Ministerpräsident Kretschmann vor Picassos Antikriegsbild Guernica Foto: Rieger

Wie können Spanien und Baden-Württemberg enger zusammenarbeiten? Das erkundet Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Madrid und Barcelona.

Madrid - Die Frage der Fragen stellen ein paar Wirtschaftsleute bei badischem Spargelsalat und Stich den Buben: Wie macht er sich eigentlich, der Ober-Grüne Winfried Kretschmann? In kleiner Runde natürlich, draußen im Park der deutschen Botschaft zu Madrid, während der Ministerpräsident drinnen ein Weinfest eröffnet. Baden-Württemberg-Tage nennt sich die Veranstaltung, und wer von den spanischen Gästen mit dem Namen nichts anfangen kann, wird spätestens bei den aufgehängten Kuckucksuhren und der Sponsorenliste stutzig: Von Bosch über Daimler und Lidl bis Voith.

Wie macht er sich also? Wie sehen Industrievertreter einen Umweltprediger, der ihnen nach seinem Amtsantritt den Rat gab, lieber weniger Autos zu bauen als mehr? Kretschmann könnte zufrieden sein, hätte er dem Gespräch gelauscht. „Er hat gewonnen, er kommt an“, heißt es unisono. Von einer „enormen Lernkurve“ ist die Rede. Von einem, der erkannt habe, dass wirtschaftliche Zusammenhänge komplexer seien als Parteitagsanträge der Grünen. Vor allem aber hält man ihm zugute, dass er authentisch auftritt. Er sage, was er denke, heißt es. Auch wenn das den Unternehmern nicht passt. Und er stimme im Unterschied zu anderen Grünen kein moralisches Tremolo an.

Was er wirklich so denkt, erklärt der Ministerpräsident einen Tag später auf einem Kongress in der Botschaft über die Zukunft der Mobilität. Matthias Wissmann ist angereist, der Chef des Automobilverbands. Dazu ein hoher EU-Beamter, vor allem aber mehrere Vertreter der spanischen Autobranche – immerhin ist das Land der zweitgrößte Autobauer in Europa nach Deutschland. Mobilität sei mehr als Autofahren, sagt er und skizziert eine Welt ohne Staus, aber mit viel intelligenter Technik und noch mehr Variationen der Fortbewegung.

Doch er sagt auch Sätze wie: „Die Fahrzeuge müssen auch verkauft werden.“ Oder: „Der klassische Verbrennungsmotor wird noch eine lange Zukunft haben.“ Und dann kommt die Geschichte mit seinem Dienstwagen, die er so gern erzählt. Dass er bei Amtsantritt eine S-Klasse mit 340 Gramm Kohlendioxidausstoß gefahren sei, jetzt aber eine mit nur 115 Gramm benutze. Und dass er demnächst einen noch weit saubereren Wagen bestellen wolle. Ökologie ergebe eben auch ökonomisch Sinn, aber das wisse ja die Wirtschaft längst, ruft er ins Mikrofon.

Nein, sein grünes Weltbild hat Kretsch- mann nicht aufgegeben. Diesen Preis würde er für das Lob der Wirtschaft nicht bezahlen. Mit vielem sind die Unternehmer auch gar nicht einverstanden. Mit der Energiepolitik etwa, die das Produzieren so teuer mache, wie sie klagen. Oder mit dem geplanten Weiterbildungsurlaub für Arbeitnehmer. Spanien zeige doch, wie schnell ein Land abstürze, wenn man in guten Zeiten Fehler mache.

So ähnlich sagt es – ohne wahrscheinlich an die Grünen zu denken – auch die Bildungsministerin der Region Madrid, Lucia Figar de Lacalle. Auf einem Kongress in der Deutschen Handelskammer für Spanien sitzt sie neben Kretschmann und erinnert daran, dass ihr Land vor gar nicht so langer Zeit weniger Arbeitslose gehabt habe als die Bundesrepublik. Doch jetzt ächzt das Land – bei allen wirtschaftlichen Erholungszeichen – unter 26 Prozent Arbeitslosigkeit und mehr als 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Soll heißen: So schnell kann’s gehen.

