Kultur: Audiokünstlerin knüpft an hiesige Phonoindustrie an
Beim Verein Global Forest liegt die räumlich zugängliche Kunst brach. Auch die Künstlerresidenten bleiben vorerst fern. Dafür gibt es einen Eindruck aktuellen Schaffens im Schau- und Hörfenster durch die Soundartistin Gabi Schaffner.
St. Georgen. Jessica Twitchell von "Global Forest" gibt zu: "Wir leben von Veranstaltungen." Digitale Wege, um Kunst zu präsentieren, ist eine Möglichkeit, aber "es geht um das Zusammenkommen, Interessen teilen und sich dabei austauschen". Eine nüchterne Erkenntnis in dieser Zeit.
Das Ministerium für Bildung und Kultur macht die Vorgabe, Veranstaltungen bis Mitte Juni vorläufig zu unterbinden. Doch es gibt Lichtblicke am Kulturhimmel, zum Beispiel durch die Audiokünstlerin Gabi Schaffner, die vor einiger Zeit in St. Georgen zu Gast war.
Schaffner ist zwar schon wieder abgereist, kommt aber bald wieder in die Bergstadt, um ihr Klangwerk – der Pandemie zum Trotz – zu präsentieren.
Pandemie-Schallplatte enthält passende Geräusche
Die Klangkünstlerin, die drei Monate als Residentin bei "Global Forest" zu Gast gewesen ist, widmete sich in dieser Zeit einer ganz besonderen künstlerischen Aufgabe. Der Titel ihres neuen Werks lautet: "Pandemic New Music. Fazzoletto per un eternità." Unverkennbar trifft sie mit ihrer pandemischen Musik den Kern der Zeit.
Kompositionen aus Nies- und Schnupfgeräuschen, Posaunen, Trompeten und weiteren Blasinstrumenten sind auf ihren Aufnahmen zu hören. Unweigerlich kommen beim Thema Pandemie und bei den aufgezeichneten Erkältungsgeräuschen Assoziationen zum Coronavirus auf – dabei ist die Geschichte eine etwas andere.
In Zusammenarbeit mit dem Posaunenchor und dem Deutschen Phonomuseum hat die Klangkünstlerin ihr neues Genre auf einer Schallplatte verewigt. Allzu viel will Schaffner über ihr Audiowerk aber gar nicht verraten. Der Zuhörer soll sich selbst ein Bild davon machen. Wer das will, geht vor das Künstlergebäude in die Friedrichstraße 5a und drückt den Knopf beim Schau- und Hörfenster.
So viel Hintergrund sei vorab schonmal verraten: Gabi Schaffner knüpft mit ihrem Werk an die frühe Musik des 20. Jahrhunderts an und lässt Geschichten im Kopf der Leser entstehen.
Die Protagonistin Mauricia Pucci wechselt ihre Identität
Die Protagonistin Mauricia Pucci wird 1899 im toskanischen Hinterland geboren. Sich sträubend, der Rolle der Frau zur damaligen Zeit zu entsprechen, wandert Pucci 1918 nach New York aus. Dort wechselt sie zu ihrer männlichen Identität Mauricio Farfalla Pucci. Mauricio geht in Übersee eine Liebesbeziehung zu einem Komponisten ein, der in Folge einer Influenza verstirbt. Daraufhin kehrt Pucci nach Italien zurück und gründet das "Orchestra di Starnuti", zu Deutsch: das Nieskonzert.
Gegenüber dem Schwarzwälder Boten berichtet die Berliner Künstlerin über den Anknüpfungspunkt zur St. Georgener Phonoindustrie, die für die Entstehung der Platte entscheidend war. Auch schildert sie die Begegnung mit dem Posaunenchor, wo sie sich selbst anfangs "außenstehend" wahrnahm, später aber gegenseitige Wertschätzung empfand. Und natürlich spielte für die Berlinerin auch die Natur im Schwarzwald eine Rolle, die ihr bei ihren "field recordings" sehr entgegen kam.
Künstler wie Gabi Schaffner suchen in der Residenz bei "Global Forest" kreativen Freiraum. Im Moment ist aber auch diese Möglichkeit sehr eingeschränkt. Eigentlich hätte man weitere Künstler erwartet, aus Deutschland, aber auch aus den Vereinigten Staaten, berichtet Jessica Twitchell.
Beim Kunstaustausch gibt es im Moment ganz praktische Grenzen. Aufgrund von Reisebeschränkungen müssen Künstlerin wie Rosemary Hall ihren Aufenthalt im St. Georgener Kunstzentrum erst einmal verschieben.
Doch alles wird nachgeholt. So auch der Auftritt von Gabi Schaffner vor Ort bei "Global Forest". Ein Termin steht dafür zwar noch nicht fest, wird aber noch für dieses Jahr in Aussicht gestellt.