Ein erfahrenes Team: Hebamme Anita Kessel-Kühnert und ihr Mann Wolfgang Kühnert in ihrer Praxis in Neukirch. Foto: Otto Foto: Schwarzwälder-Bote

Anita Kessel-Kühnert ist seit 40 Jahren Hebamme / Sicherheit von heute von unschätzbarem Wert

Von Corinne Otto

Kreis Rottweil. Wenn Anita Kessel-Kühnert von ihrer Arbeit erzählt, dann leuchten die Augen vor Begeisterung – und manchmal blitzen ein paar Tränen darin. Seit 40 Jahren ist sie Hebamme, tausenden Kindern hat sie auf die Welt geholfen, "und es berührt mich immer wieder", sagt sie.

Hinter Anita Kessel-Kühnert liegt ein Nachtdienst im Kreißsaal der Rottweiler Helios-Klinik, doch sie sprüht vor Energie. Auch nach 40 Jahren brennt sie für ihren Beruf – längst hat sie auch ihren Mann mit dieser Begeisterung angesteckt. Wolfgang Kühnert gab vor vielen Jahren seinen Job am Max-Planck-Institut in München auf und stieg in die Hebammenpraxis seiner Frau ein. Er managt nicht nur alles Organisatorische, sondern gibt auch die Baby- und Kinderschwimmkurse. "Und wenn ich abends heimkomme und mich ins Schlafzimmer verkrieche, weiß er, dass etwas Dramatisches passiert ist", sagt sie. Irgendwann wird dann gemeinsam darüber geredet – genauso wie über die unzähligen schönen Momente.

Wenn die erfahrene Hebamme zurückblickt, kann sie fast selbst nicht glauben, wie revolutionär sich ihr Beruf und das Kinderkriegen als solches verändert haben. "Als ich auf der Hebammenschule war, haben wir noch mit dem Hörrohr gelernt", schmunzelt sie. Ultraschall, CTG, all das gab es nicht. "Jede Geburt war Adrenalin pur – kommt das Kind gesund zur Welt, wird es ein Mädchen oder ein Junge?" Fragen, die dank modernster Diagnostik heute meist im Vorfeld geklärt sind.

"Wir haben jetzt wirklich traumhafte Bedingungen", schwärmt Anita Kessel-Kühnert, die mit acht Kolleginnen in der Hebammengemeinschaft im Rottweiler Krankenhaus arbeitet und zudem eine eigene Praxis in Neukirch hat. Das Maß an Sicherheit, das ein moderner Kreißsaal wie der der Helios-Klinik heute bietet, ist für Kessel-Kühnert von unschätzbarem Wert. Schließlich hat sie früher genügend Situationen erlebt, in denen die Geburt für Mutter und Kind gefährlich war, oder tödlich endete. Und als sie erzählt, wie sie einst eine Frau, die zuhause mit einer Schwangerschaftsvergiftung bewusstlos gefunden wurde, noch im Krankenwagen beatmet hat, und doch jede Hilfe zu spät kam, geht ihr das heute noch nach. Genauso wie das Schicksal einer Bauersfrau, die hochschwanger schwere Arbeit verrichten musste, das Kind verlor und dann vom Mann verstoßen wurde, weil sie keine Kinder mehr bekommen konnte. "So etwas vergesse ich nie", sagt sie.

Doch auch wenn sie schon früh gebannt den Erzählungen der eigenen Oma lauschte, die das neunte Kind während der Feldarbeit unterm Apfelbaum gebar – dass Anita Kessel-Kühnert Hebamme wurde, war doch eher Zufall. Bei Ulm geboren, lernte sie zunächst Erzieherin, betreute dann Kinder in einer Klinik und wurde dort auf den Hebammenberuf aufmerksam gemacht. Prompt bewarb sie sich bei allen Hebammenschulen in Deutschland. "Und aus Hamburg kam dann die Zusage", lacht sie. Schon dort lernte sie viel fürs und über das Leben, nicht zuletzt die Patientinnen aus St. Pauli und ihr Gefolge brachten ordentlich Farbe in den Berufsalltag. Über Spaichingen ging es dann an ein Krankenhaus in München, wo Scheichs aus Arabien gerne ein ganzes Stockwerk für ihre niederkommenden Frauen buchten.

1989 wurde sie des Großstadtlebens überdrüssig und über eine Freundin hörte Kessel-Kühnert von einer freien Stelle in Rottweil. Hier ist sie nach all den Jahren so bekannt, dass sie zum Einkaufen meist etwas weiter weg fahren muss. "Sonst bekomme ich noch beim Kleider anprobieren oder beim Gemüsekauf Geburtserlebnisse zu hören", lacht sie. Denn immer wieder holt die Hebamme die Vergangenheit ein – auf positive Weise natürlich. "Erst kürzlich war ein Vater bei mir in der Geburtsvorbereitung, bei dem bei mir irgendwas geklingelt hat." Und siehe da – Anita Kessel-Kühnert hat dem jungen Mann einst auf die Welt geholfen. So wie Tausenden anderen Kindern auch.