Vom Dienstrechner aus Porno-Seiten aufzurufen, ist schon unter normalen Umständen heikel. Wenn dies aber auch noch im Kölner Erzbistum von Kardinal Woelki geschieht, hat es nochmal eine andere Dimension. Ein Essay zu einem heiklen Thema.
(Fast) jeder Mann macht’s. Frauen auch, wenn auch sehr viel weniger. Die Rede ist von Pornos gucken. Wer heute etwas über Sex wissen will, geht ins Internet. Ein Mausklick – und schon ist man im Netz der nackten Tatsachen, über die niemand gerne spricht und die doch (fast) alle (Männer) aus eigener Anschauung lustvoll kennen.
Wo man hinschaut: Sodom und Gomorra
Fast alle? Man fühlt sich an die legendären Einleitungsworte eines jeden „Asterix“-Comics erinnert: „Ganz Gallien ist von den Römern besetzt . . . Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“
Das „unbeugsame Dorf“ ist in diesem Fall die katholische Kirche. Und der „Eindringling“ die sündige, verweltlichte und unmoralische Welt. Wittern katholische Würdenträger nicht überall Sodom und Gomorra in dieser gottfernen Welt der Sünde und Unmoral?
Und dann ist da plötzlich - wie aus dem Nichts - am Freitagnachmittag diese Meldung in den Online-News-Kanälen zu lesen, bei der selbst rheinischen Frohnaturen das Lachen vergeht:
Kleriker und andere Mitarbeiter des Erzbistums Köln hätten „reges Interesse an Pornoseiten“ gezeigt. Es habe „massenhafte Zugriffsversuche auf Porno-Webseiten von Dienstrechnern des Erzbistums Köln“ aus gegeben, berichtet der „Kölner Stadt-Anzeiger“. Von mehr als 1000 solcher Versuche ist die Rede. Unter den „Dutzenden Mitarbeitern“ seien auch „höchstrangige Kleriker“ gewesen.
Die Reaktionen im Netz lassen nicht lange auf sich warten
Peinlichkeit für das Erzbistum
Das Kölner Erzbistum versucht erst gar nicht, diese Peinlichkeit aus der Welt zu schaffen. Getreu dem Sprichwort „Angriff ist die beste Verteidigung“ legt die Kirchenzentrale alle Fakten auf den Tisch. Kurzerhand bestätigt sie die Existenz der Liste, auf der Zugriffsversuche auf Pornoseiten von Mitarbeitern des Generalvikariats dokumentiert seien.
Auch in der Kirche gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Das Erzbistum lasse regelmäßig checken, ob die Firewalls Zugriffsversuche auf risikobehaftete Seiten mit Gewaltdarstellungen, Pornografie oder Drogen abwehren könnten, heißt es im Ordinariat, der obersten Verwaltungsstelle des Erzbistums.
Das Nutzungsverhalten einzelner Personen solle damit allerdings nicht kontrolliert werden. Diese Liste sei das Ergebnis einer Routineprüfung des zuständigen IT-Dienstleisters.
Die dokumentierten Zugriffsversuche seien durch den automatischen Web-Content-Filter erfolgreich verhindert worden. „Es gab auf Basis der Routineprüfung keine Anhaltspunkte für strafrechtlich relevantes Verhalten“, so das Erzbistum weiter.
Kardinal Woelki hat nicht geguckt
Und gottlob, der größte anzunehmende innerkirchliche Unfall ist ausgeblieben: Kardinal Rainer Maria Woelki, Oberhirte des größten deutschen Bistums, habe keine „Pornos angeguckt“, sieht sich das Erzbistum am Freitgabend eiligst genötigt in einer Stellungnahme klarzustellen.
„Es haben uns mehrere Anfragen der Medien erreicht, ob der Kardinal ebenfalls zu den Nutzern der inkriminierten Seiten gehört“, teilt das Ordinariat mit. „Die hausinternen Nachforschungen haben eindeutig ergeben, dass das nicht der Fall ist.“
Woelki ist zutiefst enttäuscht über seine Mitarbeiter
Kardinal Woelki selbst äußert sich in einer Stellungnahme „enttäuscht“ über die betreffenden Mitarbeiter. „Manch einem mag der Konsum von Pornografie als harmlos erscheinen.“ Das sei er aber nicht. Er stimme Papst Franziskus zu, so Woelki, „der sie verurteilt und vor ihren Gefahren, insbesondere der Verletzung der menschlichen Würde warnt“.
Als er davon erfahren habe, habe er umgehend eine Prüfung erbeten und angeordnet, nach den rechtlichen Regelungen zu verfahren. „Wir haben im kirchlichen Bereich eine große Zahl engagierter und zuverlässiger Mitarbeitender“, betont Woelki. „Mir ist wichtig, dass jetzt nicht alle unter Generalverdacht gestellt werden.“
Staatsanwaltschaft gibt Entwarnung
Sogar die Staatsanwaltschaft der Domstadt ist informiert. Die Liste des Erzbistums liege der Behörde vor und werde geprüft, bestätigt am Abend eine Sprecherin.
