Foto: Vaas

Radio und App warnen bei Katastrophen. Sirenennetz seit Jahrtausendwende nicht mehr in Betrieb. Mit Kommentar

St. Georgen - Hochwasser, Orkane, Gefahrenstoffe – Katastrophenszenarien gibt es allerlei. Stadtverwaltung und Feuerwehr erklären, welche Mechanismen in St. Georgen bei Krisen greifen – und warum ein Set Batterien im Ernstfall Leben retten kann.

Als Orkantief Burglind Anfang dieses Jahres über St. Georgen fegte, zeigte sich, welche Schäden die Natur anrichten kann. Die Feuerwehr war damals im Dauereinsatz, Bürgern wurde geraten, nach Möglichkeit zu Hause zu bleiben. Auch eine Woche nach dem Orkan bestand beim Betreten des Waldes Lebensgefahr. Das extreme Wetter brachte in der Retrospektive zwar keine größeren Katastrophen mit sich, wirft aber dennoch Fragen auf: Welche Mechanismen greifen in St. Georgen im Falle einer Katastrophe?

Neue Szenarien, auf die es sich vorzubereiten gilt, kommen hinzu

"Grundsätzlich ist es so, dass nach dem Feuerwehrgesetz in Notlagen oder wenn größere Unfälle wären, die Feuerwehr St. Georgen zuständig ist", erklärt Markus Esterle, Leiter Bürgerdienste bei der Stadt. Und Feuerwehrkommandant Christoph Kleiner ergänzt: "Wenn es also um eine Krise oder die Vorstufe einer Katastrophe geht, ist erst einmal das Bürgermeisteramt und die Rettungsorganisationen vor Ort in der Pflicht. Bei größeren Katastrophen ist dann das Landratsamt Schwarzwald-Baar zuständig."

In der Bergstadt gibt es konkret einen Umweltalarmplan, einen Influenzapandemieplan und den allgemeinen Katastrophenschutz. Der Umweltalarmplan greift laut Kleiner, wenn etwa bei einem Verkehrsunfall Gefahrenstoffe austreten. "Zu den Szenarien, in denen die allgemeinen Katastrophenpläne greifen sollen, gehören Sturm, Orkan, Starkgewitter in jeder Form, Schneeschmelze oder Hochwasser", zählt der Feuerwehrkommandant auf.

Ein weiteres Szenario zeigt zudem, dass auch der Katastrophenschutz dem zeitlichen Wandel unterliegt und sich die Organisationen stets mit neuen, möglichen Gefahren auseinandersetzen müssen: Terroranschläge. "Sie können das auch bei uns nicht von der Hand weisen", meint Kleiner hierzu. "Man sagt immer, auf dem Land passiert das nicht. Aber wenn in St. Georgen irgendeiner durchdreht, dann haben wir die selbe Situation, wie in anderen Städten." Man versuche da her, sich bestmöglichst auf solche Szenarien vorzubereiten.

2006 habe man zudem Probleme mit großen Schneelasten bekommen. Und auch das Thema Trockenheit werde in St. Georgen noch unterschätzt. "Da werden in den nächsten Jahren noch Anforderungen auf uns zukommen", schließt Kleiner.

Und wie wird die Bevölkerung im Falle einer Katastrophe gewarnt? Blickt man zurück in der deutschen Geschichte, waren allen voran die Sirenen im Falle eines Fliegeralarms während des Zweiten Weltkriegs unerlässlich. Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende sind die Sirenen in vielen Kommunen jedoch verschwunden. Nach Ende des Kalten Krieges entschied die Bundesregierung, das flächendeckende Sirenennetz aufzugeben. Die Gemeinden konnten die vorhanden Geräte kostenlos übernehmen, mussten sich aber entsprechend darum kümmern. Etwa 40 000 der vorhandenen 80 000 Sirenen wurden damals bereits abgebaut.

