Ralf Rangnick hat zurzeit alle Grund zu lächeln. Foto: AP

Er schwimmt mit RB Leipzig auf einer Erfolgswelle – verkneift sich allerdings großspurige Ansagen. So erklärt Ralf Rangnick Platz zwei des Bundesliga-Aufsteigers.

Leipzig/Stuttgart - Nach einem grandiosen Saisonstart gilt RB Leipzig vielen schon als künftiger Dauer-Kontrahent des FC Bayern. Sportdirektor Ralf Rangnick will davon nichts wissen – aber „immer besser“ werden.

Herr Rangnick, am Freitag treten Sie mit RB Leipzig bei Bayer Leverkusen an. Aufgrund Ihrer gemeinsamen Vergangenheit mit Roger Schmitt – erwarten Sie ein Duell „Wir gegen uns“?
Das wird tatsächlich ein sehr interessantes Spiel, da zwei Teams mit einer ähnlichen Auffassung von Fußball aufeinandertreffen, zwei extreme Umschaltmannschaften. Da wird es auf Details ankommen, wir freuen uns jedenfalls sehr auf das Spiel.
Sie treten einerseits als Aufsteiger an, andererseits als Tabellenzweiter. Man spricht vom Wunder, von einem Märchen – welchen Sprachgebrauch bevorzugen Sie?
Wir machen uns darüber, ehrlich gesagt, keinen großen Kopf. Klar, wir werden aktuell Vieles gefragt, aber deshalb setzen wir uns nicht zweimal in der Woche zusammen und überlegen, was Tabellenplatz zwei und 24 Punkte nach zehn Spielen bedeuten.
Allerdings sagten Sie selbst einmal: Nach zehn Spieltagen ist die Tabelle aussagekräftig.
Weshalb man mittlerweile auch von einem Trend sprechen kann, nicht nur von einer Momentaufnahme. Keine Frage: Uns ist ein sehr guter Saisonstart gelungen, wir wissen, dass wir gut drauf sind. Und dass wir eine Mannschaft haben, die sehr gut harmoniert.

Trend is your friend

Was bedeutet . . .
. . . dass es für uns ausschließlich darum geht, das Ganze fortzusetzen, mit Konstanz zu versehen und die Mannschaft weiter zu entwickeln. An den Dingen, die darüber hinaus geschrieben werden, beteiligen wir uns nicht.
Wie sicher sind Sie, dass der Trend anhält?
Ich bin nicht sicher, dass wir auch aus den nächsten zehn Spielen 24 Punkte holen. Und aus den dann nächsten zehn noch einmal 24. Andererseits ist uns auch nichts geschenkt worden, wir haben uns diese Punkte verdient. Durch die ersten Ergebnisse hat das Team gemerkt, dass es auch mit den ganz Großen konkurrieren kann, und wir sind dadurch dann auch in einen Lauf hineingekommen, das Selbstvertrauen ist mehr und mehr gewachsen.
Obwohl der Großteil der Mannschaft in der vergangenen Saison noch in Liga zwei gekickt hat.
Zuletzt standen neun Spieler in der Startelf, die auch in der Aufstiegssaison schon bei uns waren. Aber auch die neuen Spieler haben ihren Anteil am Erfolg. Sie haben das Niveau – egal ob im Training, als Spieler in der Startelf oder als Einwechselspieler – angehoben.
Das klingt, als würde Sie die Zwischenbilanz gar nicht überraschen.
Dass wir so gut gestartet sind, ist eine große Überraschung – aber eben kein Zufall. Und ich traue der Mannschaft und dem Trainerstab um Ralph Hasenhüttl zu, dass wir stabil bleiben. Warum sollte die Entwicklung ausgerechnet jetzt stoppen, wo sie in den vergangenen eineinhalb Jahren doch so rasant verlaufen ist? Allerdings: Das alles bleibt auch ein sensibles Gebilde.
Sie nennen es auch gern ein Biotop . . .
. . . in das keine schädlichen Dinge reinkommen dürfen. Darauf müssen wir achten, dann können wir auf Kurs bleiben.

