Foto: © Halfpoint – stock.adobe.com Foto: Schwarzwälder Bote

Als neuer Vorsitzender möchte Claudius Fichter auch die Industrie und Gastronomie verstärkt ins Boot holen und den Verein digitaler aufstellen

St. Georgen. Seit März dieses Jahres ist Claudius Fichter Vorsitzender des Handels- und Gewerbevereins (HGV) St. Georgen. Im Interview erklärt er, was er sich für die Zukunft vorgenommen hat, wie er den Verein neu aufstellen möchte – und warum er denkt, dass die Stadt St. Georgen besser ist als ihr Ruf.

Herr Fichter, Ihr Vorgänger Eduard Henninger hat den Verein knapp 45 Jahre geführt. Wie hat sich der HGV Ihrer Meinung nach in dieser Zeit verändert?

Erst einmal hat sich die Struktur verändert. Wir haben heute mehr Mitglieder, der Verein ist größer geworden.

Welche Herausforderungen bringt das mit sich?

Je größer der Verein, desto schwieriger und gleichzeitig wichtiger ist die Verständigung untereinander. Früher war ich Beirat im HGV, und von dieser Seite aus gab es wenig Beteiligung. In den vergangenen Jahren mangelte es also an der Kommunikation. Ich möchte, dass man mehr miteinander macht, mehr miteinander spricht.

Beziehen Sie dieses Kommunikationsproblem auch auf die Außenwirkung?

Ja. Bisher war oder ist es so, dass der HGV in der Wahrnehmung lediglich der Einzelhandel ist.

Der Handel macht immerhin einen Großteil des Vereines aus.

Aber eben nicht nur. HGV bedeutet nicht nur Handel, sondern auch Gewerbe. Und ich möchte kommunizieren, dass es auch die Industrie und vor allem auch die Gastronomie betrifft. Einige Mitglieder aus diesem Bereich haben wir bereits.

Und Sie möchten, dass es mehr werden?

Es gibt viele kleine, spannende und interessante Firmen. Die könnte ich mir gut im HGV vorstellen. Wenn man in einem Verein mehrere Richtungen abdeckt und mehr zusammenarbeitet – dann kommen wir echt voran.

Mehr Mitglieder, bessere Kommunikation. Was ist sonst noch geplant?

Die Liste meiner Ideen ist lang. Ich will Netzwerke schaffen, neue Formate und Events einbringen.

Wollen Sie den Verein also von Grund auf neu erfinden?

Wir machen eben schon längere Zeit ähnliche Events: die Nacht der 1000 Lichter, das Weihnachtsgewinnspiel, der Naturparkmarkt, verkaufsoffene Sonntage. Wenn man jahrelang das Gleiche macht, sagt jeder, da passiert nichts. Es braucht schon immer einen Anlass für eine Aktion, aber es könnten ja auch mal neue Ideen entstehen.

Zum Beispiel?

Mir schwebt ein Abend eine Woche vor den Sommerferien vor, an dem wir die Geschäfte öffnen. So etwas wie ›Last Sale before Holidays‹. Weil doch jeder, der in den Urlaub fährt, immer noch etwas braucht. Einen Familien- und Kindertag fände ich auch gut. Möglich wäre eine Hüpfburg, Spiele, eine Stadtrallye oder ein Luftballonartist. Und wir binden die Gastronomie ein. Wenn die Kinder glücklich sind, sind die Eltern glücklich.

. . . und damit Ihre Kunden.

Klar, so etwas bindet. Es gab früher beispielsweise die Adventskalenderöffnung. Mehrere Betriebe hatten in der Adventszeit ihre Schaufenster zugeklebt, und jeden Abend um 17 Uhr wurde eines geöffnet, und es gab etwas zu gewinnen. Ich habe heute noch Kunden, die von 1997 erzählen, als sie bei mir einmal Karten für den Europa Park gewonnen haben.

Wie sehr hilft es bei solchen Plänen, dass der Vereinsvorsitzende erneut ein waschechter St. Georgener ist?

Es ist schon etwas ganz anderes, weil man die Leute vor allem auch von früher kennt. Meistens sind es doch Gleichaltrige, die sich selbstständig gemacht haben, und da hilft es enorm, dass man direkt von hier ist und sich kennt. Das macht vieles einfacher.

Nicht gerade einfach scheinen es wiederum viele Einzelhändler in der Bergstadt zu haben. In der Vergangenheit wurden viele Geschäfte geschlossen. . .

. . .und im Gegenzug andere Geschäfte neu eröffnet.

Sie bewerten das Einzelhandelsangebot also weiterhin als attraktiv?

