, wollen wir prüfen, ob das Projekt durchfinanziert ist. Wir haben ein äußerst berechtigtes Interesse“, sagte Hermann. Beide zeigten vor der Presse Szenen einer (Zwangs-)Ehe, die in den letzten Zügen zu liegen scheint.
Die Stimmung ist angespannt. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) droht, dass das Projekt ohne weiteres Geld vom Land keine Zukunft mehr haben werde. Ein namentlich nicht genannter Aufsichtsrat hat den Anschluss des Landesflughafens an die neue Infrastruktur infrage gestellt. So könne man das Projekt „abspecken“. Der Airport-Geschäftsführer Walter Schoefer reagierte prompt und verwies darauf, dass der Flughafen insgesamt 359 Millionen Euro für den Halt beisteuere.
Die Sprechklausel, um die es nun geht, ist ein Satz im Finanzvertrag. Wenn Stuttgart 21 mehr als 4,5 Milliarden Euro kosten sollte, heißt es da, „nehmen die EIU (das ist die Bahn) und das Land Gespräche auf“. Was der Satz bedeutet, hat bei der Bahn und beim Land einige Juristen beschäftigt. Wenn das Land zahlen müsste, wäre die Frage, mit welchem prozentualen Anteil. Bei der bisherigen Risikoabdeckung von 1,4 Milliarden ist es weit stärker engagiert als an den ursprünglich geplanten 3,076 Milliarden Euro.
Geißler: Kombi-Lösung ein bis zwei Milliarden Euro billiger
Das Land ist in Abwehrhaltung. „Das Land steht zu Stuttgart 21, aber nicht um jeden Preis“, sagt Hermann. So ist es in der Koalition vereinbart. Die Juristen des Landes interpretieren die Sprechklausel so: Sie setze „kein formelles Konsensverfahren in Gang“, bedeute „allein die Gesprächspflicht der Parteien. Eine Einigungspflicht und damit eine Kostenbeteiligungspflicht des Landes besteht nicht.“ Man habe einen „Partnerschaftsvertrag“, sagt dagegen Kefer. Man zahle doppelt so viel wie das Land. „Wir wollen dann auch partnerschaftlich behandelt werden“, so der Vorstand.
Heiner Geißler, der Stuttgart-21-Schlichter, hatte am Montag für die Streitparteien Ratschläge parat: Stuttgart 21 müsse gebaut werden, sagte er im Deutschlandradio Kultur, weil ein zwei Milliarden Euro teurer Ausstieg nicht sinnvoll sei. Später sagte Geißler, er erwarte, dass sein Vorschlag eines kombinierten Kopf- und Durchgangsbahnhofs debattiert werde. Die Lösung sei ein bis zwei Milliarden Euro billiger.
Die von der Bahn genannten Ausstiegskosten waren Thema der Montagsdemonstration. Die Gegner rechnen mit lediglich 360 Millionen Euro. Dazu käme aber noch die Rückabwicklung des Grundstücksgeschäfts der Bahn mit der Stadt.
Volker Kefer will heute weiter mit Projektpartnern sprechen. Um 9.30 Uhr im Rathaus mit OB Fritz Kuhn (Grüne), um 14 Uhr mit dem Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU) und Flughafen-Chef Schoefer.