Die Fehler der Hoffenheimer Zeit

Das ist der Job des Sportdirektors.
Ja, und ich bin überzeugt davon, dass es jetzt gut und richtig ist, dass ich nur diesen Posten habe und nicht auch noch Trainer bin. So kann ich aus der Distanz beobachten und gegensteuern, falls wir das Gefühl haben, dass Dinge in die falsche Richtung laufen.
Als Sie als Aufsteiger mit 1899 Hoffenheim 2008 Herbstmeister wurden, waren Sie Trainer und Manager in Personalunion. Sind Sie demnach aktuell im Vorteil gegenüber damals?
Das glaube ich schon. Als Trainer bist du immer im Vor-dem-Spiel-nach-dem-Spiel-Modus, du bist immer emotional Betroffener. Da ist es nicht immer leicht, mit der nötigen Distanz Entscheidungen zu treffen. Jetzt ärgere ich mich natürlich auch noch über Niederlagen und freue mich über Siege. Am nächsten Morgen bin ich dann aber schon mit der nötigen Distanz damit beschäftigt, Lösungen zu finden.
Welche Fehler von einst vermeiden Sie noch?
Zunächst kommt es ja darauf an, was man überhaupt hätte anders machen oder verhindern können in der damaligen Situation. Den Kreuzbandriss von Vedad Ibisevic im Testspiel in der Winterpause gegen den HSV wohl eher nicht. Dazu kamen der dritte Umzug in ein anderes Stadion innerhalb von sechs Monaten und gewisse Umstrukturierungen innerhalb des Vereins.
Also können Sie keine Lehren ziehen?
Nun ja, ins Trainingslager nach La Manga bin ich seitdem nie wieder. Auch habe ich keine Testspiele mehr gegen Gegner ausgemacht, gegen die wir in der Vorrunde schon gespielt und gewonnen hatten.
Und Sie mimen nicht mehr den allzu forschen Aufsteiger wie einst 2008?
Man darf nicht vergessen, dass die ersten Aussagen damals von München aus in Richtung Hoffenheim kamen – nicht umgekehrt. Aber ich bin bei Ihnen: Manche Dinge würde ich heute nicht mehr sagen. Wir in Leipzig tun gut daran, uns nur mit uns selbst zu beschäftigen.
Dazu gehört auch der Umgang mit Timo Werner. Beim VfB schien er in einer Sackgasse zu stecken, nun hat er schon fünf Tore erzielt. Wie haben Sie ihn in Leipzig wieder hinbekommen?
Er bringt eben viel mit, was es für unsere Art Fußball braucht. All das hat er bis jetzt bestätigt – obwohl er keine einfache Zeit hinter sich hat.

Die Situation in Stuttgart

In Stuttgart schien er am Ende verbissen, die Situation vertrackt . . .
. . . was ein Stück weit auch normal war. So eine Situation lastet eben ganz besonders auf jungen Spielern.
Wann erwarten Sie das erste Bundesligaduell zwischen RB und dem VfB?
In der nächsten Saison. Ich gehe fest davon aus, dass dem VfB der Aufstieg gelingt, weil die jüngsten Maßnahmen in die richtige Richtung führen.
Ein junger Trainer, junge neue Spieler . . .
. . . die nicht nur die Chance auf den Aufstieg erhöhen, sondern auch in der Bundesliga noch Entwicklungsmöglichkeiten haben. So steht bei einem Aufstieg nicht gleich der nächste Umbruch bevor.
All das kommt Ihnen vermutlich bekannt vor. Haben Sie noch Kontakt zu VfB-Sportvorstand Jan Schindelmeiser?
Als er in Stuttgart angefangen hat, haben wir ein paarmal telefoniert und uns im Trainingslager des VfB einmal kurz gesehen.
RB setzt in der Kaderplanung konsequent auf junge Spieler zwischen 17 und 23 Jahren. Die, so eine gängige Meinung, früh mit viel Geld gelockt werden.
Dabei gibt es genügend Beispiele, die zeigen, dass es nicht so ist. Noch in der vierten Liga haben wir zum Beispiel Dominik Kaiser aus Hoffenheim geholt – für nen Appel und ein Ei. Den hätte jeder Dritt- oder Zweitligist haben können – wenn er in ihm das gesehen hätte, was wir in ihm gesehen haben. Er hat jeden Aufstieg mitgemacht und ist immer noch unser Kapitän. Oder Yussuf Poulsen. Den haben wir in Liga drei für etwas mehr als eine Million Euro geholt. Das hätte auch jeder Zweit- oder Erstligist machen können – wenn sie ihn denn gekannt hätten. Unsere Spieler werden gut gescoutet, der Rest ist: Hinfahren, Überzeugen und Aufzeigen, wer wir sind und wohin wir wollen.

