Die MS Euregia sticht von Friedrichshafen aus in See – an Bord genießen Passagiere und Helfer der Malteser einen Ausflug, der für die meisten etwas ganz Besonders darstellt und nur alle zwei Jahre stattfindet. Foto: Bock

Wer alt, behindert, krank oder einsam ist, verlässt oft seine vier Wände kaum noch. Es sei denn, er wird Teil des Sonnenzuges der Malteser – und bricht auf zum schwäbischen Meer.

Friedrichshafen - Die Kapelle gibt Vollgas. „Die Fischerin vom Bodensee“ tönt lautstark durch den Rumpf der MS Euregia. Unten im Schiff, wo normalerweise Autos transportiert werden können, sitzen Menschen und applaudieren den Musikern. „Gell, ein bisschen wie auf der Titanic“, sagt eine ältere Dame und lacht schallend. Doch weder die Musikkapelle Wolfegg noch die anderen Passagiere müssen sich Sorgen machen an diesem Tag im Mai: Die Sonne strahlt und im Bodensee sind keine Eisberge zu erwarten.

Außergewöhnlich ist das, was sich auf der MS Euregia und der MS Graf Zeppelin abspielt, aber dennoch. Nicht nur, weil an diesem frühlingshaften Sonntag Musikkapellen an Bord sind. Auch die anderen Fahrgäste sind keine gewöhnlichen Touristen. 400 ältere, behinderte oder einsame Menschen bevölkern die Decks, 40 davon im Rollstuhl. Dazu kommen 200 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer des Malteser Hilfsdienstes. Sie haben die Passagiere aus allen Teilen Baden-Württembergs mit Bussen und Spezialfahrzeugen nach Friedrichshafen gebracht. Zu einem Ausflug, den kaum einer der Teilnehmer sonst machen könnte. Kostenlos und mit Rundum-Versorgung. Mit Gottesdienst am Hafen und dreistündiger Schifffahrt über das schwäbische Meer.

Andere Hilfsorganisationen sind abgesprungen

„Nicht wenige der Leute hier kommen das ganze Jahr nicht aus ihren vier Wänden und warten nur auf diesen Tag“, sagt Georg Kolb. Der Göppinger organisiert den Ausflug, den es seit 1971 gibt, bereits seit 34 Jahren. Mit dabei sind vorwiegend Menschen, die auf unterschiedliche Weise Kontakt zu den Maltesern haben – weil sie in deren Einrichtungen leben, zum Demenztreff kommen, ihre Mahlzeiten geliefert bekommen, den Besuchs- und Begleitdienst oder den Hausnotruf nutzen. Sie alle werden eingeladen. Mal sind 800 dabei, mal 400 wie diesmal. So genau weiß man das vorher nie. „Man kann im Voraus nicht sagen, wie viele der Angemeldeten tatsächlich kommen“, erzählt Kolb. 100 konnten an diesem Sonntag nicht mit. Wenn Krankheit oder Alter den Tagesablauf bestimmen, ist selbst der Höhepunkt des Jahres eine unsichere Angelegenheit. Auch wenn es an Bord Ärzte und Sanitäter gibt.

Sonnenzug heißt die Aktion der Malteser, in Anlehnung daran, dass es früher mit dem Zug nach Friedrichshafen ging. Doch nach der Privatisierung schwand das Interesse der Bahn, seit 2005 fahren die Malteser deshalb ihre Gäste mit Bussen zum Bodensee. Überhaupt hat sich einiges geändert. Am Anfang waren noch andere Hilfsorganisationen mit im Boot. Doch die stiegen nach und nach aus. Irgendwann blieben nur noch die Malteser übrig – und mussten sich entscheiden. Allein weitermachen, das Risiko stemmen? Oder aufhören? „Die Rückmeldungen der Leute sind so positiv, da konnten wir nicht einfach Schluss machen“, sagt Kolb. Seither findet der Ausflug aus Kosten- und Organisationsgründen nur noch alle zwei Jahre statt.

