So etwas sollte es öfters geben: Vor der Bundestagswahl ein Podium, auf dem die Kandidaten mit den konkreten Problemen vor Ort konfrontiert werden. Der Frommerner Ortsvorsteher Stephan Reuß hat mit seiner Idee am Donnerstagabend bewiesen, dass das gut ankommt.
Balingen-Frommern - Reuß hatte dafür die Bundestagskandidaten der Parteien in die Festhalle geholt, die im Frommerner Ortschaftsrat vertreten sind: den Abgeordneten und Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß (CDU) sowie dessen Herausforderer Johannes Kretschmann (Grüne), Robin Mesarosch (SPD) sowie Stephan Link (FDP). Und damit rund 120 Zuhörer in die Halle gelockt. Mithilfe von Moderatorin Katrin Plewka wollte er bei einem der wenigen Wahlpodien in der Region Antworten haben auf Themen, die die Frommerner, darüber hinaus aber wohl viele Menschen in der Region umtreiben. Man wolle die Probleme vor Ort kommunizieren, quasi Politik von der Basis aus anstoßen, so Reuß diplomatisch.
Hurdnagel-Anschluss: "Keiner hat die Kraft"
Anlass für dieses besondere Podium ist der seit drei Jahrzehnten versprochene, bis heute aber nicht verwirklichte Ausbau der Hurdnagelstraße sowie der dringend benötigte weitere Frommerner Anschluss an die Bundesstraße 463. Und ein vom Landesministerium nicht beantworteter Brief von Reuß – was am Ende auch zur Frage führte, welche Bedeutung lokale Gremium in der Landes- und Bundespolitik haben, ob "die unten" "dort oben" Gehör finden.
Was kann man tun, damit’s endlich etwas wird mit dem Hurnagelausbau? Alle auf dem Podium signalisierten ihre Unterstützung für das Vorhaben. Mesarosch merkte zudem süffisant an, dass aktuell die Landeswirtschaftsministerin aus Balingen komme, dass der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium ein Balinger sei – und dass es vielleicht die SPD brauche, damit es am Hurdnagel endlich vorangehe. Reuß sagte allerdings, in Frommern sei "eher Enttäuschung als Optimismus" zu spüren: Der politische Wille für den Ausbau und den Anschluss sei zwar da, aber nicht die Kraft, das Vorhaben durchzusetzen.
Thema Digitalisierung: Reuß sagte, dass der Ländliche Raum, anders als die Zentren, beim schnellen Internet via Glasfaser und beim Mobilfunk vernachlässigt worden sei. Das räche sich, das habe üble Folgen – für Unternehmen etwa, die angesichts lahmer Leitungen buchstäblich vom Geschäft abgeschnitten werden. Mesarosch kennt das Problem aus eigener Erfahrung: Er wohne in Langenenslingen, und wenn er ein Foto oder ein Wahlkampfvideo verschicken wolle, müsse er dort weg. Aus Gesprächen wisse er, dass es wohl nicht am Geld für den Ausbau fehle – vielmehr mangele es an Planungsbüros und es gebe zu hohe bürokratische Hürden. Stephan Link meinte, die Digitalisierung sei ein altes FDP-Thema – seine Partei fordere seit langer Zeit ein eigenes Ministerium dafür auf Bundesebene. Bareiß gestand zu, dass in diesem Bereich "noch viel passieren" müsse. Dass der Ländliche Raum aber vom schnellen Internet abgeschnitten sei, stimme nicht: In Balingen habe er eine schnellere Leitung als in seiner Zweitwohnung in Berlin. Kretschmann wiederum sagte, die lahmen Leitungen seien nicht nur "doof", sondern für Land wie Deutschland "peinlich". Seiner Meinung nach hat sich der Staat aus diesem Bereich fahrlässig zurückgezogen und den Internet-Ausbau der Privatwirtschaft überlassen – dabei handele es sich bei Internet und Mobilfunk um "Daseinsvorsorge". Aus dem Publikum brachte ihm das prompt den Rüffel ein, er wolle zurück zu einer "Staatswirtschaft – nein danke!"
Mesarosch: "Wer Dreck einsetzt, macht Dreck"
Das in Frommern und in großen Teilen des Landkreises derzeit emotionalste Thema kam zum Schluss: Der Plettenbergabbau durch Holcim sowie die Frage des Schadstoffausstoßes bei der Zementherstellung in Dotternhausen. Das treibe viele Menschen um, so Reuß, vor allem: Warum gelten für das Zementwerk, das für die Produktion voll und ganz Ersatzbrennstoffe – also Abfälle – einsetzt, niedrigere Grenzwerte als für eine Müllverbrennungsanlage? Bareiß warb dabei für "mehr Sachlichkeit" in der Diskussion. Zement sei ein wichtiger Baustoff, die Produktion vor Ort mitsamt der Arbeitsplätze müsse erhalten bleiben. Er setze sich schon immer dafür ein, dass dabei Mensch und Natur bestmöglich geschützt würden – deshalb wolle auch er die "bestmöglichen Filter" für die Abgasreinigung.
Kretschmann entgegnete, die aktuell in Dotternhausen eingesetzte sogenannte SCNR-Technik sei eben nicht die bestmögliche – SCR sei besser. Er verwies zudem auf die asymmetrische Lage vor Ort: kleine Gemeinde gegen, nach dem Verkauf durch das lokal verwurzelte Unternehmen Rohrbach, großen Konzern. Generell habe er den Eindruck, so Kretschmann weiter, dass die Politik Großunternehmen bevorzuge und ihnen Schlupflöcher bereite – zum Beispiel bei betrieblichen Ausnahmegenehmigungen, aber auch bei Steuern.
Mesarosch sagte, es dürfe bei den Abgasgrenzwerten keine Unterscheidung zwischen Zementwerken und Müllverbrennungsanlagen geben. Die Öffentlichkeit habe zudem ein Recht darauf, verlässlich zu erfahren, was in Dotternhausen in die Luft geblasen werde. Es reiche Grundschulwissen um zum Schluss zu kommen: " Wo Dreck eingesetzt wird, kommt Dreck aus dem Schornstein heraus."
Kretschmann kontert Bareiß ganz cool
Zum Abschluss versprachen – natürlich – alle, stets und immer ein Ohr für die Menschen und die Belange vor Ort haben zu wollen, sollten sie gewählt werden. Bareiß versuchte noch, Kretschmann in die Ecke zu drängen mit der Kampagne, die der Verein Campact derzeit gegen ihn fährt (wir berichteten). Der Grüne solle sich dazu äußern, so Bareiß. Habe er doch längst, erwiderte Kretschmann cool: Das Angebot von Campact hätten die beiden Kreisverbände Zollernalb und Sigmaringen abgelehnt. Damit habe man also nichts zu tun. Auch er, so Kretschmann, wolle gewiss keinen "Schmutzwahlkampf".
Tja, und wem soll man nun die Stimme geben, in rund drei Wochen? Beim Herausgehen aus der Halle schlendert Reuß an zwei jungen Männern vorbei. Einer sagt: "Hey Stephan, also – ich würde dich wählen."