Beim Prozessauftakt gegen den mutmaßlichen Brandstifter Ralf G. vor dem Heilbronner Landgericht herrschte Rätselraten über ein mögliches Motiv. Bei 19 Einzeltaten zwischen Backnang und Bruchsal war ein Schaden von mehr als neun Millionen Euro entstanden.
Heilbronn - Anke Stiefel-Bechdolf hat in ihrer beruflichen Karriere schon viel erlebt. Die resolute Rechtsanwältin aus Heilbronn machte nicht nur mit dem spektakulären Mordprozess um den Bäcker aus Siegelsbach bundesweite Schlagzeilen. Sie ver-teidigte auch die wegen der Erdrosselung ihrer beiden Söhne verurteilte Mutter aus Hessigheim im Kreis Ludwigsburg. Der an Brutalität kaum mehr zu überbietende Mord an einer Rentnerin aus Hemmingen in ihrer Ferienwohnung in Wüstenrot zählt zu ihren Fällen. Und auch die Verteidigung eines Bandenchefs der berüchtigten Black Jackets bescherte Anke Stiefel-Bechdolf nicht nur in Gerichtskreisen große Aufmerksamkeit.
Jetzt ist die prominente Juristin einem ehemaligen Feuerwehrmann als Pflichtverteidigerin zugeordnet, der die Region mit seinen Brandstiftungen fast eineinhalb Jahre lang in Atem gehalten hat. Und spricht trotz ihrer Erfahrung von einem „ganz und gar ungewöhnlichen Fall“. Weshalb der in Waiblingen aufgewachsene gelernte Müller Ralf G. zum Feuerteufel wurde, liegt nach wie vor im Dunkeln. Und offensichtlich gibt das Fehlen eines auf der Hand liegenden Beweggrunds auch der Rechtsanwältin des 30-Jährigen ein Rätsel auf. „Auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist kein schlüssiges Motiv zu erkennen“, stellte Stiefel-Bechdolf nach der Verlesung der 23 Seiten starken Anklageschrift am Dienstag fest.
Ob der auf vier Verhandlungstage an-gesetzte Prozess überhaupt etwas Licht in die Aufsehen erregende Brandserie bringen wird, ist allerdings ungewiss. Bisher waren Beobachter davon ausgegangen, dass sich der in Waiblingen geborene Handwerker auch im Gerichtssaal zu seinen Zündeleien bekennt. Bei seinen Vernehmungen durch die Polizei hatte der momentan in der Justizvollzugsanstalt in Schwäbisch Hall in der Untersuchungshaft sitzende Mann schließlich zumindest einen Teil der Taten eingeräumt. Laut seiner Verteidigerin will der klein gewachsene Mann mit dem kurzen braunen Haar im Prozess zwar durchaus Angaben zu seiner Person machen. Zu den ihm zur Last gelegten Vorwürfen sagt der zeitweilig bei der Freiwilligen Feuerwehr in Bretten und Affalterbach aktive Angeklagte aber möglicherweise nichts.
Mit ein Grund für die Zurückhaltung könnte sein, dass sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift auf die 19 spektakulärsten Brandstiftungen konzentriert hat – Fälle wie der vier Millionen Euro große Schaden bei einem Landmaschinenhandel in Bruchsal oder das mit immerhin 2,1 Millionen Euro bezifferte Großfeuer beim Bietigheimer Zahntechnik-Hersteller Dürr Dental. Diverse kleinere Zündeleien an Mülltonnen und Lagerpaletten aufzulisten, hat sich die Ermittlungsbehörde gespart. Ebenfalls nicht angeklagt sind die beiden Brände im Ellental-Gymnasium in Bietigheim und in der Maximilian-Lutz-Realschule in Besigheim, die Ralf G. aus Sicht der Polizei ebenfalls gelegt hat. Die über den Abgleich von Mobilfunkdaten auf die Spur des Feuerteufels gekommenen Ermittler konnten ihm die Zündelei in den beiden Bildungseinrichtungen nicht nachweisen.
Dennoch droht dem in Handschellen auf seinen Platz geführten ledigen Handwerker bei einer Verurteilung eine Haftstrafe zwischen vier und 15 Jahren. Verurteilt wurde der zeitweise in einem Internat auf Schloss Kaltenstein in Vaihingen an der Enz untergebrachte Hauptschüler bereits zweimal wegen gefährlicher Körperverletzung, auch ein Einbruchsdiebstahl brachte ihm eine Strafe ein. Ob der zum Prozessauftakt in Hemd und schwarzem Anzug auftretende Angeklagte auf mildernde Umstände hoffen kann, bleibt abzuwarten. Das Verfahren wird von einem psychiatrischen Gutachter begleitet, der eine Einschätzung zur Zurechnungsfähigkeit liefern soll.
Ralf G. war im April 2013 von verdeckten Ermittlern auf frischer Tat ertappt worden, als er Feuer bei einem Pforzheimer Möbelhaus legte. Für seine nächtlichen Attacken hatte sich der 30-Jährige vor allem hoch-wertige Sportwagen ausgesucht, als Brandsatz diente in mehreren Fällen ein auf dem Vorderreifen platzierter Grillanzünder. Zur Sprache kam zum Prozessauftakt auch, dass der in Affalterbach im Kreis Ludwigsburg aufgewachsene Mann mehrfach versucht haben soll, Dienstfahrzeuge der Polizei in Brand zu stecken. Bei einem Mannschaftsbus der Bereitschaftspolizei in Bruchsal gelang ihm das auch. Für die Ermittler gilt Ralf G. als Autonarr – auf dem Nummernschild seines Audi A 6 prangten nicht nur seine Initialen, sondern auch sein Geburtsdatum.