Der zweimalige Tour-Sieger Tadej Pogacar fährt für das UAE-Team. Foto: AFP/Anne-Christine Poujoulat

Das Prinzip des Sportswashings wurde einst im Radsport getestet und erreicht derzeit in der Fußballwelt noch größere Dimensionen. Sind die Petro-Dollars im Radsport noch zu akzeptieren oder wurde eine Grenze überschritten?

Der Radsport ist zurück in Europa. Nach Rundfahrten in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Oman begann in Belgien die Klassikersaison. In Frankreich und Italien starteten die Traditionsrundfahrten Paris–Nizza und Tirreno Adriatico. Der Nahe Osten ist aber auch hier stark vertreten: Gleich drei Profirennställe sind eng mit Öl- und Gasmonarchien aus der Region verbunden. Und, na klar, Fahrer dieser Rennställe zählen wie bei fast allen Rennen zu den Favoriten. Für UAE geht in Paris der zweifache Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar an den Start. Für das Team Jayco-Al Ula – hier steckt viel saudisches Geld im Budget – soll der Australier Simon Yates die Kastanien aus dem Feuer holen. Dessen Bruder Adam wiederum kämpft für UAE beim Tirreno Adriatico. Das dritte Team, das die Taschen mit Petro-Dollars gefüllt hat, ist Bahrain-Victorious. Auch ohne absoluten Topstar zählte die Mannschaft 2022 mit 25 Saisonsiegen und insgesamt 71 Podiumsplatzierungen zu den erfolgreichsten Teams im Profiradsport.

„Wir wollen unsere Sponsoren präsentieren und Sport betreiben“

Im Peloton hat man sich an die exotischen Teambezeichnungen gewöhnt. Es handelt sich für Sportler und Betreuer um Arbeitgeber – und für die, die aktuell bei rivalisierenden Rennställen fahren, im Falle des Auslaufens ihrer Verträge um potenzielle neue Arbeitgeber. Auch die Rennen in den eher radsportfernen Ländern nimmt man dankbar an. „Alle, die in eine Sportveranstaltung involviert sind, sind froh, dass diese Sportveranstaltung überhaupt stattfindet. Wir wollen hier unsere Sponsoren präsentieren und Sport betreiben auf dem höchsten Level, mehr nicht“, sagte etwa Enrico Poitschke, sportlicher Leiter von Bahrain-Victorious, im letzten Jahr am Rande der Saudi Tour gegenüber unserer Redaktion. Das ist eine Mehrheitsmeinung.

Das heikle Thema „Sportswashing“ wird vor allem von Journalisten und Aktivisten angesprochen. Es ist das gleiche Prinzip, wie es auch im Fußball mit der umstrittenen WM in Katar, dem Aufkauf von Clubs wie Paris Saint-Germain, Manchester City und Newcastle United praktiziert wird: das Ansehen des eigenen Landes durch Veranstaltungen und Sponsoring von Sportevents und deren positiven Reputation in den Medien zu verbessern.

Der Radsport agierte als Testgelände. Bereits 2002 wurde erstmals die Katar-Rundfahrt der Profis ausgetragen. 2010 kam die Tour of Oman, 2014 die Dubai-Tour und 2020 die Saudi-Tour. Seit 2017 gibt es die Rennställe Bahrain-Victorious und UAE, seit diesem Jahr ist Al Ula aus Saudi-Arabien Co-Finanzier des Teams Jayco-Al Ula.

Sollten Lizenzen verweigert werden?

Die positiven Schlagzeilen aus dem Sport sollen die Nachrichten über Menschenrechtsverletzungen verdrängen – etwa bezüglich der Behandlung von migrantischen Arbeitern in Katar. Noch immer nicht sind Fälle wie die Ermordung des saudi-arabischen Journalisten Jamal Kashoggi oder die Folter von Demonstranten beim arabischen Frühling in Bahrain komplett aufgeklärt. Hinter Kashoggis Tod steht Kronprinz Mohammed bin Salman – der ist auch der starke Mann hinter der Sportoffensive des Landes. In Bahrain beteiligte sich Kronprinz Nasser – Initiator des Radsportrennstalls – nach Zeugenaussagen persönlich an den Folterungen. Deshalb forderte die Menschenrechtsorganisation Bahrain Institute for Rights and Democracy (BIRD): „Prinz Nasser wirft Geld in den internationalen Radsport, um sich von seiner Vergangenheit reinzuwaschen. Es ist die Pflicht der UCI, dem Bahrain-Rennstall die Lizenz zu verweigern.“ Nichts dergleichen geschieht: Das Team bekam vom Weltverband auch in der jüngsten Vergaberunde der World-Tour-Lizenzen grünes Licht.

In manchen Engagements steckt allerdings auch etwas Veränderungsdynamik. Felix Engelhardt, U-23-Europameister aus Ulm und Neuprofi bei Jayco-Al Ula, erzählte am Rande der Strade Bianche, dass die Profis des Radteams in Saudi-Arabien einzelne Sportlerinnen und Sportler unterstützen. „Wir wollen den Männern wie auch den Frauen dort Entwicklungsmöglichkeiten geben. Die haben doch in Saudi Arabien im Sport einen sehr schwierigen Stand. Und da versuchen wir eben als Team Verbindungen zu schaffen und ihnen Tipps zu geben im Sport.“

Das Engagement einzelner macht die Menschenrechtsverletzungen aber nicht ungeschehen. Sylvia Schenk, Ex-Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer und nun Leiterin der Arbeitsgruppe Sport von Transparency International Deutschland, fordert Sportverbände und Veranstalter auf, für klare Kriterien zu sorgen. „Sie sollten sich verpflichten, die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte anzuwenden und ein Menschenrechtskonzept zu entwickeln. Dabei geht es um vielfältige Themen – vom Umgang mit sexualisierter Gewalt im Verband über Mindestlohn für Arbeitskräfte bis zur Diversität in der Organisation und der Inklusion im aktiven Sport“, sagte sie auf Anfrage unserer Redaktion. Sonst droht auch der Radsport noch mehr zum Spielball von Regional- und Weltpolitik zu werden.