"Windphonics" laden ihr Publikum in der Stadthalle zu einer Reise in ferne Welten
Ein Konzert der "Windphonics", das ist ein guter Termin für Freunde sinfonischer Blasmusik. Gleichzeitig ist es auch ein bisschen Leistungsschau, die Aufschluss gibt, was in der Szene so läuft. Am Samstag war es in der Stadthalle wieder so weit.
Rottweil. Es ist jetzt gut elf Jahre her, dass ein paar junge Musiker beschlossen, mit einem regionalen sinfonischen Blasorchester zumindest semiprofessionell Literatur zu erarbeiten – und aufzuführen –, die in die Repertoires der Musikvereine nicht passte. Es war die Geburt eines Projektorchesters, das, voran gebracht von engagierten jungen Musikern, unterstützt von Sponsoren und inhaltlich und organisatorisch zumindest mitgetragen von der Jugendmusikschule, unter unterschiedlichen Vorzeichen bis heute Jahr für Jahr Menschen zusammenbringt. Auf der Bühne Musiker aus der ganzen Region, im Publikum eine inzwischen sichere Fanbase aus Angehörigen, Freunden – und ganz einfach Liebhabern sinfonischer Blasmusik. Als das Ensemble startete, waren manche der Musiker, die am Samstag auf der Bühne standen, noch Jahre von ihrem ersten Instrumentalunterricht entfernt. Das bedeutet: Die "Windphonics" können schon ein bisschen auf eine "Tradition" verweisen. Und sie haben, auch wenn der Projektcharakter einen jährlichen Austausch der Besetzung unterstützt, so etwas wie einen "Generationenwechsel" zu überstehen.
Solche Überlegungen spielen am Samstagabend allerdings eher die zweite Geige. Es geht um anderes: Nach dem umjubelten Jubiläumsprogramm im Kraftwerk im vergangenen Jahr wollen die "Windphonics" natürlich auch 2017 zeigen, was sie drauf haben. Dafür haben sie sich Pietro Sarno geholt, mit dem sie 2016 gute Erfahrungen machten. Er ist nicht nur ein sehr versierter Blasorchesterleiter, sondern schafft es, Leistungen abzurufen, die die Interpretation ausgesprochen anspruchsvoller Literatur erst ermöglichen, und die jungen Musiker zu motivieren, die Musik zum Leben zu erwecken. Sarno lässt die Bläser Geschichten erzählen, lässt Bilder entstehen. So ist auch das Programm konstruiert, dem er das Motto "Ferne Welten" voranstellt, Welten, die sich nicht in exotischen Reisezielen erschöpfen oder folkloristisch erschlossen werden, sondern den Begriff erweitern. "Gedanken", "Träume", "mystische Welten" werden besucht.
Und wie! Mit lebhaftem Ton geht es los, allerdings noch nicht ganz im Gleichschritt. Was in Thiemo Kraas’ "Arcus – A Daydream" bereits deutlich anklingt, ist neben dem schönen Ton das Potenzial in Sachen Dynamik, das den Abend über immer wieder voll ausgespielt werden sollte. Vor allem nach oben, übrigens, ohne dass der Ton litte. Dazu passt, dass die "Windphonics" manchmal auch am liebsten losrennen zu wollen scheinen. Natürlich nicht bei James Curnows "Rhapsody for Euphonium and Band", in der Andreas Nagel begeisternd den Solopart spielt, so als würde er mit dem Euphonium singen. Natürlich auch nicht im "Nocturne for Harp", von Clare Grundmann, einer sehr stimmungshaften Fantasie in einer seltenen, nicht minder spannenden Besetzung. Wie schon für Nagel schafft Sarno für die Solistin Salome Ehrenberger viel Raum. Die Harfenistin füllt ihn mit klarem, entschlossenem Anschlag.
Die Reise in ferne Welten bietet allerdings auch andere spannende Konstellationen. Gleich das zweite Stück zum Beispiel, in dem ein bisschen die Felder von stimmungsvoll-launigem Spiel, anspruchsvoll zu phrasierenden Akkordebenen und einer plastischen, akzentreichen Interpretation ausgelotet werden: Mit Ralph Vaughn Williams’ "English Folk Song Suite" deutet Sarno an, was im zweiten Teil bei den von Johan de Meij arrangierten Sätzen aus Carl August Nielsens Schauspielmusik "Aladdin", bei deren Marsch die mitunter gegenläufigen Rhythmen nicht eben einfach hinzuspielen sind, und deren zweiter Satz mit seinen filigranen Motiven unvermutet fordert, und dem turbulenten, bunten Finale gefordert ist: Auch die "Funiculi Funicula Rhapsody" verlangt nach viel Disziplin, bei den kleinen Elementen wie in den großen Bögen, sonst wird, und das passiert am Samstag nicht, aus dem bunten Finale ganz schnell ein ziemliches Durcheinander.
Dass so ein Orchester in Jay Chattaways "Mazama" ganz abgeklärt eine Menge Spannung erzeugen kann, in den Motiven aus dem "Batman"-Soundtrack viel Dramatik generiert – und zwar noch immer mit diesem schönen Ton – und mit Julie Giroux’ "Carnaval" nach der Pause aus dem Stand ein komplexes, mit vielen Details gespicktes Feuerwerk zündet, überrascht nicht.