Das Stuttgarter Opernhaus. Foto: dpa

Die Oper Stuttgart feiert ihren neuen Generalmusikdirektor und freut sich über vier Auszeichnungen der Zeitschrift „Opernwelt“.

Stuttgart - Es war ein Fest: erst auf der Bühne, dann im Foyer. „Willkommen, Sylvain Cambreling!“, las man am Sonntagabend im Opernhaus auf dem Deckblatt des Programmhefts unter einem Foto, das den neuen Mann am Pult des Staatsorchesters so zeigte, wie ihn der gemeine Konzertbesucher zu sehen bekommt: von hinten, mit Zopf. Der freundliche Willkommengruß prangte auch auf der Entwurfs-Zeichnung Max Littmanns zum 1912 vollendeten Ensemble des Großen und des Kleinen Hauses der Staatstheater, die den zweiten Konzertteil bebilderte.

Hätte Stuttgarts Opernintendant Jossi Wieler gewusst, dass bereits am Montagmorgen vierfacher Kritiker-Preis auf sein Haus niedergehen würde, wäre seine Einladung zum Sektempfang an die Konzertbesucher womöglich noch unschwäbischer ausgefallen, als es ohnehin schon der Fall war. So gab es erst Rosen auf der Bühne, dann blumige Worte im Foyer des ersten Ranges, und womöglich waren es zwei ältere Damen, die dort den Abend am besten auf den Punkt brachten. „Das war ja schon ein bisschen gewöhnungsbedürftig“, sagte die eine (und meinte damit wohl Mark Andres 2009 hörbar in der Nachfolge Helmut Lachenmanns komponierte Geräusch-Studie „. . .hij . . .“). „Aber“, war sich die andere sicher, „wir werden uns schon dran gewöhnen.“

Ja, so ist es, das Stuttgarter Publikum, das der neue Generalmusikdirektor denn auch persönlich ansprach. „Ohne Publikum haben wir keinen Grund, hier zu sein“, sagte Sylvain Cambreling, und mit einer jener Wendungen, die man von dem Franzosen kennt, die man bei ihm liebt, fügte er charmant ein „Wir brauchen Ihnen“ an.

Auch ohne den Hauptpreis steht die Oper Stuttgart glänzend da

Tatsächlich fügt sich der 64-Jährige harmonisch ein in ein Haus, das, hätten die Kritiker der Zeitschrift „Opernwelt“ nicht die politisch gebeutelte Oper Köln moralisch unterstützen wollen, wieder einmal das Zeug gehabt hätte zur begehrten Auszeichnung als Opernhaus des Jahres. Aber auch ohne den Hauptpreis steht die Oper Stuttgart glänzend da: Zum zweiten Mal in Folge (und zum neunten Mal innerhalb von 13 Jahren) kommt der Opernchor des Jahres aus Stuttgart, Jossi Wieler und Sergio Morabito erhielten die Auszeichnung als beste Regisseure, ihre Inszenierung von Vincenzo Bellinis „La sonnambula“ wurde Aufführung des Jahres, und die beste Nachwuchssängerin der Saison 2011/12 heißt Ana Durlovski und ist Mitglied des Stuttgarter Ensembles.

Als Jossi Wieler und sein Team 2011 die Forderung nach Konzentration, Vertiefung und nach einer Abkehr vom Starrummel nach außen trugen, lästerte mancher laut über die neue schwäbische Opernklosterschule. Die künstlerischen Ergebnisse haben dem stillen Stuttgarter Weg recht gegeben. Und dass dieser jetzt auch überregional beachtet wird, bestätigt die Macher weiter.

Eröffnungskonzert als Willensbekundung

In welcher Weise der neue Generalmusikdirektor des Hauses den Weg mitgehen, wie und womit er ihn gestalten will, wurde am Sonntagabend deutlich. Ein Eröffnungskonzert als Willensbekundung: Wie an diesem Abend dürften die Konzerte der Oper auch zukünftig dramaturgisch durchdacht, penibel erarbeitet, fein mit dem Opernspielplan vernetzt und zudem ausgesprochen dramatisch angelegt sein. Für Letzteres spricht nicht zuletzt Cambrelings überragende Fähigkeit, Spannungen mit dem Orchester aufzubauen und zu halten. Eine kluge Dosierung der Dynamik kam bei Beethovens dritter „Leonoren“-Ouvertüre hinzu – und machte kleinere Koordinierungsmängel bei Streichern und Bläsern wett, die bei diesem Schritt 100 Jahre vor den Stuttgarter Opernhausbau noch zu hören waren.

Mark Andres „. . .hij . . .“ schritt ein Jahrhundert in die Gegenrichtung, markierte das Interesse des Dirigenten an zeitgenössischer Musik und seinen Mut zu Programmen mit eingebautem Risiko. Anton Weberns hier exzellent ausgearbeitete fünf Stücke für Orchester standen für die Konzentration auf das Wesentliche. Leos Janáceks „Des Spielmanns Kind“ markierte die Neugier auf Unbekanntes, und der Abgesang auf eine musikalische Form in Ravels „Valses nobles et sentimentales“ erschien als Maskenspiel unterschiedlicher Charaktere, als rauschhaftes Fest. Da tanzten laut lachend die belächelten Mönche des Musiktheaters gemeinsam mit dem begeisterten Publikum. Nur dem gänzlich Neuen gaben wenige Contra. Auch sie werden sich daran gewöhnen.