Usama AL Shahmani Foto: Schwarzwälder Bote

Literaturtage: Eröffnungsabend wirft ein Schlaglicht auf eine Welt der Profitmaximierung und Ausgrenzung

Rottweil/Brugg (hf). "Begegnungen, für die Literaturtage bekannt sind, werden im Jahr 2020 unter Corona-Bedingungen anders ausfallen", leitete Präsident Werner Bänziger die 36. Brugger Literaturtage ein. Stadtammann Barbara Horlacher, Stadtrat und Einwohnerrat der Stadt Brugg, Mitglieder der Literaturkommission und der Kulturvereine Salzhaus und Odeon, die eingeladenen Autoren und ihr Publikum hatten den Mut, die Literaturtage stattfinden zu lassen. Und sie wurden zu einem Erfolg.

Durch die Lesungen zog sich wie ein roter Faden existenzielle Befasstheit innerhalb der Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Immigration und Einordnung, Flucht und Neuanfang, konsequent stellte sich für die Einzelnen die Frage gelingender oder fehlgeschlagener Identität.

In Julia von Lucadous Debütroman "Die Hochhausspringerin" (2018) stellt sie die Frage nach Kreativität in einer Welt von Leistungsstreben und Unsterblichkeitsfantasien – letztlich von Literatur in einer Welt der kapitalistischen Profitmaximierung.

Melinda Nadji Abonji zeichnet in ihrem Roman "Der Schildkrötensoldat" (2017) Menschen am Rande der Gesellschaft nach dem Jugoslawienkrieg auf. Ina Zic beleuchtet in ihrem Roman "Die Nachkommenden" (2019) die Diskrepanz zwischen Eltern und Kindern von Einwanderern und beobachtet die Entfremdung der nachfolgenden Generation im "Gast"-Land.

Natascha Wodin arbeitete in ihrem biografischen Roman "Irgendwo in diesem Dunkel" (2018) das Schicksal sowjetischer Zwangsarbeiter während des Nationalsozialismus an ihrem Vater auf. Das Schweigen der eigenen Familie habe sie "sprechwütig" gemacht.

"Ich werde nie so sein, wie sie mich sehen wollen" sagt der Iraker Usama Al Shahmani über Flucht und Entwurzelung. In seinem Roman "Im Fallen lernt die Feder fliegen" (2020) geht es um Identitätsverlust: Seine "Sandfiguren" im Irakkrieg kippen je nach Wind. Martin R. Dean stellt die Frage nach Identitätsbeschreibung. "Ethnische Schatten" werfen ein Licht auf gesellschaftliche Teilhabe "Farbiger" durch schweizerische Ausgrenzung.

In seinem neuesten Roman "Warum wir zusammen sind" (2019) erforscht er Beziehungen und deren Lebensentwürfe. Matthias Nawrat empfiehlt in seinem Roman "Der traurige Gast" (2019) eine architektonische Umgestaltung des "Alten Osteuropa", während Performer Robert Prosser ("Phantome" 2017) nach einem Besuch Beiruts die Befindlichkeiten syrischer Flüchtlinge auf Lesbos sprachlich frei "herausboxt".

"Ein Planet auf meiner Zunge" trägt Carolin Callies lyrische Texte wie "schöne Waren feil" (schatullen & bredouillen 2019), und in Anne Marie Kenessays Lyrik "Flügelnüsse und Schädelklopfer" 2020) vollzieht sie malerische Wortakrobatik. Wie zur Literatur gemacht erschienen die arabisch-musikalischen Klänge auf Klarinette oder Flöte Samuel Freiburghaus’ zwischen den Lesungen.