Die Delegation aus dem so erfolgreichen deutschen Südwesten versucht immer wieder, den spanischen Gastgebern das duale Ausbildungs- und Hochschulsystem als Rezept gegen die Jugendarbeitslosigkeit schmackhaft zu machen. Das Interesse daran ist auch vorhanden: „Unser Bezugspunkt ist Deutschland“, sagt etwa Ignacio Gonzalez, der Präsident der Autonomen Gemeinschaft Madrid – also der Chef des Bundeslands um die spanische Hauptstadt. Doch so einfach, wie es sich mancher in der Delegation vorgestellt hatte, ist die Umstellung des Ausbildungssystems offensichtlich nicht. Vor allem dann nicht, wenn in der Bevölkerung die Meinung vorherrscht, nur eine Hochschulbildung sei etwas wert, wie viele der Gesprächspartner beklagen.

Aber auch gesetzliche Hürden, Kompetenzstreitigkeiten zwischen Regional- und Zentralregierung sowie Vorbehalte in der Lehrerschaft gegen eine praxisnahe Ausbildung machen es offenbar schwer für Spanien, dem deutschen Modell mir nichts, dir nichts zu folgen. Kretschmann setzt jedoch auf den Lockruf des Erfolgs, denn an einer Stelle sagt er: „Jetzt steht Deutschland so gut da, da glauben einem die Leute, was man erzählt, das ist aber nicht immer so.“ Damit hat er die Lacher auf seiner Seite. Doch eigentlich gibt er auch ein Bekenntnis ab: Dass Politik nicht viel taugt, wenn sie wirtschaftlich versagt.

Kretschmann, der Wirtschaftspolitiker. So macht er auch gar kein Hehl daraus, dass er mit der Reise, die ihn am Donnerstag nach Barcelona führte, auch einen ganz eigennützigen Zweck verfolgt. Es spreche doch nichts dagegen, dass junge Spanier in Deutschland arbeiten, sagt er mit Blick auf den Fachkräftemangel. Das solle ja keine Einbahnstraße sein, sondern in beide Richtungen gehen. Das sei aber ein sensibler Punkt, erklärt er bei einem Pressegespräch. Die Angst, Spanien verliere seine guten Leute – der viel beschworene brain drain also –, werde von seinen Gesprächspartnern immer wieder vorgebracht. Aber der Druck der hohen Jugendarbeitslosigkeit sei einfach größer.

Dass beide Seiten davon profitieren, wenn junge Leute im Ausland lernen und arbeiten, bekommt die Delegation in den vier Tagen reichlich vorgeführt: Ob beim Besuch der dualen Berufsschule in Madrid (Feda), wo Kretschmann eine Kooperation mit der Kaufmännischen Schule 1 in Stuttgart unterzeichnet, ob in der deutschen Hochschule EWA, die spanische Studenten dual ausbildet, oder bei der Firma Bosch. Doch was sie sehen, sind zaghafte Anfänge. Von Durchbruch kann keine Rede sein.

Doch Kretschmann drängt nie, sondern ist sehr bemüht darum, nur ja nicht den Eindruck von Besserwisserei aufkommen zu lassen. Ernst, fast zu ernst begegnet er seinen Gesprächspartnern. Als er in einem Museum das weltberühmte Picasso-Bild zur deutschen Bombardierung Guernicas im Spanischen Bürgerkrieg besichtigt, sagt er kein einziges Wort. Ein Kommentar zum Separationsstreit zwischen Katalonien und der Zentralregierung? Bloß nicht! Das sei eine innerspanische Angelegenheit, bescheidet er einen Journalisten.

Nur ab und zu blitzt der Schalk auf. Wenn er beiläufig erzählt, wie begehrt Spanisch als Fremdsprache an deutschen Schulen sei: „Deshalb rennen bei uns immer mehr Leute rum, die das können, unter anderem mein Sohn, der ist nämlich Spanisch-Lehrer.“ Dann blickt er in die Runde und prüft, welche Wirkung das hat.

Unser Redakteur Arnold Rieger begleitet die Regierungsdelegation von Ministerpräsident Kretsch- mann nach Spanien.