Über Jahre soll die heute 49-jährige Erzieherin ihre vier Pflegekinder misshandelt haben. (Symbolfoto) Foto: freepik.com

Erzieherin aus Freudenstadt soll ihre vier Pflegekinder über Jahre drakonisch bestraft haben. Urteil fällt am 13. Oktober.

Kreis Rottweil/Freudenstadt - Die Pflegemutter lächelt wieder. In einem Berufungsverfahren haben ihre Anwältinnen eine gute Ausgangsbasis ausgehandelt. Die Angeklagte aus dem Kreis Freudenstadt könnte mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Ihre einstigen Pflegekinder werden wohl ihr Leben lang an die Vorfälle denken.

Der Windfang: Es ist ein Ort, der für die vier Pflegekinder regelmäßig zu einer Art Gefängnis, zu einem Ort körperlicher und seelischer Schmerzen wird.

Der Windfang gehört zu einem Haus, das irgendwo im Kreis Freudenstadt steht. Die vier Kinder, sechs bis gerade zehn Jahre alt, müssen früh morgens, ab sechs Uhr, in diesem Windfang stehen. Oft leicht bekleidet, ohne Schuhe, sogar barfuß, teils auf einem Abstreifgitter, auch im Winter. Das Muster, so erinnert sich ein Kind, habe sich in die Haut eingegraben. Stundenlang geht die Prozedur, bis sie sich anziehen und zur Schule gehen dürfen. Ohne gefrühstückt zu haben. "Drill", nennt es eines der Kinder heute. Warum man sie so behandelt habe? "Keine Ahnung."

Verteidiger plädierten auf Freispruch

Das ist nur ein Vorwurf von mehreren, mit denen die Angeklagte, eine heute 49 Jahre alte Frau, erneut konfrontiert wird. Die Fälle liegen Jahre zurück, das erstinstanzliche Urteil wurde im Mai vergangenen Jahres gesprochen. Die Frau, gelernte Erzieherin, wurde damals vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Rottweil zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ihr wurde vorgeworfen, ihre vier Pflegekinder von 2001 bis 2006 in 18 Fällen durch Strafen und Sanktionsandrohungen misshandelt zu haben. Misshandlung von Schutzbefohlenen nennen das die Juristen.

Beide Seiten, sowohl die Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft, legten Berufung ein. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch für ihre Mandantin, die die Vorwürfe bislang allesamt leugnete. Die Staatsanwaltschaft indes forderte eine Gefängnisstrafe von drei Jahren und drei Monaten.

Nun also wird der Fall neu verhandelt. Jetzt wäre der Verteidigung recht, ihre Mandantin würde mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Alles andere sei eine Katastrophe angesichts dessen, dass eine zwölfjährige Adoptivtochter zu Hause auf sie warte, und dennoch nur schwer zu ertragen, da man ihr glaube und sie doch die Wahrheit erzähle, sagt die Verteidigung.

Dass die Frau nach dem gestrigen ersten Verhandlungstag des Berufungsverfahrens vor der Ersten Großen Jugendkammer des Landgerichts Rottweil wieder hoffen kann, hat mit einer Absprache zu tun. Diese treffen die Staatsanwaltschaft (vertreten durch Christine Brunnquell-Geiger und Christian Kleimaier), die Nebenklage, die Verteidigung (die Rechtsanwältinnen Andrea Schlosser und Judith Hafner) und die Kammer unter Vorsitz von Richter Karlheinz Münzer.

Der Deal: Die Angeklagte legt ein Geständnis ab, im Gegenzug werden manche Vorwürfe fallen gelassen, der Strafrahmen wird mit einem Jahr und drei Monaten als unterste, und zwei Jahren als oberste Grenze festgelegt. Das gilt, außer, es gibt neue gravierende Erkenntnisse. Aber auch schon so sind die Zeugenaussagen der Betroffenen außerordentlich. Die Gutachterin, die Psychologin Marianne Clauß von der Universität Tübingen, spricht von "unangemessenen erzieherischen Methoden, Quälen, Herabsetzen, emotionaler Kälte".

Die Hauptzeugin, heute 20 Jahre alt, sagt aus, dass sie die Sanktionen durch ihre Pflegemutter nicht als Bestrafung verstanden habe. Vielmehr sei es Normalität gewesen. Zu keinem Zeitpunkt habe die Pflegemutter sich bei den Kindern für ihr Verhalten entschuldigt oder es begründet.

Im Dezember 2000 hatten sie und ihr Bruder sich für die Pflegemutter entschieden. Sie hatte sie sogar "Mama" genannt. Neben ihnen hatte diese "Mama" ein weiteres Geschwisterpaar in Pflege.

Junge durfte morgens nicht aufs Klo

Neben der Strafe, stundenlang und kaum bekleidet im zugigen Windfang stehen zu müssen, musste das Mädchen weitere Sanktionen erdulden. Die 20-Jährige erinnert sich, dass sie mehrmals angewiesen worden sei, ihre Zimmertür, die nicht richtig schloss, die ganze Nacht lang zuzudrücken, weshalb sie oft neben der Tür schlief, um bei Kontrollen schnell aufspringen zu können.

Die Angeklagte, die bislang die Vorwürfe bestritt, räumt die Vergehen erstmals ein. Unter Tränen sagt sie aus, sie habe es sich so schön vorgestellt, eine große Familie zu haben. Doch es sei ihr zu viel geworden. Der Umgang mit den schwer erziehbaren Kindern habe sie überfordert. Das wollte sie sich aber nicht eingestehen. Ebenfalls unter Tränen entschuldigt sie sich bei ihrer ehemaligen Pflegetochter für die Misshandlungen. Die 20-Jährige, die selbst Mutter ist, und mit einer Anzeige vor vier Jahren den Anstoß für das Verfahren gab, sagt daraufhin: "Diese Erlebnisse prägen mich bis heute. Aber jetzt, wo ich selber Familie habe, kann ich endlich damit abschließen."

Ihrem zwei Jahre älteren Bruder fällt es sichtlich schwerer, über die Erlebnisse zu berichten. Er bestätigt die Angaben seiner Schwester, wenn er sich auch an deutlich weniger Details erinnert oder erinnern will. Er fügt hinzu, dass er oft auf dem Weg zur Schule ins Gebüsch urinieren musste, weil es den Kindern verboten war, morgens aufs Klo zu gehen. Des Weiteren seien alle Kinder wechselnd angewiesen worden, die Türen nachts zuzudrücken. Er sagt, dass es ihm immer noch schwer fiele, über die Bestrafungen zu sprechen. "Wenn man mir solche Dinge antut, kann ich kein gutes Verhältnis mehr mit demjenigen haben."

Die Verhandlung wird am 13. Oktober fortgesetzt. Dann wird auch das Urteil erwartet.