Die Teuerungsdemonstration in der Hauptstraße der Stadt Schramberg am 10. Juli 1920Foto: Stadtarchiv Schramberg Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Mehr als 4000 Bürger protestierten heute vor 100 Jahren in Schramberg / Milchablieferung auch ein Thema

Zu Beginn der Weimarer Republik stiegen die Preise für Lebensmittel immer weiter an. Am 10. Juli 1920, heute vor 100 Jahren, versammelten sich mehr als 4000 Bürger deshalb zur bis heute wohl größten Demonstration in der Geschichte der Stadt Schramberg.

Schramberg. Die wirtschaftliche Situation der Weimarer Republik war in ihren Anfangsjahren sehr angespannt. Durch die Folgen des Ersten Weltkriegs, vor allem die Bestimmungen des Versailler Vertrags, wurde sie stark belastet. 1919 war die deutsche Industrieproduktion auf den Stand von 1888 zurückgefallen. Zwar erholte sich die junge Republik langsam, doch die Inflation machte sich bemerkbar. Im Krisenjahr 1923 sollte sie in die Hyperinflation und damit in den vollständigen Zusammenbruch der Währung münden.

Auch Schramberg war von der Wirtschaftskrise stark betroffen. Die Preise für Lebensmittel, aber auch für Brennholz, Schuhe und Kleidung stiegen stetig weiter an. Auch Lohnerhöhungen, so genannte "Teuerungszulagen", konnten diesem Problem nicht entscheidend entgegenwirken.

So kam es zu erheblichen, auch öffentlich diskutierten Spannungen vor allem zwischen Arbeiterschaft, Einzelhändlern und Stadtverwaltung. Den Geschäftsleuten wurden Preisüberhöhungen vorgeworfen. Diese wiederum wehrten sich öffentlich mit der Argumentation, dass die Preise durch den Großhandel diktiert würden und sie deshalb an diese gebunden seien.

Von der Stadtverwaltung, aber auch von der Landesregierung verlangte die Bevölkerung die Regulierung der Lebensmittelpreise und das Verhindern von Preiserhöhungen. Dabei drohte sie am 13. April 1920 im "Schwarzwälder Tagblatt" sogar offen mit einer Demonstration und damit einem Verstoß gegen das von Stuttgart verhängte Versammlungsverbot unter freiem Himmel.

Ergänzend wurde angemerkt: "Für den Ausgang dieser Versammlung können die Arbeiterführer keine Garantie übernehmen." Vielerorts im deutschen Reich wurden Demonstrationen abgehalten. So fand am 22. Juni 1920 auch in Schramberg die wohl erste von mehreren Protestversammlungen statt. Dabei versammelten sich "Teilnehmer aus allen Kreisen der Bevölkerung" auf dem vorderen Rathausplatz.

Nach den Reden zweier Gewerkschaftsvertreter und von Stadtschultheiß Eugen Ritter (1880 bis 1940) löste sich die Veranstaltung friedlich auf. Als sich an der Situation trotz mehrerer Demonstrationen nichts geändert hatte, beschlossen die sozialistischen Gewerkschaften, "endlich einmal energische Schritte zu unternehmen".

Preisabschläge gefordert

Wohl mehr als 4000 Demonstranten versammelten sich am 10. Juli 1920 auf dem vorderen Rathausplatz. Hermann Siegel (1892 bis 1963), Vertreter der Freien Gewerkschaften und USPD-Mitglied, hielt von der Südecke des Rathauses eine Ansprache an die Menge.

Zuerst sprach Siegel dabei über den Zweck der Veranstaltung und rief zu einem ruhigen und geordneten Vorgehen auf. Daraufhin beschrieb er den Ablaufplan. An diesen hielten sich die Demonstranten: Die Menge setzte sich in Bewegung, um von Geschäft zu Geschäft zu gehen und dort Preisabschläge von 30 bis 50 Prozent zu fordern.

Ausgenommen waren Bäckereien und Metzgereien, deren Waren rationiert waren, sowie Papierwarengeschäfte. Größtenteils bewilligten die Einzelhändler angesichts der Menschenmasse die Preissenkungen ohne größere Umstände.

