Finanzminister Schäuble hat eine milliardenschwere Rücklage angelegt Foto: dpa

Dem deutschen Staat geht es finanziell so gut wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Alle Ebenen weisen Überschüsse aus. Einmalig ist eine milliardenschwere Rücklage des Bundes. Und schon läuft die Debatte,was mit dem Geld passieren soll.

Berlin - In der Haushaltspolitik hat eine Zeitenwende begonnen: Die Jahre, in denen die Finanzminister und Kämmerer wortreich Klage führten, dass das Steuergeld hinten und vorne nicht reiche, gehören der Vergangenheit an. Das Statistische Bundesamt hat mitgeteilt, dass der Staat 2016 den höchsten Überschuss seit der Wiedervereinigung erzielt hat. Auf 23,7 Milliarden Euro beziffern die Statistiker das Plus. Bemerkenswert ist nicht nur die Höhe, sondern auch der Umstand, dass alle staatlichen Ebenen Überschüsse in Milliardenhöhe ausweisen. Das ist für die Diskussion über die Finanzverteilung von Bedeutung: Denn in der Vergangenheit versteckten sich Länder und Kommunen gern hinter der Behauptung, die finanzielle Lage sei beim Bund am besten. Daraus leiteten sie stets Ansprüche gegenüber dem Bund ab.

Die Länder erwirtschaften sogar einen höheren Überschuss als der Bund

Nach den Zahlen der Statistikbehörde weisen die Sozialversicherungen das höchste Plus aus. An zweiter Stelle kommt der Bund und dann die Länder. Doch dabei ist zu berücksichtigten, dass sich die Daten unterscheiden: Das Statistische Bundesamt berechnet die Haushaltszahlen nach der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Die staatlichen Ebenen ermitteln ihre Daten dagegen nach der Kassenlage. Beide Zählweisen weichen voneinander ab, der Trend ist aber eindeutig: Alle staatlichen Ebenen weisen hohe Überschüsse aus. Geht man von der Kassenlage aus, erwirtschafteten alle 16 Länder für 2016 mit 8,8 Milliarden Euro sogar einen höheren Überschuss als der Bund mit 6,2 Milliarden Euro. Diese Rangfolge ist für die politische Debatte der nächsten Monate nicht ohne Belang.

Die Liste der Begehrlichkeiten ist beeindruckend lang

Denn schon jetzt ist klar, dass derart hohe Überschüsse Begehrlichkeiten wecken. Die Diskussion über die Verteilung der Gelder hat längst begonnen – und Finanzminister Wolfgang Schäuble selbst hat sie eröffnet. Nach der Wahl stellt der CDU-Politiker eine Senkung der Einkommensteuer in Aussicht. Er will Bürger und Personenunternehmen um 15 Milliarden Euro jährlich entlasten. Schäuble argumentiert, dass ohne eine Entlastung die Steuerquote, die das Steueraufkommen im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung misst, immer weiter nach oben schnellt.

Doch die Wunschliste ist schon beeindruckend lang. Schäuble favorisiert daneben eine Reform der Unternehmenssteuern. Die Union will zudem den Solidaritätszuschlag im nächsten Jahrzehnt abbauen. Die Sozialdemokraten wiederum pochen auf die Erhöhung staatlicher Investitionen. Die vollen Sozialkassen will SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz beispielsweise für eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I verwenden. Außerdem wird in der Koalition über höhere Verteidigungsausgaben debattiert.

An wünschenswerten Vorhaben herrscht kein Mangel

Auch die Opposition hat ihre Vorstellungen. Die Grünen verlangen Maßnahmen gegen die Wohnungsengpässe in Ballungsräumen. Die baden-württembergische Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) sagte dieser Zeitung: „Um einen spürbaren Schub durch private Investoren beim bezahlbaren Wohnungsbau zu bekommen, brauchen wir neben den öffentlichen Investitionen auch Anreize für Investoren.“ Notwendig ist aus Sitzmanns Sicht, die steuerliche Absetzbarkeit von Investitionen in den Mietwohnungsbau zu verbessern. Der letzte Anlauf der großen Koalition auf diesem Gebiet ist gescheitert.

An wünschenswerten Vorhaben herrscht somit kein Mangel. Klar ist schon jetzt, dass die Ausgangslage so gut ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Keine Regierung hat bisher derart aus dem Vollen schöpfen können wie die neue nach dem Wahltag am 24. September 2017. Grund dafür ist, dass Finanzminister Schäuble eine milliardenschwere Rücklage angelegt hat. Offiziell soll diese für die Flüchtlingskosten verwendet werden. In diesem Topf liegen 18,5 Milliarden Euro: eine kleine Sensation. Bleibt die Konjunktur in Deutschland stabil, wird allenfalls ein kleiner Teil der Rücklage benötigt werden.

Trotz der guten Aussichten ist Vorsicht geboten

Finanzminister Schäuble argumentiert zwar, dass noch einige Etatlöcher gestopft werden müssten. So bleibt beispielsweise der Bundesbankgewinn hinter den Erwartungen zurück. Doch nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre konnten solche Lücken aus dem Etat ausgeglichen werden. Damit bietet sich der Politik die Aussicht auf einen wahren Geldsegen.

Gleichwohl muss die Politik darauf achten, ihre Möglichkeiten nicht zu überreizen. Die Lage der öffentlichen Haushalte ist auch deshalb so gut, weil der Staat nur noch geringe Zinsen für den Schuldenberg aus der Vergangenheit zahlen muss. Bei einem öffentlichen Schuldenstand von 2031 Milliarden Euro machen die extrem niedrigen Zinsen viel aus. Allein der Bund spart dadurch im Vergleich zu früheren Jahren jährlich rund 20 Milliarden Euro. Falls die Zinsen wieder steigen, wofür es erste Anzeichen gibt, müsste der Staat mehr Geld berappen. Die gute Lage hinterlässt auch Spuren: Gerade weil die Einnahmen so reichlich fließen, haben Bund und Länder schon viele Mehrausgaben beschlossen – etwa für Polizei und Lehrer. Die große Herausforderung besteht darin, die Ausgaben trotz momentan guter Aussichten unter Kontrolle zu halten.

Die Rücklagen werden in den nächsten Jahren schwinden

Das gilt auch für die Sozialversicherungen, die sich wegen der guten Beschäftigungslage in einer komfortablen Lage befinden. Ob Renten- oder Arbeitslosenversicherung – die Sozialkassen weisen hohe Finanzpolster aus. Doch es ist absehbar, dass die Rücklagen in den nächsten Jahren schwinden. Grund dafür sind etwa die Beschlüsse der großen Koalition zur Rente mit 63 und zur Ausweitung der Mütterrente. Bis zum Ende des Jahrzehnts wird der Spielraum der Rentenversicherung drastisch schwinden. Zugleich werden sich dann die demografischen Veränderungen widerspiegeln. Was der Politik fehlt, ist ein Plan, wie mit Anreizen der Wachstumskurs in Deutschland gestärkt wird. Die Blaupause dafür wird noch gesucht.