Kroatiens Hauptstadt Zagreb Foto: fotolia

Schulden, Rezession und Arbeitslosigkeit: Die Realität in Kroatien, dem jüngsten Mitglied der Europäischen Union, ist alles andere als rosig. Darunter leidet auch die deutsche Minderheit im Land: Die Mittel für die Arbeit gegen das Vergessen werden gekürzt.

Schulden, Rezession und Arbeitslosigkeit: Die Realität in Kroatien, dem jüngsten Mitglied der Europäischen Union, ist alles andere als rosig. Darunter leidet auch die deutsche Minderheit im Land: Die Mittel für die Arbeit gegen das Vergessen werden gekürzt.

Zagreb/Osijek/Stuttgart - Wenn Radoslav Karleuša Deutsch spricht, erinnert ihn das an früher. An seine Kindheit, an seine Mutter. Manchmal holpern seine Sätze dann, manchmal sucht er nach Worten. Der 84-Jährige lebt seit 60 Jahren in der kroatischen Hauptstadt Zagreb. „Aber Deutsch ist meine Muttersprache“, sagt er.

Und weil seine Wurzeln für ihn ein Teil seiner Kultur und seiner Identität sind, möchte er sie pflegen. Etwa 3000 Menschen in Kroatien fühlen sich noch als Deutsche. Mit deutschen Schulen, Theaterprojekten oder Zeitungen auf Deutsch versuchen sie, ihre Kultur am Leben zu erhalten. Die Projekte sind in Gefahr, weil wegen der Krise die staatliche Unterstützung immer weniger wird.

„Europa bedeutet für uns Vernetzung“, sagt Renata Trischler, Chefin der Deutschen Gemeinschaft, des größten deutschen Minderheitenvereins in Kroatien. Trischler hofft, dass sich durch die neue Zusammenarbeit mit anderen deutschen Minderheiten in der Europäischen Union (EU) Möglichkeiten auftun, damit sie weiter arbeiten können.

Verhältnis der Kroaten zur EU ist zwiegespalten

Kroatien ist der EU erst im Juli 2013 beigetreten – und ist somit ihr jüngstes Mitglied. Im Rathaus in Zagreb hat Sandra Svaljek ihr Büro. Sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin und stellvertretende Bürgermeisterin. „Was der Beitritt in die Europäische Union den Kroaten gebracht hat, ist noch nicht klar erkennbar“, sagt sie. Grundsätzlich sei das Verhältnis der Kroaten zur Europäischen Union zwiegespalten.

Zwar bietet die EU einige Vorteile – etwa mehr Transparenz in der Politik, eine bessere Infrastruktur, mehr Verbraucherschutz. Es gebe aber auch Nachteile. So tun sich viele kroatische Firmen schwer, weil der Wettbewerb durch den EU-Beitritt schärfer geworden ist. Viele Unternehmen haben Mitarbeiter entlassen, die Arbeitslosenquote ist seit 2009 von neun auf über 20 Prozent gestiegen. Bei den jungen Menschen ist fast jeder zweite ohne Arbeit.

Über Themen wie diese berichtet der gebürtige Bruchsaler Eduard Rupcic. Hauptberuflich arbeitet er als Vertriebschef eines Softwareunternehmens. Aber einmal in der Woche, am Mittwochabend, moderiert er die einzige deutsche Radiosendung in Kroatien. Rupcic sagt, die Kroaten ertrügen ihre Situation mit verzweifeltem Humor: Als Russland vor kurzem drohte, wegen der Krimkrise weniger Gas nach Europa zu liefern, machten sich Industriestaaten Sorgen um ihre Wirtschaft – und die Kroaten machten Witze: „Das kann unserer Industrie nichts anhaben“, sagten sie. „Wir haben ja gar keine!“ Zwischen 2008 und 2012 ist das Bruttoinlandsprodukt um über 18 Prozent geschrumpft.

Um 1900 lebten in Kroatien über 85 700 Menschen deutscher Abstammung

Die Hörer von Rupcic sind vor allem Kroatiendeutsche. Um das Jahr 1900 lebten in Kroatien über 85 700 Menschen deutscher Abstammung. Dabei handelte es sich um Nachfahren der sogenannten Donauschwaben, die sich vom 17. bis 19. Jahrhundert auf der Suche nach einem besseren Leben nach Südosteuropa aufmachten. Die meisten der 400 000 Auswanderer kamen aus dem Gebiet des heutigen Baden-Württembergs. Sie fuhren von Ulm aus mit Booten auf der Donau ihrer neuen Heimat entgegen – daher kommt auch der Begriff Donauschwaben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg flohen Tausende Donauschwaben nach Baden-Württemberg. Das Land übernahm die Patenschaft für sie. „In den Nachkriegsjahren ist es in Jugoslawien unmöglich gewesen, einen deutschen Verein zu gründen“, sagt Renata Trischler. „Die Sprache durfte praktisch nicht mehr gesprochen werden“, erzählt Radoslav Karleuša. Dies änderte sich erst, als Kroatien Anfang der 1990er Jahren unabhängig wurde. Trischler geht davon aus, dass es noch heute bis zu 40 000 deutschstämmige Kroaten gibt. „Aber ihre Identität wurde durch die Geschichte verwischt.“

In der Zwischenzeit sind die Kroatiendeutschen vom Rest der Welt vergessen worden. „Wir sind uns dessen bewusst, dass man fast ein halbes Jahrhundert nichts von den Deutschen in Kroatien gehört hat“, sagt Trischler, deren Vorfahren aus dem Schwarzwald kommen. Sie kann es verstehen, wenn Menschen in Deutschland überrascht sind, wenn sie von ihrem Verein hören.