Klar. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wie viele Städte haben so ein Geschäft wie Henninger Haushaltswaren oder Schwarzwälder Genusswerkstatt mitten in der Stadt? Die Liste toller Läden ist lang. Die sind nicht austauschbar und anonym wie in anderen Städten.

Soll heißen?

Die lokalen Geschäfte haben mehr Profil und ein besseres Image, da sie in der Regel inhabergeführt sind. Man kennt seine Kunden, man spricht sie mit Namen an, und das ist unschätzbar viel wert. Das ist ein ganz anderes Einkaufen.

Oft wird beim Thema Einkaufen die Nähe zur Doppelstadt angesprochen. Ist diese Nachbarschaft ein Standortnachteil?

Ich würde eher auf unsere Vorteile verweisen. Ich brauche in Villingen mehr Zeit zum Einkaufen, habe längere Strecken und zahle Parkgebühren.

In der Bergstadt gibt es demnach alles, was das Shoppingherz begehrt?

Natürlich ist nicht das ganze Sortiment abgedeckt. Sportartikel, Lederwaren, Schuhe – da fehlt was. Doch die Frage ist: Ist in Villingen wirklich alles zu erhalten? Was mich einfach generell stört, ist das ständige Nörgeln und Schlechtmachen. Man hört oft: In St. Georgen ist nichts los, man erhält nicht alles.

. . . was nicht stimmt?

Im Vergleich zu anderen Gemeinden in dieser Größe sind wir doch relativ gut aufgestellt. In St. Georgen kann man jedenfalls zu 90 Prozent alles abdecken beim Einkauf. Wenn man sich mal richtig vornimmt, shoppen zu gehen, ist auch der Erlebnisfaktor ein Argument. Das fehlt hier vielleicht. Doch man kann eben dafür gezielt die guten Geschäfte ansteuern. Und das wird auch angenommen.

Die Einkaufsstadt St. Georgen ist also besser als ihr Ruf?

Definitiv. Und nicht nur die Einkaufsstadt. Wir haben viele Ärzte, alle Schulen, eine gute Industrie sowie ein gutes Kultur- und Freizeitangebot. Da entsteht ständig Neues.

Relativ neu ist auch die Hurracard. Wie läuft es mit der Umsetzung?

Anfangs ging es eher schleppend. Es laufen viele Gespräche, um noch mehr Firmen mit ins Boot zu holen. Und ich habe auch von Firmen und von anderen Nicht-Mitgliedern die Anfrage gehabt, ob man die Hurracard auch so bestellen kann. Die Nachfrage ist gestiegen. Die Umsetzung ist noch ein bisschen zäh.

Wo liegt das Problem?

Viele wissen noch zu wenig darüber. Man muss auch hier stärker nach außen gehen und diese Karte in ein besseres Licht rücken. Es ist ein längerer Prozess, aber die Zeichen stehen gut.

Können allein Angebote wie die Hurracard Kunden lokal binden oder muss der HGV digitaler werden?

Der Einzelhandel ist umfassend von der Digitalisierung betroffen. Wir stehen in direkter Konkurrenz mit dem Internethandel. Durch die digitale, globale Konkurrenz ist es noch wichtiger geworden, die lokalen Angebote gemeinsam zu bewerben und in einem zweiten Schritt auch zu vermarkten. Die Frage ist also, wie man sich absetzen kann. Das Thema Service ist hier wichtig. Eine kontinuierliche Verbesserung und Erweiterung der Servicequalität sollte unsere primäre Aufgabe sein.

Was genau schwebt Ihnen diesbezüglich vor?

Es gab zum Beispiel mal die Überlegung einer City-App. Die Pläne sind schon da, man muss sie eben forcieren. Alle lokalen Angebote auf dem Smartphone – das wäre ein zukunftsfähiges Modell.

Apropos Zukunft: In St. Georgen steht die Innenstadtsanierung an. Haben die Mitglieder Angst vor Einbußen?

In der Regel sind da alle eher positiv gestimmt und zufrieden, dass endlich was passiert. Aber es wird immer den ein oder anderen geben, der sagt, das wird eine Saure-Gurken-Zeit.

Und Ihre persönliche Meinung?

Mir ist nicht angst und bange, dass da mehrere Jahre vielleicht etwas weniger los ist. Man muss das positiv sehen. Der Wettbewerb der Städte wird maßgeblich durch die bereitgestellte kommunale Infrastruktur und attraktive Serviceangebote entschieden. Es geht jetzt darum, die städtische Lebensqualität für Bürger, Besucher und Handel positiv zu gestalten.

  Die Fragen stellte Nadine Klossek.