So dämonisch verzerrt nimmt ein 58-jähriger Amerikaner, der an der äußert seltenen Nervenerkrankung Prosopometamorphopsie leidet, die Gesichter anderer Menschen wahr. Foto: © A. Mello e/al

Prosopometamorphopsie ist eine sehr seltene neurologische Erkrankung. Wer daran leidet, sieht Gesichter zu dämonischen Fratzen und Grimassen verzerrt. Über die Ursachen ist nur wenig bekannt. Jetzt haben US-Forscher einen Betroffnen genauer untersucht und sind zu wegweisenden Erkenntnissen gekommen.

„Jeder Mensch trägt einen Dämon in sich, der ihn reizt und ihn zu seinen Handlungen treibt“ (der griechische Philosoph Sokrates, 469-399 v. Chr.).

 

Haben Sie Angst vor Dämonen? Wenn ja, brauchen Sie sich keine Sorgen machen. Die bösen Geistwesen sind nicht real, sondern nur eine Täuschung. Für einen 58-jährigen Amerikaner ist die dämonische Täuschung allerdings bedrohlich echt. Er nimmt jedes Gesicht, das er sieht, verzerrt wie die Grimasse und Fratze eines Dämonen wahr. Und das schon seit vielen Jahren.

Der Mann leidet an einer äußerst seltenen neurologischen Krankheit, die in der Medizin Prosopometamorphopsie (PMO) genannt wird. „Prosopo“ kommt von dem griechischen Wort „prosopon“ – Gesicht – , während sich „Metamorphosia“ auf Wahrnehmungsstörungen bezieht.

Nur 75 Fälle der Nervenerkrankung sind weltweit bekannt

Forscher haben die neurologische Wahrnehmungsstörung des Mannes jetzt genauer untersucht, um die Nervenerkrankung besser verstehen zu können. So sind erstmals Echtzeit-Bilder aus Sicht eines Betroffenen entstanden. Ihre Studie ist im Fachmagazin „The Lancet“ erschienen.

Bisher sind weltweit nur 75 Fälle von Prosopometamorphopsie bekannt. Betroffene nehmen jedes Gesicht, in das sie schauen, verzerrt wahr. Die Gesichtszüge sind gestreckt oder gestaucht, schrill gefärbt oder erscheinen ungewöhnlich groß oder klein.

Erkrankte sehen überall fratzenhafte Gesichter

Die Neuro-Erkrankung Prosopometamorphopsie (PMO) verzerrt die Wahrnehmung von Gesichtern. Foto: © A. Mello et al 

Die verzerrte Wahrnehmung hält in der Regel nur wenige Tage oder Wochen an, in seltenen Fällen - wie bei dem 58-jähriger Amerikaner - können es aber auch Jahre sein. Auf der Suche nach Rat und Hilfe hatte sich der Mann an den Neurologen Antônio Mello vom Dartmouth College in Hanover (US-Bundesstaat New Hampshire) gewandt.

Anders als bei allen bisher bekannten PMO-Fällen erscheinen ihm nur reale Gesichter verzerrt. Wenn er in Porträts auf einem Bildschirm oder auf Papier blickt, sieht er statt einer Dämonenfratze ein ganz normales menschliches Antlitz.

Froschmaul, Schlitzaugen, spitze Ohren, tiefe Furchen

Was Prosopometamorphopsie verursacht, ist  weitgehend unbekannt. Sie kann diagnostisch beispielsweise nach einem Kopftrauma, einem Hirninfarkt, einer Epilepsie oder Migräne auftreten. Foto: Imago/Yay Images

Die Neurologen zeigten dem 58-Jährigen die Gesichter verschiedener Personen gleichzeitig live und als Foto. Mithilfe einer Bildbearbeitungssoftware und den Beschreibungen des Patienten konnten sie die Fotos dann so verändern, dass sie exakte Kopien dessen darstellten, wie der Betroffene die Gesichter seiner Mitmenschen tagtäglich wahrnimmt.

