Der KFZ-Sachverständige Roland Wohlfarth zeigt, wie die Schäden mit einem Dellenreflektor besser sichtbar gemacht werden. Foto: Klossek Foto: Schwarzwälder Bote

60 Autos in nur zwei Tagen: Versicherungen veranstalten "Hagelaktionen" / Experte klärt über Prozedere auf / "Betrüger haben es nicht leicht"

Um nach einem Unwetter möglichst schnell alle Fälle von Hagelschaden zu bearbeiten, führen Versicherungen "Hagelaktionen" durch. Über die Jahre hinweg entwickeln die Experten einen guten Blick – und entlarven auch schnell Versicherungsbetrüger.

St. Georgen. Roberto Melliforo fährt mit seinem Hyundai Tucson vor. Dellen in der Motorhaube und auf dem Dach zeugen von dem Unwetter, das vor knapp zwei Wochen über St. Georgen gezogen ist. Der Bergstädter ist einer von rund 60 Kunden, die am Donnerstag und Freitag bei der Württembergischen Versicherung vorstellig werden, um ihr Fahrzeug begutachten zu lassen. "Hagelaktion" nennen sich solche Veranstaltungen, bei denen in möglichst kurzer Zeit vielen Kunden geholfen werden soll. Im Vorfeld werden mit diesen feste Termine ausgemacht. Im 30-Minuten-Takt rollen die Fahrzeuge an.

Doch wie läuft so eine Begutachtung ab? Roland Wohlfarth, KFZ-Sachverständiger bei besagter Versicherung, greift zu einem runden Gegenstand mit schwarzen und weißen Streifen und hält ihn über die Motorhaube. "Der Dellenreflektor macht die Schäden sichtbar", erklärt der Experte. Mit einem Stift wird jeder einzelne Einschlag markiert – rund um das Auto. "Und dann wird gezählt", so Wohlfarth. "Für jedes einzelne Bauteil."

Nagelneues Auto mit Hammer zerlegt

Denn je höher die Anzahl der Dellen, desto niedriger die Wahrscheinlichkeit, dass das Auto ohne Lackierung repariert werden kann. Ein Umstand, der sich später in der Schadensberechnung widerspiegelt. "Die Durchschnittsgröße ist auch wichtig", erklärt der Experte. Zehner- bis 50er-Dellen gebe es. "Danach geht nichts mehr, dann muss lackiert werden."

Nach der Untersuchung steht der Kunde vor der Wahl: Reparatur oder Auszahlung. Dass die Auszahlung des Schadens auch immer wieder Betrüger auf den Plan ruft – davon kann Wohlfarth ein Lied singen. "Da gibt es schon mal Leute, die ein nagelneues Auto mit einem Hammer zusammenhauen", erzählt der Sachverständige. "Aber das sieht man schon, sobald das Auto reinfährt." In diesen Fällen werde der Schaden aufgenommen und direkt an die Betrugsabteilung gemeldet.

Ob es sich indes um einen alten Hagelschaden handelt, der dem Kunden bereits gezahlt wurde, lässt sich über eine zentrale Datei herausfinden, auf die laut Wohlfarth alle Versicherungen Zugriff haben. Anhand der Fahrgestellnummer lässt sich demnach die Vorgeschichte des Wagens nachvollziehen. "Betrüger haben es nicht leicht", bilanziert Wohlfarth.

Unwetter 2013 hält Experte lange auf Trab

Und auch der Gesetzgeber sieht Versicherungsbetrug nicht als Kavaliersdelikt: Bis zu fünf Jahre oder eine entsprechende Geldstrafe wartet auf Betrüger – mehr noch, wenn es sich um einen gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Betrug hält.

Ein Umstand, um den man sich allerdings an diesem Donnerstagvormittag in St. Georgen keine Sorgen machen muss: Die Schäden sind durch und durch dem Unwetter geschuldet. Wohlfarths Bilanz nach den ersten Fahrzeugen fällt indes milde aus. Die Schadenshöhe sowie die Zahl der beschädigten Fahrzeuge hielten sich in Grenzen. "Ich habe schon Schlimmeres gesehen", meint der Experte – und erinnert sich zurück an das wohl einprägsamste Unwetter seiner Einsatzzeit im Jahr 2013 im Landkreis Reutlingen. "Eine Woche lang war ich nur unterwegs, um nicht mehr fahrbereite Fahrzeuge zu begutachten", erzählt der Sachverständige. Eingeschlagene Scheiben und tennisballgroße Hagelkörner sind ihm in Erinnerung geblieben.

Doch auch wenn die Bergstadt das Unwetter glimpflich überstanden hat – für jeden einzelnen Betroffenen ist der Hagelschaden ein großes Ärgernis. Im Falle von Melliforos Hyundai fällt Wohlfarth ein vernichtendes Urteil. Nach der Begutachtung und der Einschätzung des Zeitwerts des Fahrzeugs ist klar: wirtschaftlicher Totalschaden. Das bereits zehn Jahre alte Auto wieder herzurichten, macht aus Sicht der Versicherung wenig Sinn.

Nachdem Melliforo die erforderlichen Papiere erhält, blickt er etwas unglücklich drein. "Schon okay", meint er dann. Immerhin sei die Bearbeitung schnell gegangen. Wie zur Bestätigung, dass er an der Situation nichts ändern könne, zuckt er mit den Schultern, ehe er ins Auto steigt. Der Hyundai fährt langsam davon. Wohlfarth schließt den Auftrag. Der nächste Fall wartet schon.