Hingeschaut: Die meisten setzen ihr Kreuzchen am Sonntag bei der Alternative für Deutschland

Von Vera Danner und Verena Parage

Rottweil. 39,4 Prozent der Wählerstimmen auf dem Hegneberg gingen an die AfD. Ein Ergebnis, das ins Auge sticht, Fragen aufwirft. Selbst wenn dies in absoluten Zahlen "nur" 111 Stimmen bedeutet, weil die Wahlbeteiligung in dem Viertel bei lediglich 42,5 Prozent lag. Ein Anlass, am Ort des Geschehens nachzufragen.

An diesem Tag ist nicht viel los auf dem Hegneberg. Von den wenigen Bewohnern, die unterwegs sind, erklärt etwa die Hälfte, sie habe nicht gewählt. Und von der Alternative für Deutschland hat mancher noch nie etwas gehört. Dass sie dennoch so gut abgeschnitten hat im Wohngebiet, findet Tatjana Kondraschow, die seit vielen Jahren dort lebt, besorgniserregend.

Die Flüchtlingswelle betreffend teile sie zwar die Ängste vieler Bürger, trotzdem habe sie ihr Kreuz bei der Linken gesetzt – eine Schließung der Grenzen sei einfach keine Lösung, meint Kondraschow. Die vielen AfD-Stimmen sieht sie als einen Protest gegen die Bundesregierung. Sie berichtet, dass auf dem Hegneberg AfD-Flyer auf Russisch verteilt worden seien. Diese, so ihre Vermutung, könnten für den Wahlerfolg mitverantwortlich sein. Schließlich wohnen auf dem Hegneberg viele Bürger mit russlanddeutschen Wurzeln.

Gerade diese Tatsache verwundert Erstwähler Fabian Jakob mit Blick auf das AfD-Ergebnis – das widerspreche sich doch, oder? Ihn hat das Ergebnis "überrascht und schockiert". Ein anderer Hegneberg-Bewohner meint dagegen, er habe sogar mit noch höheren Zahlen gerechnet. Auch in seinen Augen war die Wahl eine "reine Protestwahl". Das Ergebnis bereitet ihm Sorge, sagt der Mann. Und wen hat er gewählt? "Jedenfalls definitiv nicht die AfD oder was in die Richtung."

Dennoch scheinen gerade Spätaussiedler bei der AfD ihr Kreuzchen gemacht zu haben. In Pforzheim etwa wurde die Partei am Sonntag stärkste Kraft. Besonders viele Stimmen erhielt sie im Haidach, einem Stadtteil, wo viele Spätaussiedler zu Hause sind. Und bei einer Demonstration Ende Januar in Villingen gingen rund 1300 Russlanddeutsche für mehr Sicherheit in Deutschland auf die Straße – nachdem das falsche Gerücht im Internet die Runde gemacht hatte, ein russlanddeutsches Mädchen sei in Berlin von einem Flüchtling vergewaltigt worden. Allerdings: Bei der Demo in Villingen war der dortige AfD-Kandidat als Redner unerwünscht.

Integrationsbeauftragter: kein Problemviertel

Das Wohngebiet Hegneberg entstand Mitte der 90er-Jahre. Damals flossen staatliche Wohnungsbau-Mittel. "Dieses Sonderprogramm wurde vor dem Hintergrund der Einwanderung deutschstämmiger Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion aufgelegt", erklärt die Verwaltung. Laut eines Sozialberichts von 2008 lebten in diesem Jahr 60 Prozent Deutsche mit einem Migrationshintergrund aus der Sowjetunion in dem Viertel. Jedoch auch 30 Prozent Deutsche ohne andere Wurzeln. Der Rest hatte einen ausländischen Pass.

Diese Zahlen dürften sich verändert haben: Viele Bewohner, die aus der Ex-Sowjetunion stammen, wohnen eben nicht mehr auf dem Hegneberg, teilt die Stadt mit. Dort befand sich einst auch das Übergangswohnheim des Landkreises für Spätaussiedler. Aufgrund der Entstehungsgeschichte des Viertels engagiert sich die Stadt mit Integrationsprojekten. So gibt es etwa im Kindergarten eine Sprachförderung, einen eigenen Jugendtreff, Sprachkurse oder ein internationales Frauenfrühstück.

Zwar sei die Integration der dort lebenden Rottweiler durch die isolierte Lage des Wohngebiets erschwert, sagt der städtische Integrationsbeauftrage Herbert Stemmler. Allerdings sei der Hegneberg für viele mittlerweile zur Heimat geworden, und die russischstämmigen Bewohner hätten in den vergangenen Jahren deutlich an Sprachkompetenz gewonnen. Ein Problemviertel ist der Hegneberg nicht, betont er. "Zum Beispiel gibt es in der Kriminalstatistik der Polizei keine Auffälligkeiten im Vergleich zu anderen Stadtteilen."