Das Maßnahmenpaket soll mehr Fahrradunfälle verhindern. (Symbolbild) Foto: dpa/Sebastian Willnow

75 Radfahrerinnen und Radfahrer starben 2022 bei Unfällen im Südwesten. Mit gezielten Maßnahmen könne die Mehrzahl dieser Unfälle verhindert werden, sagt Verkehrsminister Hermann.

Ende Januar stirbt der als „Natenom“ bekannte Radaktivist Andreas Mandalka bei einem Unfall im Enzkreis, Anfang Februar wird in Freiburg ein Radler von einem Lkw erfasst und kommt ums Leben, Ende Dezember stirbt ein Radfahrer nach einem Unfall in Mannheim: Immer wieder kommt es in Baden-Württemberg zu tödlichen Verkehrsunfällen mit Radfahrerinnen und Radfahrern. Fast zwei Drittel dieser Unfälle könnten aus Sicht des Verkehrsministeriums mit einem Paket verschiedener Maßnahmen verhindert werden. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, die Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) am Mittwoch in Stuttgart vorstellte.

Durch den Ausbau von Radwegen, bessere Sicht an Kreuzungen und Einmündungen, ein Tempolimit von 80 Kilometern pro Stunde auf Landstraßen und gezielte Trainings für Radfahrer könne die Zahl der tödlichen Radunfälle rechnerisch um bis zu 60 Prozent gesenkt werden, sagte Hermann. Zudem könnten 40 Prozent der schweren Unfälle verhindert werden. Das seien rund 1000 Schwerverletzte und 4000 Leichtverletzte. „Das sind schon erhebliche Zahlen, um die es geht“, sagte Hermann.

Den größten Effekt hätte der Analyse zufolge aber ein Tempolimit von 80 Kilometern pro Stunde auf engen Landstraßen. „Die Experten sagen, wenn man überall Tempo 80 hätte, würde das ein Viertel der Unfalltoten vermeiden. Das ist schon gewaltig“, sagte Hermann. Oft seien Landstraßen nicht breit genug, dass Autos beim Überholen zwei Meter Abstand einhalten könnten. „Deshalb die Empfehlung: Runter mit der Geschwindigkeit, dann kann man rechtzeitig abbremsen.“

Trainings für ältere E-Bike-Fahrer empfohlen

Ebenfalls größere Auswirkungen hätte der Untersuchung zufolge der Ausbau von Radwegen nach bestimmten Standards, etwa mit einer durchgängigen Wegeführung, ausreichend Abständen oder getrennten Ampelphasen für Auto- und Radverkehr. Damit könnten der Analyse zufolge 23 Prozent der tödlichen Unfälle verhindert werden. Bessere Sichtverhältnisse an Kreuzungen hätten demnach einen Effekt von sechs Prozent. „Es ist leider oft der Fall, dass Autos rechtswidrig parken, sodass man den einfahrenden oder vorbeifahrenden Radler nicht sieht“, sagte Hermann. Zudem seien Kreuzungen auch oft schlecht konstruiert. Das zu verändern, sei Aufgabe der Kommunen.

Für wichtig hält Hermann auch gezielte Trainings, etwa für ältere Fahrer von E-Bikes. Wenn diese Menschen nach vielen Jahren ohne Raderfahrung mit schnellen E-Bikes unterwegs seien, entstünden Unfälle. „Deswegen ist es sehr wichtig, dass man, rechtzeitig bevor es losgeht, trainiert“, sagte Hermann.

Opposition kritisiert „Gutachteritis“

Kritik an der Untersuchung kam von der Opposition im Landtag. Der FDP-Verkehrsexperte Christian Jung sprach von einer „Gutachteritis des grünen Verkehrsministers“: „Wenn ich höre, dass als geeignete Maßnahmen durchgängige Radwege, geringere Geschwindigkeiten und bessere Sichtverhältnisse benannt werden, dann sind das Banalitäten, die jeder kennt“, sagte Jung. Der SPD-Abgeordnete Jan-Peter Röderer kritisierte, dass der Bau von Radwegen nur schleppend vorankomme.

Der Fahrradclub ADFC begrüßte die vorgeschlagenen Maßnahmen. Es brauche aber eine flächendeckende Analyse von Gefahrenstellen mit schweren Unfällen, forderte der ADFC-Landesvorsitzende Matthias Zimmermann einer Mitteilung zufolge.

2022 starben im Südwesten laut Innenministerium 75 Radfahrerinnen und Radfahrer bei Unfällen, mehr als 2000 Menschen wurden schwer verletzt. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahres ging die Zahl der tödlichen Radunfälle im Vergleich zum Vorjahreszeitraum dagegen zurück. Nach Angaben des Innenministeriums starben im ersten Halbjahr des Jahres 2023 21 Radfahrerinnen und Radfahrer bei Unfällen, im Vorjahreszeitraum waren es noch 31 gewesen.

Für 2023 zeichnen sich weniger Unfälle von Radfahrern ab

Dieser Trend dürfte sich auch im zweiten Halbjahr 2023 fortgesetzt haben. „Aus den vorläufigen Zahlen bis einschließlich November 2023 zeigt sich, dass für das Jahr 2023 deutlich weniger tödliche Unfälle im Radverkehr absehbar sind“, teilte das Innenministerium mit. Die endgültigen Zahlen zu Verkehrsunfällen im vergangenen Jahr will Innenminister Thomas Strobl (CDU) Ende März verkünden.

Für die Untersuchung im Auftrag des Verkehrsministeriums hatte ein privates Forschungsinstitut rund 25 000 Unfälle analysiert und anhand von zwei Beispiellandkreisen Unfallhergang und Ursache genau untersucht.

Ermittlungen zu „Natenom“ laufen noch

Die Ermittlungen zum Unfalltod des Radaktivisten Mandalka, der viel öffentliches Aufsehen erregt hatte, dauern an, wie die Polizei am Mittwoch mitteilte. Insbesondere stehe noch das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens aus. „Am Unfallort wurde eine Kamera sichergestellt“, sagte ein Sprecher. „Unserer Kriminaltechnik ist es gelungen, Aufnahmen von dieser Kamera wiederherzustellen. Über den Inhalt der Aufnahmen können wir wegen der laufenden Ermittlungen derzeit keine Angaben machen.“ Die Ermittler gehen dem Sprecher zufolge davon aus, dass Vorder- und Rücklicht am Fahrrad zum Unfallzeitpunkt angeschaltet waren. Nach wie vor werde gegen einen Autofahrer wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt. Eine Gedenkstelle für den Radaktivisten „Natenom“ war verwüstet worden. Hier habe sich noch kein konkreter Tatverdacht ergeben, teilte der Polizeisprecher mit.