Tango oder Amour Fou? Der Tanz als leidenschaftliche Spielart der Liebe. Foto: dpa

Nostalgie ist ein Gefühl der Melancholiker, Menschen, die sentimental ihren Erinnerungen nachhängen. Tanzt man dieses Gefühl, wird daraus ein Tango. Und wenn dieser Tango dann auch noch von einer Schellack-Platte kommt, wird daraus eine Zeitreise.

Esslingen - Sie tanzen alle aus der Reihe. Besser gesagt: Tangotänzer, die auf die Musik von DJ Thomas Jordan übers Parkett schweben, lieben es, aus der Rille zu tanzen. Der Dresdner verstärkt die Gefühle, die einen Tanguero ohnehin bewegen. Nostalgie und Melancholie. Die Sehnsucht nach großen Emotionen.

Volver – zurückkehren.

Zwei Minuten und siebenundfünfzig Sekunden dauert dieses berühmte Lied von Carlos Gardel aus dem Jahr 1934. Es ist der traurige Gesang eines einsamen Mannes, der sich nach seiner ersten Liebe zurücksehnt. Und wenn sich diese Klänge über die kratzende Nadel auf den Schellackplatten ins Ohr der Tänzer winden, dann ist die imaginäre Rückkehr perfekt. Das Bandoneon schickt einen mit jedem seiner seufzenden Atemzüge auf Zeitreise.

Bei dieser Rückkehr knistert es.

Jordan hat 500 dieser alten Platten im Gepäck. Darunter sind Scheiben der Legenden Carlos Di Sarli, Juan D’Arienzo, Osvaldo Pugliese, Francisco Canaro oder Anibal Troilo. Dazu kommen noch deutsche und internationale Tangos und ein paar Non-Tango-Schellackraritäten. Damit tingelt er durch Deutschland und legt bei Tanzveranstaltungen, sogenannten Milongas, auf. Am Samstag, 15. Dezember (21.30 Uhr), kommt er nach Wernau/Kreis Esslingen in den Löwensaal. Jordan verspricht auch dort ein unvergessliches Klang- und Tanzvergnügen. Von dieser Ankündigung hat sich auch Renata Jans becircen lassen. Die Veranstalterin der Milonga in Wernau „ist immer auf der Suche nach etwas Außergewöhnlichem“. Die Deutschargentinierin hofft, dass ihre Gäste „den Tango an diesem Abend in seiner Urform erleben können“.

Dafür sorgt das Knacken und Brummeln durch das mechanische Abtasten der Schallplatten. „All das ist bei der Digitalisierung solcher Aufnahmen wegrestauriert“, sagt DJ Jordan, „bei der CD gibt es kein Knistern mehr wie bei der Schallplatte. Aber genau das verleiht der Aufnahme mehr Tiefe und Charakter.“ Hinzu komme, dass die CD keine Frequenzen über 20 000 Herz darstelle. Damit würden weitere Klanginformationen, die das Gehirn möglicherweise unbewusst wahrnehme, entfernt.

Jordan spricht nicht aus eigener Erfahrung. Die Arbeit als Tischler hat sein Gehör leicht geschädigt. Aber Menschen mit ausgeprägten Sinnen seien regelmäßig begeistert von der Akustik. „Eine Berufsmusikerin hatte sogar schon Tränen in den Augen, als sie ein Geigensolo hörte“, erzählt Jordan, dessen Leidenschaft für die nostalgische Technik vor acht Jahren auf einem Flohmarkt begann. „Ich habe dort eine Platte von Canaro gekauft“, berichtet er und verschweigt nicht, dass er damals noch vollkommen ahnungslos war: „Zu Hause merkte ich dann, dass ich mit der Schellack-Platte nix anfangen kann.“ Also ersteigerte er bei Ebay ein Grammofon, dann die zweite, die dritte, die vierte Platte und so weiter. Das Stück für durchschnittlich zehn Euro. Liebhaberscheiben kosten bis zu 50 Euro.

Jordan legt mit einem Perpetuum Ebner 50 N auf, einem Plattenspieler mit Elektromotor und elektromagnetischem Tonabnehmer. „Das Ergebnis ist ein sattes und dynamisches Klangerlebnis ohne abgeschnittene Frequenzen, mit allem Knacksen, Knistern und Rumpeln – Schellackplatte eben“, sagt er stolz, „diese Unverfälschtheit ist ein ganz besonderer Genuss. Einfach authentisch.“

Nicht alle Tangotänzer werden automatisch zu Liebhabern der Rillenmusik. „Manchmal bekomme ich zu hören, wenn ich erzähle, dass ich Schellackplatten auflege: Oh, da muss ich mir wohl noch rechtzeitig neue Batterien für mein Hörgerät besorgen“, erzählt Thomas Jordan. Aber wer erst einmal genau hingehört hat, sei schnell überzeugt: „Das Erleben der alten Technik in Aktion macht den Abend zum Erlebnis für Augen und Ohren. Erstaunt sind die Besucher jedes Mal über den Klang der 80 Jahre alten Abspieltechnik.“

Volver – zurückkehren.

Dieses bedeutungsschwangere Wort passt so gut zu Thomas Jordan und seinen Tango-Zeitreisen. Es ist die Rückkehr zum Ursprung. Und wenn Jordan den alten Gardel Volver im Knistern-Ton hauchen lässt, dann kann die Sehnsucht nach längst verlorenen Zeiten mit einem durchgehen. Davon loszukommen scheint unmöglich. Weil es schließlich unmöglich ist, von seinen Erinnerungen loszukommen.

Mehr Informationen zur Schellack-Milonga gibt es unter www.tango-elsotano.de oder bei Renata Jans (01 79 / 7 87 77 23).