„Es hat lange gedauert, bis wir es geschafft haben, einige Türen zu öffnen und laut zu sagen, dass es uns immer noch gibt.“ Doch bevor sie richtig angefangen hat, steht die Arbeit der deutschen Kroaten schon wieder vor dem Aus. Die Gemeinschaft droht sich aufzulösen. Es kommen immer weniger junge Interessierte nach. Geld für mehr Nachwuchsarbeit gibt es jedoch auch nicht.

„Wir leben in einem Land voller Absurditäten“

Zu groß sind die Probleme in der kroatischen Heimat. „Wir leben in einem Land voller Absurditäten“, sagt Eduard Rupcic. „So sind für Grundschüler neue elektronische Schreibtafeln gekauft worden, obwohl wir nicht mal Geld für Kreide haben.“ In den Krankenhäusern müsse so stark gespart werden, dass Patienten ihr eigenes Toilettenpapier mitnähmen, „aber Geld für Luxusautos für Politiker, für ihre privaten Partys und medizinische Behandlungen im Ausland findet sich immer.“

Rupcic glaubt nicht an politische Veränderung. Wenn in Kroatien am 25. Mai elf Abgeordnete für das Europaparlament gewählt werden, wird er zu Hause bleiben. „Ich werde nicht wählen gehen, weil ich keinen Politiker sehe, der die 15 Minuten wert wäre, die ich für den Wahlvorgang brauche. Ich werde lieber mit dem Hund meiner Nichte spazieren gehen oder den Rasen mähen.“

So wie Rupcic denken viele Kroaten. Bei der ersten Europawahl Kroatiens 2013 gingen lediglich 20,8 Prozent der Bürger wählen. „Ich denke trotzdem, dass die Wahlbeteiligung dieses Mal höher sein wird“, sagt Sandra Svaljek. „Das Verständnis der Kroaten hinsichtlich der europäischen Institutionen und der Rolle des Europäischen Parlaments hat sich verbessert.“ Umfragen zufolge wollen dieses Mal mehr als Hälfte der Kroaten wählen gehen.

Kroatiendeutsche wollen mit anderen Minderheiten zusammenarbeiten

Bei der Deutschen Gemeinschaft herrscht Zweckoptimismus. Renata Trischler hofft, durch die Zusammenarbeit mit anderen Minderheiten neue Geldtöpfe aktivieren zu können. Das Land Baden-Württemberg hat jahrelang Theaterprojekte und die deutsche Zeitung in Kroatien mitfinanziert. Doch inzwischen spürt Trischler die Patenschaft nicht mehr finanziell. Deutschland stellt der Gemeinschaft etwa 5000 Euro im Jahr für Projekte zur Verfügung.

„Etwa 95 Prozent unserer Projekte werden vom kroatischen Staat finanziert“, sagt Trischler. Schon jetzt sei es jedoch fast unmöglich, aus dem Projektgeld auch noch die Personal- und andere anfallende Kosten zu decken. Aufgrund der wirtschaftlich angespannten Lage sollen die Gelder im kommenden Jahr weiter gekürzt werden. Auch die Stelle von Renata Trischler wird es dann wohl nicht mehr geben. „Was dann aus unserer Arbeit wird, kann ich schwer vorhersagen“, sagt sie. „Aber ich bin mir sicher, dass wir diesen Umfang an Projekten nicht mehr haben werden.“

Vom restlichen Europa wird Kroatien längst als Sorgenkind angesehen. Groß ist die Furcht, dass Kroatien das nächste Griechenland sein könnte. Svaljek bemüht sich um Sachlichkeit: „Natürlich sind nötige Reformen viel zu spät angegangen worden, und die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Wirtschaft ist gering“, sagt sie. „Doch obwohl die kroatische Wirtschaft schwach ist, ist sie nicht ernsthaft in Gefahr.“

Rupcic kennt die Vorbehalte gegenüber Kroatien. Zurück nach Bruchsal zu gehen, kommt für ihn nicht infrage. „Ich bin mir sicher, dass Deutschland, das beste Land der Welt ist“, sagt er. „Aber Deutschland ist das beste Land für die Deutschen.“ Rupcic ist als kleines Kind nach Kroatien gekommen, ist dort aufgewachsen, ging dort zur Schule. „Als Kind war eine Reise für mich erst zu Ende, wenn ich wieder in Osijek auf dem Bett meiner Eltern saß und mich im Schlafzimmerspiegel habe lächeln sehen“, sagt er. Und heute lächelt er immer noch, wenn er in die Nähe von Osijek kommt. „Ich liebe Kroatien“, sagt er, „trotz aller seiner Fehler.“