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Ein Ex-Skinhead schildert, wie er sich aus der rechten Szene gelöst und einen Neuanfang geschafft hat.

Stuttgart - Die rechtsextreme Szene ist in den Blickpunkt gerückt. Terroristische Anschläge bundesweit, Übergriffe auf Ausländer auch in der Region – viele sind alarmiert. Ein Aussteiger aus Baden-Württemberg erzählt. Zum eigenen Schutz ist sein Name geändert.


Michael, Sie sind jetzt um die 30 und haben Ihr halbes Leben in der rechtsextremen Szene verbracht. Wie alt sind Sie bei den ersten Kontakten gewesen?
Als ich eingestiegen bin, war ich etwa 14 Jahre alt.

Wieso interessiert sich ein so junger Mensch für Neonazis?
An unserer Schule gab es damals ziemlich viele Reibereien zwischen Ausländern und Deutschen. Die große Schwester meines besten Kumpels war mit einem Skinhead zusammen. Irgendwann hat mein Freund zu mir gesagt: Komm, wir gehen mal mit dem mit, der passt auf uns auf. Nach und nach haben wir dann auch die einschlägige Musik gehört. Das hat sich alles einfach ergeben.

Gab es keine Widerstände an der Schule gegen rechtes Gedankengut?
Kaum. In der Klasse und im Ort waren ziemlich viele Rechte. Ich schätze, allein in unserer Klasse sind es etwa zehn gewesen, an der ganzen Schule vielleicht 30 oder 35. Nach und nach haben sich die Leute die Haare geschoren, Springerstiefel und Bomberjacken gekauft.

Sie auch?
Ja, natürlich. Eine Bomberjacke habe ich aber nicht bekommen. Das haben meine Eltern nicht erlaubt.

Ihre Eltern hat Ihre Gesinnung gestört?
Ja, die fanden das alles gar nicht so gut. Sie haben alles Mögliche versucht, mich davon abzubringen, haben mir vorgehalten, was im Dritten Reich alles schiefgelaufen ist. Aber ich habe geglaubt, was die Kumpels mir erzählt haben. Nach und nach habe ich mich genauer damit beschäftigt, etwa darüber gelesen, wie schlecht es den Leuten zuvor in der Weimarer Republik gegangen ist.

„Ich dachte, ich hätte jemanden umgebracht“


Hat Sie das veranlasst, auch politisch aktiv zu werden? Waren Sie in einer Partei?
Nein. Am Anfang war ich politisch, das hat sich aber schnell erledigt. Politiker schwätzen nur, auf der Straße ändert sich dadurch nichts. Ich war stattdessen in einer lokalen Gruppierung, insgesamt fünf Jahre lang. Wir sind auf Demos gegangen, zu Konzerten, haben uns bei Stammtischen getroffen – das Übliche halt.

Und vermutlich haben Sie dort weniger geschwätzt als die Politiker, sondern mehr gehandelt?
Ich habe keinen Streit angefangen, bin aber auch keinem aus dem Weg gegangen.

Was ist passiert, damit Sie nach 14 Jahren beschlossen haben auszusteigen?
Der letzte Anlass war eine Straftat, die ich begangen habe. Eine gefährliche Körperverletzung. Die hat ein schlimmes Ende genommen. Ich dachte eine Woche lang, ich hätte jemanden umgebracht. Zum Glück war das nicht so. Aber mir wurde klar: Ich versaue mir mein Leben. Alle hassen einen für diese Gesinnung, die eigene Familie wirft einen raus. Auf die vermeintlichen Kameraden kann man sich auch nicht verlassen, die tauchen alle ab, wenn es eng wird. Ich vermute, einer von ihnen hat mich sogar bei der Polizei verpfiffen. Ich war mir deshalb auch vorher schon nicht mehr ganz sicher. Ich wollte mein Leben wieder in den Griff kriegen, mit den Leuten nichts mehr zu tun haben.

Das ist nicht leicht, wenn man seit Jahren in diesem Umfeld steckt.
Es ist schwierig, auch vom Kopf her. Manche Dinge lassen einen nie ganz los. Ich versuche, vieles zu vergessen.

Allein schaffen das die wenigsten. Viele müssen ihr Leben komplett umkrempeln. Wer hat Ihnen geholfen?
Nach der schlimmen Geschichte hat mich ein Polizeibeamter darauf angesprochen. Ich war einverstanden, mit Leuten vom Landeskriminalamt zu reden, die einen unterstützen. Ich habe mir danach eine neue Handynummer besorgt und mich im Internet aus allen Foren abgemeldet.

„Die rechte Szene ist derzeit eher out“


Es gibt auch private Hilfsinitiativen. Vielen Aussteigern fällt die Zusammenarbeit mit dem Staat, der für sie jahrelang als Gegner galt, schwer. Wie erging es Ihnen?
Es ist in der Tat nicht ganz einfach, sich zu überwinden. Man muss das aber aus größerer Distanz betrachten. Es reicht nicht zu sagen, ich bin jetzt eben nicht mehr dabei. Das weiß bei der Polizei ja keiner. Wenn mir dann etwa ein früherer Kumpel aus der Szene aus Rache etwas unterschieben will, gerate ich sofort unter Verdacht. Es geht auch darum, sich selbst abzusichern.

Gab es Angriffe der alten Kameraden?
Bedroht worden bin ich nicht. Aber es gab Versuche, mich zurückzuholen. Erst vor kurzem habe ich zufällig auf der Straße einen früheren Kumpel getroffen. Der wollte mich gleich wieder zum Stammtisch mitnehmen. Dem habe ich, freundlich ausgedrückt, gesagt, er soll sich zum Teufel scheren. Es hängt immer davon ab, wie groß der einschlägige Bekanntenkreis ist. Bei manchen Gruppen kommt man nur sehr schwer raus.

Sie sind jetzt seit gut einem Jahr aus der Szene draußen. Was hat sich in Ihrem Leben in dieser Zeit verändert?
Ich habe sehr viel weniger Ärger mit der Polizei, das ist für mich äußerst positiv. Ich ecke auch bei meiner Familie und bei der Arbeit weniger an. Generell gehen die Leute jetzt ganz anders auf mich zu.

Was empfinden Sie, wenn Sie von Anschlägen der rechten Szene hören?
Mit den Leuten kann man nur noch Mitleid haben. Die stürzen Familien ins Unglück und versauen sich selbst ihr eigenes Leben. Die wären besser schaffen gegangen, das wäre für alle besser. Generell glaube ich aber, dass die rechte Szene eher out ist derzeit. Die Leute, die dabeibleiben, sind vorwiegend Verlierer, die nicht anders auf sich aufmerksam machen können.

Interessieren Sie sich heute für Politik? Gehen Sie wählen?
Politik interessiert mich nicht mehr wirklich. Meine Freundin schleppt mich zwar ins Wahllokal, aber das bedeutet mir nichts.