Zwei Zwischenfälle

Bei zwei Geschäften kam es jedoch zu Zwischenfällen: Ein Schaufenster sowie die Auslagen des Textilgeschäfts Holzherr wurden zerstört. Die Angaben zu den Gründen differieren: Ob wütende Demonstranten die Zerstörung bewusst anrichteten oder die vorne Stehenden durch die Nachrückenden in das Schaufenster gedrückt wurden, ist nicht ganz klar. Zudem wurde der Obsthändler Hermann Kunz (1881 bis 1966) bei dessen Geschäft in der Berneckstraße 28 verprügelt; vermutlich, weil er die Menge provoziert hatte.

Zum Rathaus Aichhalden

Später versammelten sich die Demonstranten erneut und suchten ab 16 Uhr den Landwirt Andreas Moosmann (1877 bis 1948) auf der Buz in Aichhalden auf, der sich geweigert hatte, seine Milch abzuliefern. Seine Frau Theresia (1883 bis 1967) gab im Namen ihres Mannes an, er werde wieder Milch liefern. Daraufhin begab sich die Menge zum Rathaus in Aichhalden, wo "die Milchablieferungspapiere kontrolliert und dabei krasse Missstände gefunden" wurden. Anschließend wurden auch in Sulgen die Milchlisten revidiert.

Den wegen Milchfälschung verurteilten Landwirt Johannes Flaig (1864 bis 1938) und seine Frau Maria Flaig (1874 bis 1945) auf der Oberreute steckten die Demonstranten kopfüber in eine Regentonne. Zuvor war bereits gegen den ebenfalls auf der Oberreute wohnhaften und unter dem Namen Kasimir bekannten Landwirt Josef Flaig (1865 bis 1936) vorgegangen worden.

Bereits nach der Revolte am Mittag setzte ein Massenkauf ein. Besonders die Wohlhabenden kauften Massen an Waren ein und verkauften diese teilweise in andere Orte in der Umgebung weiter. Auch Auswärtige kauften in Mengen. So wurde ein nicht unbedeutender Teil der Lebensmittel aus Schramberg herausgebracht. Zudem kam es zu einigen Diebstählen.

Am Tag darauf trafen die Gewerkschaften, der Beamtenbund, die Arbeitsgemeinschaft der Angestellten-Verbände und 157 Geschäftsinhaber gemeinsame Vereinbarungen: Die Preise der an diesem Tag in den Geschäften befindlichen Ware mussten um 30 Prozent gesenkt werden. Neue Artikel durften nur zu diesen Preisen und, wenn möglich, noch billiger verkauft werden. Zur Kontrolle wurde ein Überwachungsausschuss aus den Verhandlungsteilnehmern gebildet. Weiter sollten die Lebensmittel zuerst an Schramberger und dann an Auswärtige, welche einen Ausweis durch die städtische Nahrungsmittelstelle erhalten hatten, verteilt werden.

Aufruf zur Ruhe

Am 13. Juli 1920 rief Stadtschultheiß Eugen Ritter die Schramberger Einwohnerschaft über das "Schwarzwälder Tagblatt" zu "Ruhe und Ordnung" auf. Die Regelungen wurden im Nachhinein noch einmal leicht angepasst.

Welche Folgen die Schramberger Teuerungsrevolte langfristig mit sich brachte, muss noch weiter erforscht werden.

Das ehemalige Lichtspielhaus in der Architektur des Bauhauses ist ein herausragendes Kulturdenkmal der Weimarer Republik in Schramberg. In seinem Zeichen erscheint in Kooperation mit dem Historiker und Kulturwissenschaftler Carsten Kohlmann die Serie "100 Jahre Weimarer Republik in Schramberg", die von 2019 bis 2033 zahlreiche Aspekte und Ereignisse dieser Epoche in Erinnerung rufen wird. Als Gastautor berichtet im fünften Teil der Serie Robin Wußler, der beim Stadtarchiv sei Freiwilliges Soziales Jahr absolviert, über die Teuerungsdemonstration vor 100 Jahren. Eine ausführliche Darstellung zu diesem Thema wird zum Jahresende in der Zeitschrift "D’Kräz" des Museums- und Geschichtsvereins Schramberg erscheinen.