Gäste und Helfer sind begeistert

Im mittleren Deck steigt die Stimmung. Von unten tönt die Blasmusik herauf, draußen zieht das Bodenseeufer mit Meersburg und Unteruhldingen vorbei. Nach den Maultaschen zum Mittagessen gibt’s jetzt Kaffee und Kuchen. „Ich bin zum dritten Mal dabei“, erzählt Lydia Lakatos. Eigentlich wäre es der vierte Ausflug, doch einmal hat sie sich zu spät angemeldet. „Das passiert mir nicht nochmal“, sagt die 86-Jährige, die in einem Esslinger Seniorenheim lebt und mit dem Rollator an Bord gegangen ist. „Die Stimmung ist immer sehr gut, alle sind begeistert. Ich finde es schön, dass man die Leute zu so etwas einlädt. Da kann man ein bisschen am Leben teilnehmen und fühlt sich nicht abgeschoben“, sagt sie. Und hat eine Erklärung parat, warum das Wetter dem Namen Sonnenzug schon traditionell Ehre macht: „Ich habe guten Kontakt zu Petrus. Ich rufe einfach vorher an“, sagt Lydia Lakatos und lächelt.

Nur einmal war das anders, gleich beim ersten Mal. Da goss es bei der Hafeneinfahrt wie aus Kübeln. Ein Friedrichshafener Händler lieh der Ausflugsgesellschaft daraufhin Regenschirme. Aber da war ja auch Lydia Lakatos mit ihren guten Verbindungen noch nicht dabei.

Ein Vergnügen ist der Sonnenzug aber nicht nur für die Passagiere. Auch die Helfer machen gern mit – und sind noch nie knapp geworden. „Es spricht sich herum, dass das eine tolle Geschichte ist“, weiß Organisator Kolb. Dementsprechend sind auch viele junge Malteser mit an Bord. So wie Sina Talhoff, die zum ersten Mal mitfährt. Die Kölnerin ist zum dualen Studium nach Stuttgart gekommen. Über den Arbeitgeber hat sie einen Tag lang Senioren in die Wilhelma begleitet – und Gefallen an dem Engagement gefunden. „Heute betreue ich eine ältere Dame einmal in der Woche. Das ist auch eine Art Ausgleich zum Studium“, erzählt die 22-Jährige. Ihr Kollege Hans Böhm dagegen ist vom ersten Sonnenzug an mit dabei. „Es macht einfach Spaß. Und die Leute fangen direkt danach an, vom nächsten Mal zu sprechen“, sagt der 67-jährige Stuttgarter und lacht.

Finanzierung als Kraftakt

Trotzdem sorgt die Aktion bei den Maltesern nicht nur für eitel Sonnenschein. Die Finanzierung ist immer wieder eine Herausforderung. „Wir kämpfen immer sehr hart darum. Die Motivation bei den vielen Helfern ist enorm“, sagt Regionalgeschäftsführer Klaus Weber. Rund 40 000 Euro werden benötigt, die Kosten steigen stetig. Busse, Schiffe, Verpflegung, all das muss bezahlt werden. Einen Teil steuert die katholische Diözese Rottenburg-Stuttgart bei, einen Teil die Stadt Friedrichshafen. „Der Rest muss über Einzelspender und kleinere Sponsoren hereinkommen“, weiß Weber.

Die MS Euregia pflügt durch den jetzt lebhafteren Bodensee. Während draußen Konstanz und das Schweizer Ufer vorüberziehen, wagen sich immer mehr der Passagiere auf die Freiluft-Decks und lassen sich den Wind um die Nase wehen. Helfer gehen mit, wo immer das notwendig ist. Viele halten mal hier ein Schwätzchen und stoßen da mal an. So viel Abwechslung gibt es für die meisten nur sehr selten.

Als die beiden Schiffe wieder in Friedrichshafen anlegen, gehen viele zufriedene Menschen von Bord. Keine Zwischenfälle, kein Mann über Bord. „Wir haben bis jetzt noch immer alle wieder gut heim gebracht“, sagt Organisator Kolb und lacht. Die Kapelle spielt ein letztes Stück. Kein Eisberg in Sicht. Für viele der Fahrgäste beginnt gleich nach der Heimfahrt das Warten – auf den nächsten Ausflug.