Kultur: Beschäftigte der Vinzenz-Werkstätten starten eine Vernissage im Kapuziner / Barrieren abbauen
Ein Stuhl kann ein Gebrauchsgegenstand sein, ein Symbol für Gelassenheit und Erholung – oder auch ein Kunstobjekt, wie Beschäftigte der Vinzenz-Werkstätten bewiesen haben. Die Ausstellung ist noch bis zum 7. Dezember im Kapuziner zu sehen.
Rottweil. Sie konnten ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Manche bauten ein Urlaubsparadies, andere Schauplätze des Reichtums, wieder andere Gärten mit der strahlenden Sonne darüber. Die neun Beschäftigten der Vinzenz-Werkstätten des Vinzenz von Paul Hospitals hatten nur eine Vorgabe: Sie mussten ihre Ideen auf Stühlen umsetzen. So ließen die Künstler – allesamt Menschen mit psychischen Handicaps – dreidimensionale Werke mit individuellen Themen entstehen.
Traumarbeitsplatz im Pappkarton
Die Materialien für die Werke waren teils mitgebracht, teils in der Natur gesammelt. "Die Stühle haben wir im vergangenen Jahr zum Tag der offenen Tür das erste Mal ausgestellt, nachdem die Künstler zweieinhalb Monate damit beschäftigt waren", erinnerte sich Anita Lemperle vom Sozialdienst. Hinzu gekommen seien drei Projekte, die jüngst ebenfalls in der Werkstatt entstanden seien: Traumarbeitsplätze im Schuhkarton, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein Büro ist ebenso dabei, wie eine Berghütte.
Projekt für mehr Offenheit und Toleranz
Organisiert wird diese Ausstellung vom Inklusionsprojekt GIEB (Gestalten, Informieren, Erleben, Beteiligen) im Landkreis Rottweil. "Wir haben nicht mit so vielen Gästen gerechnet", freute sich Werkstattleiter Robert Bühler. Der Termin für die Vernissage im Kapuziner war nicht zufällig gelegt.
Der 10. Oktober war der Welttag der seelischen Gesundheit. "An diesem Tag geht es darum, die Offenheit und Toleranz gegenüber Menschen mit seelischen Erkrankungen zu fördern", erklärte Iris Wössner von der Bruderhaus-Diakonie.
Mit der Vernissage wolle man auf das Motto des Welttags "Gemeinsam statt einsam" eingehen. Monatelang haben die Künstler gemeinsam ihre Werke gestaltet und seien dabei "ganz sicher nicht einsam" gewesen.
Seelische Erkrankungen können zu jeder Zeit jeden treffen, betonte Ales Svetlik, Chefarzt vom Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen des Vinzenz von Paul Hospitals. Darunter fallen auch Suchterkrankungen, denen er sich in einem Vortrag widmete. Fast 17 Prozent der Menschen in Deutschland seien betroffen, von denen beginnen jedoch laut Svetlik nur acht Prozent eine Behandlung. Im Depressions- und Schizophreniebereich seien es fast weit mehr als 50 Prozent, die sich einer Behandlung unterziehen. "Die gesellschaftliche Ablehnung ist bei der Alkoholkrankheit im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen am höchsten", sagt er. Die Folge sei die Ausgrenzung und Stigmatisierung der Betroffenen, die sich wiederum selbst Vorwürfe machen. Die Lösung solle viel eher darin bestehen, die Stärken und Chancen der Betroffenen in den Vordergrund zu stellen, anstatt deren Krankheit, meint der Chefarzt.