Ludwig zitiert große Philosophen und glaubt daran, dass mit den richtigen Werten alles gut werden kann. Fotos: Cools Foto: Schwarzwälder Bote

Zimmertheater-Premiere: Was passiert, wenn Europa zerbricht?

Rottweil. Gefühle, die als Währung benutzt werden, Menschen, die im Luxus die Menschlichkeit vergessen und ein Leben nach dem Motto "Win or die" – "Europa entgleitet uns", ist sich Peter Staatsmann sicher. Sein selbst geschriebenen Stück "Raub der Europa" wurde am Freitag im Zimmertheater Rottweil uraufgeführt. Dieses will vor allem eine Frage beantworten: Was passiert, wenn Europa auseinanderfällt?

Vorab gesagt: Was die Zuschauer serviert bekamen, war keine leichte Kost: unangenehme Wahrheiten, komplexe Theorien und Fragen, die zum Nachdenken anregen. Aber genau das ist es, was das Zimmertheater-Team mit seiner Deutschland-Trilogie will: den Finger in die Wunde legen. Nach dem Populismus-Stück "Wenn der Kahn nach links kippt, setze ich mich nach rechts" dringt man in der Fortsetzung nun zum Kern der Probleme vor.

Wie sich zeigt, ist der tiefer liegende Konflikt, aus dem sich Unzufriedenheit und Hass speisen, einer der Identität. Wie kann man in einer Kultur leben, die sich nur auf das Zählbare verlässt, wie eine Familie in einer Welt ohne Bindungen gründen?

Zwischen den Stühlen

Im Stück treffen die junge Pädagogin Anna (Margarita Wiesner) und Schauspieler Ludwig (David Gundlach) auf die wohlhabenden "Nach-Achtundsechziger" Marie (Petra Weimer) und Richard (Peter Raffalt). Einig sind sich alle nur in einem: Ein Europa zwischen den Stühlen – das hält keiner aus. Doch haben sie recht verschiedene Methoden, ihre inneren Konflikte zu bewältigen.

Während Ludwig als Idealist glaubt, mit den richtigen Werten könne man gemeinsam ein gutes Europa schaffen, sucht Anna verzweifelt nach einem Weg, den Glauben an die Einheit nicht zu verlieren. Richard, mit Leib und Seele Kapitalist, glaubt einzig an die Macht des Geldes, während Marie den Luxus braucht und gleichzeitig an ihm zu ersticken droht. Was ihr das Gefühl von Freiheit geben soll, lähmt sie.

Sie alle versuchen, in dieser zerrissenen Welt ihren Frieden zu finden. Am Anfang sind die Gräben zwischen ihnen allen nur zu erahnen, kleine Brösel des bröckelnden Fundaments.

Dann beginnen die Diskussionen. Immer mehr Risse entstehen, als es um die Unterdrückung der Frau und den Klimawandel geht. Und je tiefer sich die Personen in Konflikte verstricken, desto klarer wird, dass niemand unbeschadet daraus hervorgehen kann. Wie Europa ist auch die Familie nur noch durch Ressentiments verbunden – ein wackeliges Gefüge, das bei der geringsten Erschütterung zu zerbersten droht. "Wir haben uns alle in eine komische Welt verirrt. Ich kann mir keine Zeit denken, die zerrissener wäre", sagt Ludwig.

Nach und nach reift die Erkenntnis in Anna: Es gibt keinen Gott der Integration, der alle retten wird, nur gähnende Leere. Und als sie sieht, dass Ludwigs Idealismus ins Wanken gerät und er droht, sich von Richards Worten vergiften zu lassen, bleibt Anna nur eins: gnadenlose Wahrheit.

Und nur wenn sie wehtut, kann der Konflikt überwunden werden, ist sich auch Marie sicher, während Richard sie warnt, den Schleier zu heben: "Wir können nicht ertragen, was darunter ist."

Die Filmmusik der "Titanic" macht nur noch offensichtlicher, was jeder bereits spürt: Das Schiff sinkt, und es gibt nicht genug Rettungsboote. Was passiert also, wenn alles auseinanderbricht? Am Ende verlieren alle – die einen ihr Leben, die anderen ihre Seele.