Ferienzauber: Bei inszenierten Führungen tauchen 500 Besucher in Welt des Kraftwerks ein. Mit Video.

Rottweil - Alle Jahre wieder – und doch immer wieder neu: Am Freitagabend steht beim Rottweiler Ferienzauber nicht eine Sängerin, ein Comedian, eine Band oder ein Orchester im Mittelpunkt. Alles dreht sich um den Veranstaltungsort selbst, das Kraftwerk. Auf vier Führungen werden an die 500 Besucher durch den repräsentativen Industriebau geführt, der sich nicht nur als Veranstaltungslocation einen Namen gemacht hat, sondern auf eine bemerkenswerte Geschichte verweisen kann.

Hier wurde aus Kohle "Kohle". Und zwar richtig viel. Sicher, ein paar andere Zutaten brauchte es schon noch, damit die Rottweiler Pulverfabrik zum Goldesel wurde. Auch Menschen, natürlich. So um die 2200 Personen betrug der Mitarbeiterstand im Ersten Weltkrieg, in dem die Fabrik ihre Bilanzzahlen binnen kurzer Zeit verdreifachte, und in dem auch das Kraftwerk entstand. Max von Duttenhofer, der Erfinder des rauchfreien Schießpulvers, befreundet mit Bismarck und Nobel, den König nicht zu vergessen, Förderer und Förderer von Zeppelin, Maybach und Daimler, lebte da allerdings nicht mehr.

Beim Rottweiler Ferienzauber darf er allerdings noch einmal unter die Leute. Robert Weippert spielt Szenen, in denen viel Information über Duttenhofer und die Arbeit in der alten Pulverfabrik steckt. Der Übergang vom Industriekapitän zum Kraftwerk-Geist "Graf von Kohle", der im Neckartal haust, alten Zeiten nachsinniert und gerne seine Gäste in die Erzählungen einbindet, ermöglicht eine augenzwinkernde Begegnung mit dem Areal. Dort werden die Gäste gestern übrigens als neue Mitarbeiter vom Chef persönlich begrüßt und in die Arbeit eingewiesen – und auch da lernen die Teilnehmer viel über die Arbeitsbedingungen um die Wende zum 20. Jahrhundert.

Viel über die Geschichte des von Paul Bonatz im Jahre 1915 erbauten Kraftwerks zeigen Bilder und Filmdokumente. Bei den Führungen wird die Entwicklung dieses nicht nur architektonisch beeindruckenden, sondern zu seiner Zeit auch sehr modernen auch Kraftzentrums nachvollzogen. Gewissermaßen analog, mit etwas zeitlichem Versatz, verläuft die Geschichte des Industriekomplexes im Neckartal. Große Blüte, neue Zeit, Umstrukturierung, Neuorientierung, Niedergang, Stillstand, Dornröscheschlaf, neue Blüte: Der Begriff "Ruine" liegt nicht fern, wenn man sich Bilder aus den 1990er-Jahren anschaut. Ein Abriss schien als gnädiges Ende näher zu liegen als eine Nutzung gleich welcher Art. Von einer Sanierung schon angesichts der Dimensionen ganz zu schweigen.

Doch nach und nach ist wieder Leben eingekehrt. Raum für Raum wird mit Leben gefüllt. Das Kraftwerk präsentiert sich ein Jahrhundert nach seinem Bau als funktionierende Maschine, in der nicht mehr Energie im Sinne von Wärme und Strom erzeugt wird. Die Ferienzauber-Künstler geraten regelmäßig ins Schwärmen ob der Eindrücke. Wo sie das tun, das dürfen die Besucher ausnahmsweise auch sehen. Und Graf von Kohle freut sich über den Umtrieb.