Unterwegs in der Altstadt: Organist und Kirchenchorleiter Klaus Bauer (Mitte) im Gespräch mit Ex-Stadtrat Winfried Wössner (rechts) Foto: Schwarzwälder-Bote

Orts-Check: Spaziergang führt durch "Keimzelle" Rottweils/ Tour durch ein Dorf, das eigentlich keines ist

Von Verena Schickle

Rottweil-Altstadt. Ein eigenes Parlament, ein echter Ortsteil? Das brauchen die Altstädter überhaupt nicht. Arzt, Narrenzunft, Friedhof, Laden, Kindergarten und Schule: "Wir sind autark", sagt Hubert Ernst. Das sagt schon alles über die Altstädter.

Selbstbewusst sind sie und pfiffig, mitunter sogar ein bisschen frech. So haben wir die Altstädter auch auf unserem Spaziergang durch ihre Heimat erlebt. Und obwohl das Wetter schlecht war, gab es bisher keinen Spaziergang während unseres Orts-Checks, an dem mehr Interessierte teilgenommen hätten: Gut 30 waren es gestern Abend.

Zur Begrüßung hatte Redaktionsleiter Armin Schulz von der Altstadt als der "Keimzelle der doch so stolzen Stadt Rottweil" gesprochen. Dessen sind sich die heutigen Bewohner des einstigen Arae Flaviae durchaus bewusst. In der Altstadt gibt es überall Spuren der Vergangenheit: Das römische Bad unter der Pelagiusbasilika ist nur ein Beispiel. Das jüngste ist die Ausgrabungsstätte in der Armlederstraße. Grabungsleiter Thomas Schlipf arbeite schon länger in der Altstadt als er in Rottweil lebe, witzelt Ralf "Hefe" Armleder. Und Helmut Spreter betont, dass die Römer dort nicht nur ihre Soldaten stationiert hatten, sondern auch dort wohnten.

Vielleicht ziehen die Altstädter ja aus solch’ tief reichenden Wurzeln ihr Selbstbewusstsein. Denn es gibt durchaus Straßen, die nicht so schön sind: Die Armlederstraße etwa gehöre dringend gerichtet, meinen sie, in der Römerstraße werde gerast, und manches alte Haus befindet sich im Dornröschenschlaf. Auch an ihnen kommen wir auf unserer Tour vorbei.

Das allerdings sind nicht die Orte, an denen die Spaziergänger am meisten zu erzählen haben. Solch ein Ort ist stattdessen das Vereinshaus. "Es wird intensiv genutzt", erzählt Winfried Wössner. Der Männergesangverein "Germania" übt hier, Narrenzunft und Pelagiusjugend treffen sich, Deutschkurse für Asylbewerber finden statt, und am Sonntag war ein Wahllokal dort. Auch der Musikverein "Frohsinn" probt im Gebäude und lobt die Stadt: Die habe die Sanierung des Probenlokals finanziert, erzählt Vorsitzender Tobias Flaig.

Überhaupt ist es das Miteinander in den Vereinen und Gruppen, die das Leben in der Altstadt ausmachen. "Es geht alles Hand in Hand", sagt ein junger Spaziergänger. Die Altstadt sei wie ein Dorf, fügt Ralf Armleder hinzu. Viele sind nicht nur in einem Verein, sondern in mehreren engagiert. Auch die Kirchengemeinde ist umtriebig: Nirgends in Rottweil gebe es mehr Ministranten als in der Altstadt, ohnehin treibe die Pelagiusjugend viel um. Helmut Spreter erinnert an das Fastenessen oder das Wandern für einen guten Zweck.

Die Pelagiusbasilika ist die Urkirche Rottweils. Die Kirchengemeinde hat das Gotteshaus saniert, der Turm gehört der Stadt und könnte mindestens einen neuen Anstrich gebrauchen, finden die Altstädter. Dass ausgerechnet der Kirchturm als ältester Rottweils nicht in der Werbung als "Stadt der Türme" und der dort verwendeten Silhoutte auftaucht, können einige von ihnen absolut nicht verstehen. Das weiß längst auch der OB. Dazu passt, was Klaus Bauer irgendwann sagt: Die Altstädter seien patriotische Rottweiler, aber es solle bloß keiner was gegen die Altstadt sagen.

Zumal die da ist, wenn’s brennt: 18 Aktive hat der örtliche Löschzug derzeit, und in diesem Jahr absolvierten sie bereits 45 Einsätze, berichtet Löschzugführer Dirk Schmelzer. Für ihn ein großer Pluspunkt seiner Truppe: Viele arbeiten in der Nähe, etwa auf der Saline, und sind deshalb auch tagsüber schnell vor Ort.

Ein weiterer Pluspunkt ist die Turngemeinde (TGA). Auf dem Sportgelände am Neckar ist fast immer was los. Manchmal zu viel: Der Bolzplatz steht immer wieder unter Wasser. Darüber hinaus ist er stark beansprucht. Weil es auf dem Trainingsplatz keine Scheinwerfer gibt, müssen alle Fußballmannschaften spätestens nach der Zeitumstellung auf dem Hauptplatz kicken.

Übrigens spielen auch Flüchtlinge aus der Unterkunft in der Unteren Lehrstraße mit. "Das ist Integration", findet TGA-Vorsitzender Jürgen Sigrist. Integration ist auch, dass das Wohnheim für die Altstädter längst dazugehört. Es werde nicht als negativ angesehen, sagt Wössner, und sei kein Brennpunkt.

Zurück zum Sportplatz: Die vielen Spuren der Vergangenheit haben auch einen Nachteil: Dort, wo eigentlich mal ein neues Sportgelände entstehen sollte, befindet sich ein Grabungsschutzgebiet. Auch privaten Bauvorhaben machen historische Funde immer wieder einen Strich durch die Rechnung. In der Altstadt gibt es einen Running Gag, der lautet: Wer seinem Nachbarn etwas Gutes tun will, wirft ihm eine römische Münze in den Garten.

Viel ließe sich noch sagen über die sogenannten Kabisköpfe. Ihr Symbol ist ein Esel mit einem Krautkopf zwischen den Ohren. Ralf Armleder hat einen entsprechenden Anstecker an der Jacke. Die Anekdote, die er dazu erzählt, sagt viel über die Bewohner dieses Fleckchens Rottweil aus: Als die Altstädter den zehnten Teil abgeben sollten, und zwar in Form von Getreide, gingen sie dazu über, vermehrt Kraut anzupflanzen. Das machte ebenfalls satt, reichte über den Winter und sie konnten es behalten. Vielleicht sagt Klaus Bauer ja deshalb: "Den Kabis trägt man eher mit Stolz."