Stefan Scheuermann und Andreas Hörnle (rechts) pflegen einen Kastanienbaum. Foto: Katja Fuchs

Albert Schmidt kennt alle 5267 Bäume der Stadt. Pilzerkrankungen und Feinstaub schaden.

Rottweil - Nicht selten ist die Aufregung groß, wenn ein Baum im Stadtgebiet gefällt werden muss. Wie oft das in Rottweil vorkommt und was die Hauptgründe sind, dass Bäume gefällt werden müssen, erklärt Rottweils Baumkontrolleur Albert Schmidt.

Er entscheidet über Leben und Tod. Und das tut er mit Bedacht. Die tägliche Arbeit des zertifizierten Baumkontrolleurs Albert Schmidt ist von ständigem Abwägen geprägt. Die Entscheidungen, die er trifft, sind Gratwanderungen zwischen dem Wert, den ein Baum für die Stadt hat, und der Gefahr, die möglicherweise von ihm ausgeht.

Als Baum hat man kein leichtes Leben. "Bäume haben zunehmend Stress", sagt Schmidt. Feinstaub, Maschinen, Industrie und Tiefbauarbeiten schaden ihnen in vielfältiger Weise. Bereits in den Baumschulen würden Versuche gemacht, erklärt Schmidt. Da werde geprüft, welcher Baum für welche Orte geeignet ist. Am Straßenrand brauche man robuste Bäume, denen Schadstoffe und Streusalz weniger zusetzten. An Orten, wo der Baum wenig Platz habe, brauche er lange Wurzeln, die in die Tiefe gehen, um trotzdem genug Wasser zu bekommen. "Man kann heute nicht mehr einfach sagen, ich pflanze hier und da irgendeinen Baum", sagt Schmidt.

"Der Mensch ist der Böse, der dem Baum seinen Lebensraum kaputt macht"

Der Mensch greife immer stärker in die Natur ein. "Es gibt Leute, die meinen, der Rasen in der Stadt müsse aussehen wie auf dem Fußballfeld", bedauert der Experte. Aber: "Wenn wir jedes bisschen Gras und Laub, gleich weg machen, haben die Regenwürmer kein Futter." Und dann können sie keinen Humus herstellen. "Der Baum baut sich ein Häuschen", veranschaulicht Schmidt den Kreislauf. "Der Boden ist sein Bett, die Blätter die Klimaanlage und wenn das Laub irgendwann auf den Boden fällt, wird es dort wieder zu Nahrung umgewandelt. Der Mensch ist der Böse, der dem Baum seinen Lebensraum kaputt macht", lautet sein Fazit.

Mit den grünen Riesen werde mitunter auch rigoros umgegangen, wenn die Stadtplanung im Vordergrund stehe: "Im Zuge von Bauarbeiten werden Kronen beschnitten und Wurzeln gekappt, deren Schnittstellen ein gefundenes Fressen für Parasiten sind." Der Haupt-Schädling, der dazu führt, dass Bäume gefällt werden müssen, sei nämlich der Pilz. Er dringe in den Baum ein und zerstöre ihn von innen. Fäule und hohle Stellen sind die Folge. "Deswegen muss man einen Baum aber nicht gleich fällen", gibt der Baumkontrolleur Entwarnung. "Einige sind innen hohl und tragen trotzdem buschige Blätterkronen." Kritisch wird es, wenn der Baum droht, umzustürzen. Schmidt erinnert sich an einen Baum, der von einem Brandkrustenpilz befallen war. Über und über sei er mit schwarzen Beulen überzogen gewesen. Als die Arbeiter die Säge nur angesetzt haben, sei der Stamm zersplittert.

Neben Pilzen können extreme Temperaturen einen Baum zur Gefahr werden lassen. Ist der Boden sehr trocken, verliert der Baum seine Festigkeit. Auch dann müsse er gefällt werden.

Kontrolle mit dem Bohrer

"Die Sicherheitserwartung in einer Stadt ist hoch", sagt Schmidt. Es sei genau geregelt, welcher Baum wie oft kontrolliert werden müsse. Bei alten Bäumen sei die Kontrolle alle zwei Jahre fällig. Dann rückt Schmidt dem Riesen mit einem Bohrer zu Leibe. Der wird von allen vier Himmelsrichtungen aus angesetzt. Mit Hilfe des Computers lässt sich später in einem Diagramm darstellen, auf welche Widerstände der Bohrer gestoßen ist. So entsteht ein Bild vom Querschnitt des Baums mit den Hohlräumen und weichen Stellen. Ein Stamm könne innen nämlich komplett kaputt sein, ohne dass man es ihm von außen ansehe. Da reiche ein Sturm aus, um ihn umzuwerfen. "Die Sorgenkinder kontrolliere ich jedes halbe Jahr", sagt der Baumexperte. Die Kontrollen werden so getaktet, dass er den Baum zu verschiedenen Jahreszeiten sehe: "Schäden im Astwerk erkennt man ohne Laub besser."

Die Pflanzen werden so lange stehen gelassen, wie bedenkenlos möglich. "Oft sagen die Leute: Jetzt hat der Schmidt schon wieder einen Baum fällen lassen", meint der Kontrolleur. "Aber ich tue das nicht gern. Sollte ein Riese umkippen und zum Beispiel auf einem Auto landen, könnte ich dafür verantwortlich gemacht werden."

Das Computerprogramm hat ein Verzeichnis aller Bäume in ganz Rottweil und den Teilorten. 5267 sind es. Auf einer Karte ist der Standort jedes einzelnen verzeichnet. Und da in Waldgebieten pro Abschnitt nur ein Baum erfasst wird, sind es praktisch noch viel mehr. Etwa 8000, schätzt Schmidt. Viele von ihnen wurden von ihm selbst erfasst.

"95 Prozent der Rottweiler Bäume sind gesund", verkündet der Experte. "Die anderen fünf Prozent sind Problemfälle." 25 Bäume hat Schmidt als nicht verkehrssicher eingestuft, "sie sind so langsam am Sterben." Die behalte er genau im Auge.

"Wo der Mensch so wenig wie möglich eingreift, geht es der Natur meistens am besten"

Auf dem Münsterplatz sind Andreas Hörnle und Stefan Scheuermann gerade dabei, einen Kastanienbaum zu pflegen. Der Boden liegt voller Äste, einige davon sind kahl. "Die hat der Baum absterben lassen als Schutz vor der extremen Hitze", erklärt Schmidt. Die Arbeiter entfernen einige Äste, die über einem Stellplatz hängen. Es gebe genaue Vorschriften, wie viel Platz zwischen Baumkronen und Stellplätzen oder Straßen sein muss. An anderen Stellen werden Äste entfernt, die aneinander oder an Schildern reiben. "Wenn die Rinde dadurch verletzt wird, bekommt der Baum einen Pilz."

Am Kastanienbaum machen die Arbeiter nur, was wirklich nötig ist. "Früher hat man die Kronen radikal beschnitten, heute weiß man, dass das mehr schadet, als dass es hilft." Eines steht für den Baumkontrolleur fest: "Wo der Mensch so wenig wie möglich eingreift, geht es der Natur meistens am besten."