Abschaffung um die Jahrtausendwende wegen Digitalisierung

St. Georgen behielt zwar seine Sirenen, im Rahmen der digitalen Alarmierung wurden sie allerdings laut Kleiner um die Jahrtausendwende außer Betrieb genommen. "Da hätte die ganze Steuerung umgerüstet werden müssen, damit die Sirenen auch von der Ferne ausgelöst werden können", erklärt er. Andere Kommunen im Kreis haben indes die ursprüngliche Alarmierung weiter betrieben.

Kommandant sieht Defizit bei Alarmierung der St. Georgener

"Ich persönlich sehe da schon ein Defizit", sagt Kleiner. Man hätte derzeit die Möglichkeit, über eine manuelle Steuerung die noch vorhandenen Geräte, die etwa auf den Ortschaftsverwaltungen zu finden sind, zu betreiben. Allerdings, so Kleiner: "Eine Info in dem Sinne bekommt man nicht." Darüber hinaus sei die Bevölkerung nicht länger für den "Fliegeralarm" sensibilisiert. Man müsse quasi wieder bei Null beginnen, die Bevölkerung entsprechend schulen.

Ein Szenario, das in weiter Ferne scheint: Die Stadtverwaltung plant derzeit nicht, das Sirenennetz wieder auf Vordermann zu bringen und Tests einzuführen. "Ich persönlich denke, dass man einfach ein batteriebetriebenes Radio haben sollte", meint Esterle. Denn im Falle einer Katastrophe werden entsprechende Warnungen an die Rundfunkanstalten herausgegeben.

Eine weitere Möglichkeit ist in Zeiten des Smartphones die Warn-App "Nina", kurz für Notfall-Informations- und Nachrichten-App. Der Nutzer kann dort auflisten, welche Regionen für ihn im Bezug auf Warnungen relevant sind und für die er entsprechende Benachrichtigungen erhalten möchte.

Über Formulare können die jeweiligen Behörden Warnungen herausgeben, die je nach Priorität dann an verschiedene Kanäle – Nina, regionale oder überregionale Medien – weitergegeben werden. Am Tag des Helfers habe man auf die App und deren Wichtigkeit hingewiesen, so Kleiner. Vielen sei diese Art der Informationsbeschaffung aber bis heute noch unbekannt.

Info: Struktur

In Deutschland ist der Katastrophenschutz Ländersache. In Baden-Württemberg sind die Behörden in drei Ebenen unterteilt. Die unteren Katastrophenschutzbehörden stellen die Bürgermeisterämter der Stadtkreise und Landratsämter dar. Die Regierungspräsidien übernehmen als höhere Katastrophenschutzbehörden die Umgebung kerntechnischer Anlagen und Aufgaben, die sich über einen Land- oder Stadtkreis hinaus erstrecken. Das Innenministerium ist indes für alles zuständig, das sich über einen Regierungsbezirk oder über Landesgrenzen hinaus erstreckt. Darüber hinaus gibt es das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, das allen voran im Verteidigungsfall aktiv wird.

Kommentar

Sträflich

Von Nadine Klossek

St. Georgen ist für den Ernstfall gerüstet. Die Verantwortlichen wissen, was zu tun ist. Notfallpläne liegen bereit. So weit so gut. Wie die Bergstädter im Falle einer Katastrophe benachrichtigt werden sollen, ist allerdings besorgniserregend. Wie viele Menschen haben ein batteriebetriebenes Radio? Wie viele ältere Bürger besitzen ein Smartphone? Im Hinblick auf die Vielzahl abgelegener Höfe und die Weitläufigkeit der Stadt scheint es geradezu sträflich, ein flächendeckendes Warnnetz, wie es einst durch Sirenen bestand, einfach stillzulegen. Sich alleine auf Radio und moderne Technik zu verlassen, ist töricht. Sirenen könnten die Menschen effektiv und schnell warnen. Das alleine sollte es der Kommune wert sein, dieses Netz zu pflegen. Denn so unwahrscheinlich eine Katastrophe erscheint: Tritt sie ein, stehen im schlimmsten Fall Menschenleben auf dem Spiel.