Die Tänzerin Vitoria Campos bereitet sich auf ihre Auftritte mit der Sambaschule vor wie eine Hochleistungssportlerin. Foto: Tobias Käufer

Die Sambaschule Portela ist in der Spitzenliga des Karnevals in Rio de Janeiro. Ein Besuch bei denen, die allen Widrigkeiten zum Trotz die Lebensfreude zelebrieren.

Die Trommelschläge lassen die heiße und feuchte Luft vibrieren. Auf dem Boden der riesigen Halle bewegt sich die Masse langsam, aber rhythmisch organisiert zentimeterweise nach vorne. Irgendwann kommt auch die Fahne der Schule ganz vorne nach. Menschen verbeugen sich vor ihr, einige weinen dabei, andere küssen sie, wenn das Fahnenträgerpaar vor ihnen erscheint: fast schon religiöse Momente, in denen die Gemeinschaft ihr Zusammengehörigkeitsgefühl zelebriert.

Es ist Donnerstagabend und der „Verein“ wie die Deutschen sagen würden, hat alle Mitglieder mobilisiert. Hunderte stehen auf der Tanzfläche und liefern ein genau durchchoreografiertes Schauspiel ab. Es ist ein Feuerwerk in blau-weißer Farbe, den offiziellen Farben von Portela, einer der erfolgreichsten Sambaschulen von Rio de Janeiro. Portela ist ein weltweites Phänomen – es gibt sogar „Portela-Konsulate“ in Japan.

Sambaschulen erfüllen eine enorm wichtige soziale Funktion

Vor allem aber erfüllen die Sambaschulen in Rio auch eine enorm wichtige soziale Funktion. Sie sind für die Menschen in den Favelas Anlaufstation, Lebensmittelpunkt und Bühne. Ganz vorne steht Vitoria Campos (24), die „Musa“ der Sambaschule Portela: „Ich selbst bin das Ergebnis von sozialen Projekten, die Künstler auf den Karneval und sogar auf das Berufsleben vorbereiten“, sagt die ganz in Weiß gekleidete Frau. Sie ist so etwas wie ein Aushängeschild der Schule. Campos bereitet sich auf ihre Auftritte vor wie eine Hochleistungssportlerin. Wenn sie die Bühne betritt, leuchten die Augen der Kinder. „Ich bin seit meinem achten Lebensjahr bei Portela. Die Sambaschule fasst unsere Geschichte, unsere Kultur zusammen. Und ihr soziales Engagement ist so wichtig, denn es holt die Kinder von der Straße und von den Drogen weg“, sagt Campos.

In wenigen Wochen wird sie über die schnurgerade Strecke des Sambodromo laufen – wie Tausende andere Musiker, Tänzer und Stars. Und Millionen Menschen schauen dann zu, in Rio de Janeiro, in Brasilien und in der ganzen Welt. Es ist der spektakulärste Moment, für den über Monate in der eigens von der Verwaltung zur Verfügung gestellte „Sambastadt“ an den riesigen bunten Wagen gebaut wird. Ein Moment, für den auch Vitoria alles gibt: „Ich gebe zu, dass ich sehr wenig schlafe und viel Zeit dem Karneval widme, denn hier in Portela proben wir manchmal am Montag, Mittwoch, Freitag und Sonntag auf der Straße. Mein Leben dreht sich also nur um den Karneval, wenn Probenzeit ist.“

Die schönste Party des Jahres ist die Siegesfeier der eigenen Schule

Der Mann, der Vitoria und all die anderen zum Tanzen bringt, heißt Nilo Sérgio, ist 40 Jahre alt und „Mestre“ (Chef) der „Bateria“: „Ich bin dafür verantwortlich, dass die Schule tanzt, dass die den Rhythmus hat, dass sie den Swing hat.“ Damit sorgt er dafür, dass die Schule bei ihren vielen Auftritten den „richtigen Herzschlag“ bekommt. Denn Karneval ist in Brasilien auch ein knallharter Wettbewerb, in dem es um Meisterschaft und Fördergelder geht. Der richtige Rhythmus ist neben Kostümen, Tanz, neben der Performance des Fahnenträgerpaares, neben dem auf die Sekunde richtigen Einhalten des Zeitplans und der zentimetergenauen Abstände entscheidend für die Bewertung.

Denn wenn der Rest der Welt den Karneval bereits verabschiedet hat, beginnt in Rio de Janeiro erst die eigentliche Stunde der Wahrheit. Dann entscheidet – live im Fernsehen übertragen – die Jury, wie viele Punkte es gibt. In den Kneipen der ganzen Stadt sind dann Jubel- oder Entsetzensschreie zu hören, wenn die Schule aus dem eigenen Viertel entweder vorne liegt oder kurz vor dem Abstieg steht. Die schönste Party des Jahres ist meist die Siegesfeier jener Schule, die die Meisterschaft gewonnen hat. Dann brechen die Emotionen und der Druck aus den Menschen heraus.

Samba bringt die Menschen zum Strahlen

Den Auftritt von bis zu 6000 Teilnehmern an der weltberühmten Parade im Sambodromo zu koordinieren ist die Aufgabe von Junior Schall, dem „Direktor Karneval“: „Man muss diszipliniert sein, ohne das Glück und die Freude zu verlieren.“ Schall spricht ganz von dem Erfolgsdruck, der auf ihm und seinen Mitstreitern lastet: „Es ist dieser Druck, weil sie ihre Hoffnungen mit dir knüpfen. Hoffnungen zu verknüpfen ist viel wichtiger als Geld. Die Schule kann noch so reich sein, sie kann mit Gold bedeckt sein, aber wenn sie keine Seele hat, wenn sie keine Emotionen hat, wenn sie keine glückliche Portela ist, dann wirst du nicht gewinnen.“

Für Schall entsteht die Faszination des Karnevals daran, dass die Superstars und die Menschen aus der Nachbarschaft gemeinsam zusammenarbeiten. „Da kann ein Fernsehstar auftreten und ein Trommler und eine Passista, die aus der eigenen Favela kommen.“ Nilce Fran (57) ist so eine Passista, eine Frau, die über die Tanzfläche wacht. Sie sucht die Jungen und Mädchen aus, leitet sie an, bildet sie aus: „Wenn man in Deutschland über die Favela spricht, denken die Menschen immer an Kriminalität und Armut, aber eine Sambaschule wie Portela bringt diese Menschen zum Strahlen“, sagt Nilce Fran, und dabei kämpft sie mit den Tränen.

Sambaschulen stehen im Wettbewerb

Tourismus
 Der Karneval in Rio de Janeiro beginnt am Freitag vor Aschermittwoch. Die vielfarbige Parade der Sambaschulen gehört zu den größten Festen der Welt. Der Karneval wird vom Tourismusbüro der Stadt in Zusammenarbeit mit den Sambaschulen organisiert.

Aufstieg
Jede Escola de Samba (Sambaschule) wählt jährlich ein bestimmtes Thema, entsprechend werden dann die Festwagen dekoriert und die Kostüme darauf abgestimmt. Jedes Jahr steigt eine Schule mit der besten Punktzahl aus der Ersten Liga in die Grupo Especial auf.