Das Ergebnis ist ein einmaliger Einblick in die Welt von PMO-Kranken. Die Augen anderer Menschen erscheinen dem Patienten zu länglichen Schlitzen verzerrt. An Stirn, Kinn und Wangen klaffen tiefe Furchen. Der Mund formt sich zu einem breiten Froschmaul. Die Ohren laufen so spitz zu wie bei Elben und Orks in den Fantasy-Filmen „Der Herr der Ringe“.

Verschiedene Formen von Prosopometamorphopsie

  • Mikropsie (gr. „mikros“ – klein): Die Umgebung wird verkleinert wahrgenommen.
  • Makropsie (gr. „makros“ – groß): Die Umgebung erscheint als Ganzes oder im Detail vergrößert.
  • Dysmorphopsie: Die Umgebung erscheint unförmig und verzerrt.
  • Teleopsie: Die Umgebung wird weiter entfernt wahrgenommen.
  • Pelopsie: Objekte erscheinen näher herangerückt.
  • Achromatopsie: Farben können nicht mehr wahrgenommen werden.
  • Chromatopsie: Objekte erscheinen farblich verändert. zum Bispiel wird die ganze Umgebung nur in einem Farbton wahrgenommen (bei der Cyanopsie erscheint alles in Blautönen).
  • Akinetopsie: Bewegte Objekte können nicht mehr wahrgenommen werden.

Was verursacht die Krankheit?

Die verzerrte Wahrnehmung hält in der Regel nur wenige Tage oder Wochen an, in sehr seltenen Fällen können es aber auch Jahre sein. Foto: Imago/Imagebroker

Was eine Prosopometamorphopsie verursacht, ist noch weitgehend unbekannt. Diagnostisch kann sie beispielsweise nach einem Kopftrauma, einem Hirninfarkt, einer Epilepsie oder Migräne auftreten. Ätiologisch – also die Ursachen betreffend – kommen auch Augenerkrankungen, neurologische und psychische Erkrankungen in Betracht.

Bei dem 58-Jährigen sind laut Studie gleich mehrere Ursachen möglich. „Der Patient litt an einer bipolaren affektiven Störung und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Außerdem erlitt er im Alter von 43 Jahren eine schwere Kopfverletzung, die zu einem Krankenhausaufenthalt führte", berichten die Neurologen. "Darüber hinaus hatte er im Alter von 55 Jahren möglicherweise eine Kohlenmonoxidvergiftung, die vier Monate vor dem Auftreten seiner Verzerrungssymptome stattfand."

Weder aus dem Scan im Magnetresonanztomographen (MRT) noch aus den Tests auf Medikamente und psychoaktive Drogen ergaben sich jedoch Auffälligkeiten, die auf eine spezifische Ursache für PMO hindeuten.

PMO auch bei Medizinern kaum bekannt

Ätiologisch – also die Ursachen betreffend – kommen Kopftrauma, ein Hirninfarkt, eine Epilepsie oder Migräne sowie Augenerkrankungen, neurologische und psychische Erkrankungen in Betracht. Foto: Imago/Yay Images

Mit ihren neuen Erkenntnissen wollen die Neurologen die Krankheit besser verstehen und bekannter machen. Denn da selbst Medizinern PMO kaum bekannt ist, kommt es immer wieder zu Fehldiagnosen. „Wir haben von mehreren Menschen mit PMO gehört, dass sie von Psychiatern als schizophren diagnostiziert und auf Antipsychotika gesetzt wurden, obwohl es sich bei ihrem Leiden um ein Problem mit dem visuellen System handelt“, erzählt Brad Duchaine vom Dartmouth College.

„Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen, die an PMO leiden, anderen nicht von ihrem Problem mit der Gesichtswahrnehmung erzählen, weil sie befürchten, dass andere die Verzerrungen für ein Zeichen einer psychiatrischen Störung halten“, sagt Duchaine weiter. Ohne dieses Stigma würde es Betroffenen deutlich leichter fallen, sich professionelle Hilfe zu suchen.