Hartwig Kluge berichtet Schülern am AMG von seinem Leben in der ehemaligen DDR. Foto: Rörig Foto: Schwarzwälder Bote

Geschichtsunterricht: Hartwig Kluge berichtet am AMG aus seinem früheren Leben

"Und auf einmal hatte ich einen Gewehrlauf auf der Brust". In einer Geschichtsstunde am AMG berichtete ein Zeitzeuge aus dem Leben in der ehemaligen DDR.

Rottweil. Es ist ein normaler Freitagmorgen am Albertus-Magnus-Gymnasium in Rottweil. Geschichte steht an in den ersten beiden Stunden für die Klasse 9b. Aber dieses Mal eine etwas andere als sonst: Die Lehrerin kommt nicht alleine ins Klassenzimmer, sondern mit einem älteren Herrn, einem ehemaligen Staatsbürger der früheren DDR.

Sein Name ist Hartwig Kluge; er wurde 1947 in Halle geboren und er erlebte den Mauerbau mit gerade einmal 14 Jahren. "Meine Mutter saß an jenem Morgen weinend am Küchentisch und erzählte mir, die DDR-Führung habe uns jetzt endgültig vom westlichen Deutschland abgetrennt", so Kluge.

Viele seiner Verwandten und Freunde lebten damals in West-Deutschland, und die Möglichkeit, sie wiederzusehen, war jetzt aussichtslos, denn die innerdeutsche Grenze wurde so sehr überwacht, dass an eine Flucht in die BRD nicht zu denken war. Seinen Traumberuf Lehrer konnte Kluge nicht erlernen, weil er, wie er später erfuhr, von der Stasi bespitzelt wurde, und seine Familie dem DDR-Regime gegenüber kritisch eingestellt war. Außerdem ging er nicht wählen, was die Stasi noch hellhöriger machte.

Das Spektakulärste, was Kluge an diesem Morgen erzählte, war wohl die versuchte Flucht in die BRD über Ungarn. Er fuhr mit einem Freund an den Balaton, und lernte dort Ungarn kennen, die ihm helfen wollten zu fliehen. In der Nacht der geplanten Flucht fand in dem ungarischen Grenzdorf allerdings eine Truppenübung statt, und so wurde er, noch bevor die Flucht überhaupt richtig startete, von einem ungarischen Grenzsoldaten angehalten.

"Und auf einmal hatte ich einen Gewehrlauf vor der Brust; das waren wohl die längsten fünf Minuten meines Lebens", erzählt Kluge. Er wurde abgeführt und gab den geplanten Fluchtversuch zu. Stolz ist er noch heute darauf, dass er seine ungarischen Helfer trotz vieler nachfolgender Verhöre nie verraten hat.

Im darauffolgenden Gerichtsverfahren wurde er zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt, das heißt zu einer Haftstrafe in einer besonderen Art Gefängnis für politische Häftlinge. In jenem Zuchthaus, dem "Roten Ochsen" in Halle, musste er viel arbeiten, aber die Zeit in der Zelle vertrieb er sich unter anderem mit "Fernschach", das mit Hilfe von an die Zellenwand geklopften Morsezeichen und einem Stück Toilettenpapier, auf dem mit einem verkohltem Streichholz ein Schachbrettmuster gezeichnet wurde, gegen den Insassen der Nachbarzelle gespielt wurde.

Nach einem Jahr und sechs Monaten im Zuchthaus wurde Hartwig Kluge von der BRD freigekauft und zusammen mit anderen freigekauften Häftlingen mit einem Bus in die Bundesrepublik gebracht. Der Satz "Die Regierung entzieht Ihnen die Staatsbürgerschaft der DDR" sei der schönste Satz, den er in seinem Leben gehört habe.   Der Autor ist Schüler der Klasse 9b und Mitglied der Jugendredaktion am AMG