Wohnen: Zu unterschiedlich: Tübinger Mietpreise dürfen nicht auf Rottenburg bezogen werden / Weiterhin kein eigener Mietspiegel

Weil Rottenburg keinen eigenen Mietspiegel hat, hatte das Amtsgericht den Tübinger Mietspiegel angewandt – zu Unrecht, sagt das Landgericht. Die Stadt Rottenburg will weiterhin keinen Mietspiegel erstellen, obwohl der eine Erleichterung sein könnte.

Rottenburg. Der Tübinger Mietspiegel kann laut Landgericht nicht auf Immobilien in Rottenburg angewendet werden. Denn Rottenburg und Tübingen sind zu unterschiedlich. Es fehle an der Vergleichbarkeit, die der Bundesgerichtshof als Voraussetzung dafür genannt hatte, dass der qualifizierte Mietspiegel einer Stadt auf eine andere angewandt werden kann. Das Amtsgericht Rottenburg war erstinstanzlich zu einem anderen Urteil gekommen und hatte die Orientierung am Tübinger Mietspiegel für rechtens erklärt.

Ihren Ausgangspunkt haben die beiden Urteile in einer gut ausgestatteten 140-Quadratmeter-Wohnung in Rottenburg. Um eine Mieterhöhung um 20 Prozent zu rechtfertigen, hatten die Vermieter den Tübinger Mietspiegel als Vergleichsgrundlage benutzt. Im Grunde ist ein solches Vorgehen richtig: Wenn eine Gemeinde oder Stadt keinen eigenen Mietspiegel besitzt – wie es bei Rottenburg der Fall ist –, kann hilfsweise der Mietspiegel einer vergleichbaren Gemeinde oder Stadt – in diesem Fall – herangezogen werden. Die Frage, die sich die Richter stellten war also, ob Rottenburg und Tübingen in Sachen Miethöhe mit besonderem Augenmerk auf die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen vergleichbar sind.

Das Amtsgericht sagte ja, das Landgericht nein. Ersteres begründete seine Entscheidung vor allem mit Rottenburgs Nähe zur Kreisstadt Tübingen und mit der guten Verkehrslage: Autobahn-Anbindung, zwei Bahnhöfe und nur 12 Kilometer bis nach Tübingen – zusammen mit Rottenburgs Kultur-, Bildungs-, Freizeit- und medizinischem Angebot war das für das Amtsgericht ausschlaggebend, um die Anwendung des Tübinger Mietspiegels zu befürworten. Insbesondere profitiere Rottenburg "in ausgeprägtem Ausmaß" von der Infrastruktur der Stadt Tübingen.

Die Mieter legten Berufung ein – wohl zurecht, wie sich vor dem Landgericht herausstellte. Zum einen hätte Tübingen rund 88 000 Einwohner und damit gut doppelt so viele wie Rottenburg, wo etwa 43 000 Menschen leben. Auch der hohe Studentenanteil in der Kreisstadt – immerhin rund 28 000 Studenten leben in Tübingen – übe einen "erhöhten Druck auf dem Wohnungsmarkt" aus und treibe so die Mieten nach oben.

Damit seien die Zeiten, in denen das Amtsgericht Rottenburg den Tübinger Mietspiegel als Bemessungsgrundlage anlegen könne, vorbei, erklärt Michael Dietz aus Rottenburg. Er ist Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht und sitzt zudem dem Haus- und Grundbesitzerverein Rottenburg vor.

Ob Rottenburg einen eigenen Mietspiegel bekommen sollte, ist laut Dietz schwer zu beurteilen. Einerseits sei ein Mietspiegel für Vermieter "ein einfach zu handhabendes Instrument", um ihre Miete an das ortsübliche Niveau anzupassen und auch für die Mieter von Vorteil: "Ihnen gibt es die Möglichkeit, zu überprüfen, ob etwa Mietsteigerungen gerechtfertigt sind."

Mieten steigen sowieso, aber ein Mietspiegel könnte das beschleunigen

Natürlich gibt es auch Alternativen zum Mietspiegel, diese sind allerdings oftmals mit großem Aufwand verbunden. "Man kann zum Beispiel ein Gutachten erstellen lassen", erklärt Dietz – Kostenpunkt etwa 15 000 Euro. "Und das ist auf jeden Fall eine beachtliche Investition." Die zweite Möglichkeit wäre, als Begründung einer Änderung der Miethöhe drei Vergleichswohnungen anzugeben. Aber auch hier werde es nicht selten problematisch: "Viele Vermieter wollen nicht angeben, wie viel Miete sie verlangen. Deshalb ist es schwer, die benötigten Daten zusammenzubekommen."

Obwohl ein eigener Mietspiegel für Rottenburg also eine Erleichterung für Mieter und Vermieter darstellen könnte, hat die Stadt begründete Vorbehalte. Zum einen wäre die Erstellung eines Mietspiegels eine gewaltige Investition – in Tübingen habe es vor ein paar Jahren beispielsweise rund 250 000 Euro gekostet, einen qualifizierten Mietspiegel auszuarbeiten, teilt die Stadtverwaltung Rottenburg mit. Dazu kämen weiter Kosten, denn ein qualifizierter Mietspiegel muss im Abstand von zwei Jahren aktualisiert und nach vier Jahren komplett neu erstellt werden. Das baden-württembergische Wirtschaftsministerium bietet zwar eine einmalige Förderung von bis zu 50 000 Euro für die Erstellung eines Mietspiegels, diese Summe würde aber den Aufwand nicht einmal im Ansatz decken.

Zudem fürchtet die Stadtverwaltung, dass die Mieten in Rottenburg stärker steigen würden als bisher, wenn es einen Mietspiegel gäbe. Denn um diesen zu erstellen, werden die Neuvermietungen der vergangenen vier Jahre erfasst – und diese erfolgten zu höheren Preisen als in den vorangegangenen Jahren.

Schuld daran ist vor allem ein deutschlandweites Phänomen der jüngeren Vergangenheit: Viele Menschen könnten sich die hohen Mieten in größeren Städten nicht mehr leisten und würden deshalb in das nähere Umfeld ausweichen, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Laut Dietz hat auch Rottenburg mit dieser Entwicklung zu kämpfen: "In Tübingen ist der Preisdruck – auch durch die vielen Studenten – so hoch, dass immer mehr Mieter nach Rottenburg ausweichen. Folglich steigt die Nachfrage nach Wohnungen – und mit ihr die Mietpreise."

Das Landesministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau förderte und fördert die Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels in den Jahren 2018 und 2019. Mindestens zwei Gemeinden oder Städte müssen sich zusammentun und gemeinsam mindestens 10 000 Einwohner haben. Dann kann die Förderung in Höhe von 50 Cent pro Einwohner – maximal aber in Höhe von 50 000 Euro bezogen werden. "Qualifizierte Mietspiegel sind ein wichtiges Instrument zur Transparenz lokaler Wohnungsmärkte für die Mieter und für die Vermieterseite, insbesondere bezüglich der Frage zulässiger Mieterhöhungen", heißt es im Leitfaden des Ministeriums. Ziel sei es, "die Rechtssicherheit von Vermietern und Mietern zu der Zulässigkeit der Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete zu stärken".