Von 2002 bis Ende August vergangenen Jahres hatte die Diözese Rottenburg-Stuttgart an Missbrauchsopfer 640.000 Euro Entschädigung gezahlt sowie zusätzlich 130.000 Euro Therapiekosten übernommen. (Symbolfoto) Foto: Becker

Rat will, dass geltende Praxis von Aufklärung und Prävention gegen sexuellen Missbrauch in Kirche überprüft wird.

Rottenburg/Stuttgart - Der Diözesanrat Rottenburg-Stuttgart hat Bischof Gebhard Fürst aufgefordert, die geltende Praxis von Aufklärung und Prävention gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche zu überprüfen. So empfiehlt ein mehrere Punkte umfassender Katalog als Konsequenz der im September vorgestellten Studie der Deutschen Bischofskonferenz einen niederschwelligen Zugang zur Meldung von Missbrauch. Der aus 120 Mitgliedern bestehende Rat empfahl Fürst bei seiner Tagung im Klöster Schöntal (Hohenlohekreis) auch zu prüfen, ob Betroffene angemessen entschädigt werden könnten - insbesondere, wenn es eine staatliche oder kirchliche Verurteilung gegeben hat. Kirchliche Mitarbeiter müssten außerdem Verdachtsfälle immer an die Kommission sexueller Missbrauch melden, riet der Diözesanrat.

Die Kommission ist seit 2002 im Bereich der Aufklärung und Untersuchung von Verdachtsfällen sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Einrichtungen und allen Bereichen der Diözese tätig. Der Diözesanrat hat nur hinsichtlich Kirchensteuer und Haushalt Beschlussrecht; in allen anderen Fragen darf er nur beraten. Die Studie der Deutschen Bischofskonferenz belegt detailliert, wie katholische Kleriker Kinder und Jugendliche in den vergangenen Jahrzehnten sexuell missbrauchten. Zwischen 1946 und 2014 sollen demnach mindestens 1670 katholische Kleriker 3677 meist männliche Minderjährige missbraucht haben.

Kritisiert werden in der Studie Strukturen der Kirche, die Missbrauch noch heute begünstigten. Wie aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der FDP von Mitte März hervorgeht, ermitteln Staatsanwälte in Baden-Württemberg gegen mindestens 67 Priester, Diakone und Ordenspriester der katholische Kirche wegen sexuellen Missbrauchs. Demnach prüfen die Ermittler Vorwürfe gegen 22 Personen, die in der Diözese Rottenburg beschäftigt sind oder waren, sowie gegen 45 in der Erzdiözese Freiburg. Diese hatte zur Aufarbeitung der Missbrauchsfällen eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Sie soll anhand von selbst ausgewählten Fällen klären, welche Strukturen zu Vertuschung und Machtmissbrauch geführt haben.

Erzbischof Stephan Burger hatte eingeräumt, dass es in seiner Diözese über Jahrzehnte hinweg Missbrauch und Vertuschung gegeben habe. Von Anfang 1946 bis Ende 2015 wurden in der Erzdiözese 190 Beschuldigte entdeckt, die meisten von ihnen Priester. Es gibt laut Burger mindestens 442 Betroffene. An Missbrauchsopfer dieser Zeit habe seine Diözese bislang 1,3 Millionen Euro Entschädigung gezahlt. Hinzu kämen 118.000 Euro Entschädigung für Opfer der Jahre 2016 bis 2018 sowie die Übernahme von Therapiekosten. Das Geld stamme aus dem vor allem von Immobilienbesitz getragenen Haushalt des Erzbischofs und somit bewusst nicht aus Kirchensteuern.

Auch in der Diözese Rottenburg-Stuttgart läuft die Aufarbeitung. Seit 2001 werden Akten systematisch gesichtet, seit 2002 gibt es die unabhängige Kommission. Diese beschäftigte sich seitdem mit rund 150 Vorwürfen Betroffener. Von 2002 bis Ende August vergangenen Jahres hatte die Diözese an Missbrauchsopfer 640.000 Euro Entschädigung gezahlt sowie zusätzlich 130.000 Euro Therapiekosten übernommen.

Der Papst hatte am Freitag umfassende Regeln für den Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch für den Vatikanstaat aufgestellt. Der Vatikan veröffentlichte dazu drei von Papst Franziskus unterzeichnete Dokumente - einen Erlass, ein Gesetz und einen Richtlinienkatalog. Unter anderem legt Franziskus fest, dass im Vatikan vom Sommer an bereits der Verdacht auf Missbrauchsfälle unverzüglich angezeigt werden muss. Zudem sollten verurteilte Täter von ihren Posten entfernt werden.