Es gebe bisher aber weder den Anfangsverdacht einer Straftat noch ein Ermittlungsverfahren. Der Besuch von Pornoseiten sei nur dann strafbar, wenn dort zum Beispiel Minderjährige bei sexuellen Handlungen zu sehen sind.
Ist die Sache damit erledigt?
Juristisch gesehen: Ja! Das Erzbistum hat in der letzten Zeit schon ganz andere Skandale durchgestanden. Und Rainer Maria Woelki war dabei nicht immer als „Unschuldslamm“ erschienen. Doch bei einer Institution, die den erhobenen Zeigefinger zum Sinnbild ihrer Moraltheologie auserkoren hat und unentwegt auf die Befolgung der reinen Lehre pocht, ist die Sachlage nicht ganz so einfach.
Der katholischen Lehre zufolge ist nämlich der Konsum von Pornografie Sünde. Demnach ist ein Sünder, wer sich gegen Gott und seine Gebote auflehnt und freiwillig das göttliche Gesetz übertritt. Es ist also die kirchliche Kasuistik selbst, welche die „Porno-Gucker“ in der erzbischöflichen Verwaltung des Frevels überführt.
Denn sie haben die anrüchigen Webseiten freiwillig, ohne äußeren Zwang und im vollen Wissen um die moralische Verwerflichkeit ihres Tuns angeklickt. Damit haben sie unstrittig gegen Gottes Gebote – oder zumindest die der Kirche – verstoßen. Ergo sind sie echte Sünder.
Digitale Pornografie: Für den Papst ein teuflisches Laster
Man kann der katholischen Kirche nicht vorwerfen, sie würde Pornografie und deren Konsum offiziell auf die leichte Schulter nehmen. Bei einem Treffen mit Seminaristen (also angehenden Priestern) in Rom im vergangenen Oktober sagte der oberste Katholik, Papst Franziskus: Jeder solle darüber „nachdenken, ob er schon einmal in die Versuchung der digitalen Pornografie geraten ist“. Dabei handele es sich um ein „Laster“, das auch viele Priester und Nonnen hätten.
„So tritt der Teufel ein“, mahnte der 86-jährige Pontifex. Er spreche nicht nur von „krimineller Pornografie“, wie jener mit Missbrauch von Kindern, sondern auch von der „einigermaßen normalen Pornografie“.
„Pornografie ist eine schwere Verfehlung“
Laut „Katechismus der Katholischen Kirche“ ist Pornografie an sich Sünde. Dort heißt es (KKK 2354): „Pornografie besteht darin, tatsächliche oder vorgetäuschte geschlechtliche Akte vorsätzlich aus der Intimität der Partner herauszunehmen, um sie Dritten vorzuzeigen.“
Und weiter steht geschrieben: „ Sie verletzt die Keuschheit, weil sie den ehelichen Akt, die intime Hingabe eines Gatten an den anderen, entstellt. Sie verletzt die Würde aller Beteiligten (Schauspieler, Händler, Publikum) schwer. Diese werden nämlich zum Gegenstand eines primitiven Vergnügens und zur Quelle eines unerlaubten Profits. Pornografie versetzt alle Beteiligten in eine Scheinwelt. Sie ist eine schwere Verfehlung.“
Zumindest von Klerikern könnte man erwarten, dass sie den Katechismus ihrer Kirche gelesen haben – und befolgen. Aber das ist - zumindest in manchen Fällen - wohl genauso ein frommer Wunsch, wie der nach einer kirchlichen Morallehre, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Kirchliches Paralleluniversum
Lebensfern, unmoralisch, diskriminierend: Das sind nur einige Attribute, die Gläubigen wie Ungläubigen, Kirchenmitgliedern wie Ausgetretenen beim Stichwort katholische Sexualmoral einfallen. Diese ist selbst für die überwiegende Mehrheit der Katholiken ein tradierter ideologischer Ballast, den kaum noch jemand ernst nehmen kann – geschweige denn danach lebt.
Die offizielle kirchliche Lehre und das kirchliche Leben spielt sich in einem Paralleluniversum ab, das mit der Realität der Menschen nicht mehr viel gemeinsam hat. Wobei man sich auch fragen muss, ob es jemals anders war in der Kirchengeschichte.
Weitere Imageschaden und peinliche Petitesse
Wie soll man die Kölner Enthüllungen nun einordnen oder bewerten? Ist moralische Entrüstung angebracht? Oder besser entnervtes Kopfschütteln? Oder gar völliges Desinteresse?
Dass kirchliche Mitarbeiter während oder außerhalb ihrer Arbeitszeit Pornos gucken ist angesichts der (nicht enden wollenden) Vorwürfe und Enthüllungen aufgrund sexuellen Missbrauchs durch Priester und der sich darin offenbarenden kriminellen Energie und Menschenverachtung nicht der Rede wert. Allenfalls handelt es sich um einen heiklen Imageschaden, eine peinliche Petitesse. Nichts weiter!