„Weggeschafft! Wer waren die Offenburger ‚Euthanasie‘-Opfer?“ heißt die aktuelle Sonderausstellung in der Gedenkstätte Salmen. Stadtarchivarin Regina Brischle berichtet vom Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse dort präsentiert werden.
Die Ausstellung im Offenburger Salmen widmet sich noch bis zum 28. April Menschen, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Stadtarchivarin Regina Brischle leitet das zugrundeliegende Forschungsprojekt. In einer Mitteilung der Stadt Offenburg erklärt sie historische Hintergründe und berichtet von der aufwendigen Recherche.
Frau Brischle, was muss man sich unter den Begriffen „Euthanasie“ und „Aktion T 4“ vorstellen?
„Euthanasie“ bezeichnet in der Zeit des Nationalsozialismus die systematische Ermordung von körperlich und geistig behinderten Menschen. Die Verbrechen leiteten sich aus der Eugenik ab, nach der die positiven Erbanlagen in einer Gesellschaft anhand von Auslese vergrößert und die negativen reduziert werden sollten. In Deutschland wurde nach der Machtergreifung Hitlers 1933 daraus die radikale nationalsozialistische „Rassenhygiene“. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ legte fest, wer als „lebenswert“ und wer als „lebensunwert“ eingestuft wurde. Darunter fielen als „Erbkranke“, „Asoziale“ oder als „minderwertig“ eingestufte Menschen. 1940 wurde mit der Ermordung von Patienten, die in Anstalten lebten, begonnen. Die Planung lag bei der Kanzlei des Führers in der Berliner Tiergartenstraße 4. Aus dieser Adresse leitete sich der Tarnname „Aktion T 4“ ab.
Wer entschied, wer leben darf und wer sterben muss?
Von der genannten Stelle wurden 1939 Fragebogen an alle Heil- und Pflegeanstalten sowie psychiatrische Einrichtungen verschickt, auf denen Angaben zu den Insassen gemacht werden mussten. Dabei wurde unter anderem auch gefragt wer Jude, „Zigeuner“ oder „Neger“ ist. Auf den Antworten wurde von ärztlichen Gutachtern ein blaues Minus für Leben und ein rotes Plus für Tod notiert.
Wie machen Sie die Offenburger Opfer ausfindig? Was ist mit ihnen passiert?
Eine große Schwierigkeit bei der Forschung ist, dass die Täter sich große Mühe gaben, ihre Verbrechen zu verschleiern. Die Menschen wurden vor ihrer Ermordung in andere Anstalten verlegt, von denen die Angehörigen keine Kenntnis erhielten. Sterbedaten, -orte und -ursachen wurden gefälscht. Die meisten Frauen, Männer und Kinder aus Baden und damit auch aus Offenburg wurden in Grafeneck auf der Schwäbischen Alb umgebracht. Dort hatte man am abgelegenen Ort die erste von sechs Tötungsanstalten in Deutschland eingerichtet. Direkt nach ihrer Ankunft wurden die Menschen in eine Gaskammer geführt und getötet, die Leichen im Krematorium verbrannt. Die Angehörigen erhielten Trostbriefe, die einen natürlichen Tod vortäuschen sollten. Sie haben die Forschungen geleitet.
Wer hat Sie unterstützt?
Um Unterlagen, wie zum Beispiel Patientenakten, auch in anderen Archiven finden zu können, brauchen wir Namen. Im Stadtarchiv gibt es einen großen Bestand Fürsorge-Akten, in dem wir bis jetzt 70 Personen finden konnten. Da eine unglaubliche Menge von mehr als 4500 Akten zu bearbeiten ist, habe ich mir Unterstützung von interessierten Mitgliedern des Historischen Vereins Offenburg, dessen Vorsitzende ich nebenbei bin, geholt. 15 Personen arbeiten seit mehr als einem Jahr wöchentlich zwei Stunden ehrenamtlich Akte für Akte durch und dokumentieren den Inhalt.
Wie geht es mit den Forschungen weiter?
Das Projekt ist auf mehrere Jahre angelegt. Es gibt noch viel zu recherchieren und zu überprüfen. Ziel der Ausstellung ist, das Thema bekannt zu machen, um aus der Bevölkerung Informationen, Dokumente und Fotos von Betroffenen zu erhalten.
Ein Zwischenbericht
Seit einem Jahr forscht eine Gruppe von 15 Mitgliedern des Historischen Vereins Offenburg ehrenamtlich im Stadtarchiv Offenburg nach den Menschen, die in der Zeit zwischen 1939 und 1945 Opfer der nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘ wurden. Bis jetzt konnten 70 Menschen namentlich identifiziert werden, informiert die Stadt. Die aktuelle Ausstellung im Salmen ist ein Zwischenbericht des Forschungsprojekts und zugleich Aufruf an die Bevölkerung, private Fotos, Dokumente und Informationen zu Opfern der ‚Euthanasie‘ beizusteuern.