Eine "wilde Geschichte", die sich vor Jahren bei Schramberg zugetragen hatte, endete jetzt vor dem Oberndorfer Amtsgericht. Foto: Danner

Zwei Männer stehen wegen Entzug Minderjähriger und Körperverletzung vor Gericht.

Schramberg - Der Vater, der im Sommer 2015 seine damals zwölfjährige Tochter in Schramberg auf offener Straße in ein Auto gezerrt und es so seiner Mutter entzogen hat, stand am Mittwoch in Oberndorf vor Gericht.

Die über dreistündige Verhandlung endet mit einer vorläufigen Verfahrenseinstellung. Der Vater, dem der Entzug Minderjähriger vorgeworfen wurde, muss 1200 Euro Geldbuße bezahlen, sein Freund, der damals das Auto gefahren ist, 100 Stunden gemeinnützig Arbeit ableisten. Die zwei Männer, die im Raum Augsburg wohnen, können sich ein Lächeln nicht verkneifen, als Richter Wolfgang Heuer den Beschluss verkündet. Offensichtlich haben auch sie mit einer härteren Strafe gerechnet. Der Amtsgerichtsdirektor hält den beiden zugute, dass sie nicht vorbestraft sind und die Tat schon länger zurückliegt.

Die Tat

Die zwölfjährige C. verbringt im August 2015 einen Teil der Sommerferien bei ihrer Mutter in Schramberg. Diese hat für die Zeit das Umgangsrecht. Die Eltern sind geschieden, das Mädchen lebt seit dem vierten Lebensjahr bei ihrem Vater. Dieser hat das Sorgerecht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für seine Tochter. "Die Streitigkeiten füllen mittlerweile ganze Leitzordner" – der Satz von Staatsanwältin Bettina Körber-Renz lässt tief in die zerrüttete Geschichte der Familie blicken.

Die heute 52-jährige Mutter spaziert am Nachmittag des 16. August 2015 mit ihrer Tochter durch die Stadt, als sich von hinten ein Auto nähert. Die hintere Türe geht auf, ein Mann steigt aus, es kommt zu einem "Tohuwabohu", formulieren es Zeugen später. Bei dem Mann handelt es sich um den Vater des Kindes.

Die Mutter ruft um Hilfe, ein Nachbar schreitet ein. Der Vater zerrt seine Tochter auf den Rücksitz, das Auto fährt Richtung Sulgen davon. Im Eifer des Gefechts werden Mutter und Nachbar leicht verletzt. Vor Gericht spricht der Verteidiger des Vaters von einer "emotionalen Spontanentgleisung". Das Mädchen bleibt sieben Tage lang verschwunden, bundesweit wird nach ihm gefahndet. Später gibt der Vater an, es sei bei Bekannten untergebracht gewesen. "Warum haben Sie der Suche kein Ende gesetzt?", will Heuer von dem Angeklagten wissen. "Meine Tochter wollte nicht mit den Leuten reden", bekommt er zur Antwort.

Der Vater

Wenige Tage vor der Tat erfährt der Vater A., Jahrgang 1964, von einem Antrag seiner geschiedenen Frau. Darin wird seine Tochter zitiert, sie wolle künftig lieber bei ihrer Mutter in Schramberg wohnen. "C. befürchtete, dass der Vater aggressiv wird, wenn er von ihrem Wunsch erfährt." Mit einer eidesstattlichen Versicherung untermauert die Schrambergerin die Aussage ihrer Tochter. "Ich wusste gar nicht mehr, wo ich stehe", beschreibt der Techniker seine damalige Empfindung. Er zweifelt die Aussage an. Der Alleinerziehende bekommt Panik, will mit seiner Tochter reden. Er überredet einen Freund, an diesem Sommertag mit ihm nach Schramberg zu fahren. Für ein Gespräch, mehr nicht. "Mein Mandant hatte nicht vor, seine Tochter unter Zwang mitzunehmen", erklärt sein Anwalt. Die Situation sei eskaliert. "Er hat sich falsch verhalten."

Der Freund

Der Fahrer des Autos ist ein Freund von A. Die beiden Männer haben sich bei einer Selbsthilfegruppe für getrennt lebende Eltern kennengelernt. Er sollte an dem Gespräch als Zeuge teilnehmen, jetzt steht er wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. Als er mit dem Mädchen im Auto los gefahren ist, verhakte sich der Nachbar, der Hilferufe gehört hatte, am Türgriff des Autos, die Mutter sei gar mitgeschleift worden. Beide erlitten Schürfwunden. Ein ärztliches Schreiben attestiert der Frau unter anderem Beschwerden an der Halswirbelsäule.

Obwohl unmittelbar dabei, will der Arbeitssuchende von dem ganzen Vorfall so gut wie nichts mitbekommen haben. "Fahr los", habe A. ihm zugerufen. "Das habe ich gemacht. Dann konzentrierte ich mich auf den Verkehr." Und das Mädchen auf seiner Rückbank? "Die hat sich mit ihrem Vater unterhalten, da wollte ich nicht stören." Personen, die mitgeschleift wurden? "Habe ich nicht bemerkt." Richter Heuer bezeichnet diese Darstellung als "wilde Geschichte".

Die Mutter

Mit harten Bandagen kämpfen die Schrambergerin und ihr geschiedener Mann seit Jahren um die gemeinsame Tochter. Ihre Familiengeschichte ist an mehreren Gerichten in Baden-Württemberg und Bayern bekannt. Es geht ums Sorgerecht, um fehlende Unterhaltszahlungen, um ein fast gar "minutiös ausgehandeltes Umgangsrecht", so Heuer. Als ihr Vater C. ins Auto zerrte, habe diese geschrien und sich an ihr festgehalten. "Meine Tochter hat nicht losgelassen und ich wurde rund 30 Meter mitgeschleift." Dafür müsse ihr Kind "übermenschliche Kräfte" besitzen, wirft Heuer ein. Statt ihre Aussage zu überdenken, bekräftigt die Mutter: "Dieses Gefühl hatte ich auch."

Mutter und Tochter haben sich seit jenem Sonntag im Jahr 2015 nur zweimal gesehen: einmal vor Gericht und einmal bei einem Dreier-Gespräch mit einem Therapeuten.