Leipzig – der kommende Bayern-Jäger?

Das Finden ist die große Kunst.
Ob das eine Kunst ist, weiß ich nicht. Wir fischen – allein durch unsere Beschränkung beim Alter der Spieler – in relativ kleinen Teichen. Dass wir darüber hinaus finanzielle Möglichkeiten haben, die manch anderer Verein nicht hat, stimmt natürlich auch. Aber wir haben bei uns auch ganz klare Orientierungspunkte und Richtlinien.
Und die bleiben bestehen, auch wenn die Erwartungen nach einer guten ersten Saison wachsen sollten?
So lange ich hier etwas zu sagen habe, werden wir davon nicht abrücken. Es ist aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten doch auch überhaupt nicht logisch, für einen 30-Jährigen horrende Ablösesummen zu zahlen. Da investierst du in womöglich zwei erfolgreiche Jahre, nicht aber in eine Entwicklung, die auch etwas mit dem Marktwert zu tun hat.
Haben Sie – alles in allem – in Leipzig optimale Strukturen für erfolgreichen Bundesligafußball aufgebaut?
Wir streben natürlich immer danach, Dinge noch besser zu machen. Aber unsere Bedingungen sind gut, in großen Teilen auch sehr gut. Und mit Blick auf unsere Mitarbeiter haben wir eine Mischung aus Kompetenz und menschlicher Qualität, die mir derzeit eine sehr hohe Jobzufriedenheit verschafft. Das weiß ich sehr zu schätzen.
Wie groß ist der schwäbische Anteil am Leipziger Erfolg?
Viele von uns kennen sich schon sehr lange und haben bereits beim VfB oder in Hoffenheim zusammen gearbeitet. Die landsmannschaftliche Verbundenheit spielt dabei aber eine untergeordnete Rolle, die Qualität der Leute spricht für sich. Nehmen Sie zum Beispiel Frieder Schrof und Thomas Albeck.
Die einstigen Nachwuchschefs beim VfB.
Seit sie bei uns sind, hat sich unsere Nachwuchsabteilung sehr gut und erfolgreich entwickelt. Der Anspruch unserer Akademie ist es, mit den bestmöglichen Trainern und der bestmöglichen Leitung eine der besten in Deutschland zu sein.
Weshalb auch immer die Frage gestellt wird: Kann RB Leipzig auf lange Sicht ein ernsthafter Konkurrent für Branchenprimus FC Bayern werden?
Darüber denken wir nullkommanull nach. Wir setzen uns nur unsere eigenen Ziele, die unsere eigene Entwicklung betreffen. Ob das irgendwann dazu führt, das wir in der Tabelle unter den ersten fünf, den ersten drei, oder zwischen Rang acht und zwölf sind, weiß ich nicht. Was ich aber weiß: Dass wir nach stetiger Weiterentwicklung trachten. Immer besser zu werden – das treibt uns an.