"Sorgen und Ängste des echten Lebens sind da vergessen", meint DSV-Adler Markus Eisenbichler (hier in Planica 2019) zu seiner Gefühlswelt während des Skifliegens. Foto: Eibner

Skispringen: Skifliegen ist für viele Athleten das Höchste der Gefühle – sie träumen von der 300-Meter-Marke. 

Die Rekordjagd im Skifliegen ist zuletzt ein wenig ins Stocken geraten, für die magischen 300 Meter müssten neue Schanzen her – der Faszination einer WM wie nun in Planica tut dies aber keinen Abbruch.

Bei der Skiflug-WM am Wochenende in Planica stoßen der deutsche Rekordhalter Markus Eisenbichler und seine wagemutigen Kollegen bei Adrenalin-Werten wie in Todesangst erneut in Grenzbereiche vor. Und auch wenn der Weltrekord seit Jahren bei rund 250 Metern stagniert, fliegt der Traum von der nächsten Schallmauer mit.

Rekordjagd entschleunigt

"Ich glaube, dass die 300 Meter irgendwann übersprungen werden", sagt der zweimalige Skiflug-Weltmeister Sven Hannawald: "Mit den aktuellen Schanzen ist das aber nicht möglich." Die große Rekordhatz, die Mitte des vergangenen Jahrzehnts auf den frisch renovierten Riesenschanzen ihren Höhepunkt fand, hat sich entschleunigt: Zwischen 2015 und 2017 packten die weltbesten Flieger sieben Meter auf die Bestmarke, seit dreieinhalb Jahren steht diese bei vom Österreicher Stefan Kraft in Vikersund erzielten 253,5 Meter.

"Ich glaube, das ist jetzt aber das absolute Limit", sagte der damalige Bundestrainer Werner Schuster, sein norwegischer Kollege Alexander Stöckl hält auf den existierenden Anlagen eine Steigerung von "maximal noch einem Meter" für möglich, "danach wird es gefährlich", weil – so Schuster – "die Kräfte beim Skifliegen so groß sind, dass es einem fast die Schuhe auszieht."

Und das ist nur der physische Aspekt der rund achtsekündigen Luftfahrt mit über 100 km/h im Anlauf, bis zu elf, zwölf Metern Flughöhe und 130 km/h bei der Landung. "Die mentale Komponente spielt zudem eine entscheidende Rolle", sagte Schuster: "Es ist ein Tanz auf der Rasierklinge."

Wie groß die Anspannung beim Skifliegen ist, zeigte eine Studie aus dem Jahr 1998: Als der deutsche Teamarzt bei der WM den Adrenalinspiegel von Martin Schmitt und Sven Hannawald maß, wiesen diese Werte auf, die sonst Menschen in unmittelbarer Todespanik haben. Ein Kick, der Empfindungen im Suchtbereich ähnelt.

"Man denkt nicht viel"

"Man denkt nicht viel, genießt nur den Flug und will nicht, dass dieses Gefühl endet", sagt Eisenbichler: "Sorgen und Ängste des echten Lebens sind da vergessen." Skifliegen also eine Art sportliches Heroin?

Der Weltverband Fis zumindest sah die Weitenjagd lange kritisch, entschied 1986, den Weltrekord bei 191 Metern einzufrieren – jeder Flug, der diese Weite übertraf, wurde als eben 191 Meter gewertet. Skifliegen wurde witzlos, bis die Fis die Weitenjagd 1994 wieder freigab. Ein gutes Vierteljahrhundert später und 60 Meter weiter sind die vier aktiven Flugschanzen in Vikersund (letzter Umbau 2011), Planica, Bad Mitterndorf (beide 2014) und Oberstdorf (2016) fast ausgereizt, der 300-Meter-Traum ruht zwangsweise.

Größere Schanzen?

"Aber wenn jemand das Geld in die Hand nimmt und eine viel größere Schanze baut, dann steht dem nichts im Wege", sagte Hannawald. Aus medizinischer Sicht wären 300 Meter kein Problem, bei einem entsprechend langgezogenen Hang würde sich die Fluggeschwindigkeit gegenüber jetzigen Werten kaum erhöhen, der Landedruck nicht steigen.

Doch nicht allen behagt der Gedanke. "Wir wollen keine Rekordjagd um jeden Preis", sagte der frühere Fis-Renndirektor Walter Hofer: "Schließlich soll der Zuschauer nicht nur irgendwo einen schwarzen Punkt fliegen sehen."

So lief in der Qualifikation in Planica

Markus Eisenbichler hat seine Favoritenstellung bei der Skiflug-WM im slowenischen Planica noch einmal untermauert. Mit einem Flug auf 225,5 Meter gewann der 29 Jahre alte Bayer die Qualifikation. Hinter ihm komplettierten der Österreicher Michael Hayböck (242,5 Meter) und Norwegens Weltcup-Führender Halvor Egner Granerud (221,5 Meter) die drei Top-Ränge.

Auch Karl Geiger (4.), Pius Paschke (9.) und Constantin Schmid (20.) meisterten problemlos die Qualifikation. Eine wirkliche Ausscheidung war die Quali ohnehin nicht: Von 47 Athleten wurden die zwei Schweizer Dominik Peter und Gregor Deschwanden wegen eines Corona-Falls im Team ausgeschlossen, dazu erwischte es den Tschechen Filip Sakala (disqualifiziert) und vier weitere Außenseiter.