Links weht die deutsche Flagge, rechts die der Russischen Föderation und mittendrin liegen die Kataloge mit Trips in alle Welt: Sergej Bai in seinem Reisebüro auf dem Hegneberg. Fotos: Schickle/Fixion © Airbus S.A.S 2011 Foto: Schwarzwälder-Bote

Integration in Rottweil: Viele Russlanddeutsche nutzen Urlaub für Familienbesuche / Reisebüro auf Hegneberg

Von Verena Schickle Rottweil. Heute ist der Tag der Russlanddeutschen. Viele von ihnen sind in zwei Welten zu Hause – an ihrem Wohnort Rottweil und in der Heimat, wo die Familie lebt. Das Ticket dorthin verkauft ihnen oft Sergej Bai. Stoffladen, Schönheitssalon, Lebensmittelgeschäft und Café gehören zur Ladenmeile auf dem Hegneberg – alle von Russlanddeutschen betrieben. Und mitten drin das Reisebüro von Sergej Bai. Der Mann kennt sich aus mit dem Thema Urlaub, schließlich ist er aufgewachsen, wo andere am Strand entspannen: Bai stammt vom Schwarzen Meer, aus der russischen Stadt Anapa. Dort fanden schon in seiner Kindheit Ferienlager statt, in denen Schüler aus der gesamten ehemaligen Sowjetunion die Sommermonate verbrachten.

Auch viele seiner Kunden zieht es in ihrer freien Zeit Richtung Osten, nach Russland, Kasachstan oder in die Ukraine. Urlaub allerdings würde er zu ihren Reisen nicht sagen, meint der 36-Jährige: "Sie fliegen eher heim" – um Verwandte und Freunde zu besuchen, vor allem jetzt, in den Sommerferien, sowie über Weihnachten und Silvester. Rund 75 Prozent seiner Kunden seien russischstämmig, viele von ihnen leben auf dem Hegneberg, berichtet der Familienvater. Für manche ist der Weg nach Hause ein langer: Direktflüge ab Stuttgart sind rar.

Sergej Bai dagegen reist im Schnitt nur alle drei Jahre nach Anapa. Seine Heimat ist inzwischen woanders: "Jetzt würde ich sagen: Dietingen." Dort lebt der 36-Jährige mit seiner Familie. Seine drei Kinder sind hier geboren, auch seine Frau hat er in Deutschland kennengelernt. "Ich war ja 15, als ich hierher gekommen bin", erzählt er.

Mit seiner Frau spricht er dennoch überwiegend Russisch, bei seinen Kinder sieht es schon anders aus. Mit seinem ältesten Sohn etwa habe er in dessen ersten drei Lebensjahren nur Russisch geredet. Heute, zehn Jahre später, hat sein Sprössling die Sprache praktisch verlernt. "Einen Akzent ohne Ende" hätte sein Nachwuchs, erzählt Sergej Bai mit einem Lachen. Einen deutschen, wohlgemerkt. Wer zwischen zwei Kulturen, zwei Sprachen unterwegs ist, trifft immer wieder auf Stolpersteine. Die Zahlen etwa, sagt der Dietinger. Als Beispiel nennt er die 14. Obwohl die Vier im Deutschen vor der Zehn gesprochen wird, steht sie als Ziffer doch an zweiter Stelle. In seiner Muttersprache sei das anders. Verwirrend für viele Russlanddeutsche – "sogar ich muss manchmal erst nachdenken", meint Sergej Bai.

Beim Thema Reisen dagegen gibt es keine Unklarheiten: Bais Spezialität sind Busreisen nach Spanien, an die Costa Brava und die Costa Dorada. Da kann er noch so viele Tickets nach Russland verkaufen. Dennoch hat er beobachtet, dass auch Jugendliche inzwischen das Schwarze Meer als Urlaubsziel entdecken. Auf dem Programm stünden dann eine Wochen lang nur Party und Disco.

Ältere Kunden dagegen interessierten sich für Rundreisen der gehobenen Klasse, bei denen viel Kultur auf dem Programm steht. "Jetzt gab's Nachfragen nach dem Kaukasus", erzählt Bai. "Das sind natürlich keine billigen Reisen." St. Petersburg und Moskau seien ein guter Start, um Russland kennenzulernen.

Um allerdings die russische Kultur wirklich zu erleben, müsse man tiefer in die Dörfer vordringen. "Bei uns in Deutschland", sagt er, sei der Unterschied zwischen den Menschen in der Stadt und auf dem Land nicht so groß. "In Russland ist er extrem."

Es gibt also viel zu entdecken in Bais alter Heimat. Trotzdem zieht es die Familie eher ins Warme. Ägypten, Frankreich, Italien, Kroatien – da waren sie schon. Am allerbesten allerdings gefällt es ihr in Bayern. Dorthin fahren die Bais mit ihrem Wohnwagen, zu einem Bauernhof direkt an einem See. "Meine Kinder lieben den Campingplatz", erzählt Sergej Bai. Dort könnten sie Kühe melken, in der Scheune spielen und reiten. u Integration – gelungen oder nicht? In den kommenden Wochen wollen wir weitere Geschichten zu dem Thema veröffentlichen und schauen, wie es um die Integration in Rottweil steht.