Evergrande hat in mehr als 200 chinesischen Städten Apartmentsiedlungen und Bürotürme errichtet. Foto: AFP/Noel Celis

Der chinesische Immobilienkonzern steckt in Zahlungsschwierigkeiten. Eine schuldenfinanzierte Blase am Immobilienmarkt stand auch am Beginn der Finanzkrise.

Frankfurt - Die Schieflage des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande hat an den Börsen weltweit Turbulenzen ausgelöst. Wir erklären, warum.

 

Warum sorgen die Finanzprobleme von Evergrande für so viel Unruhe?

Das Unternehmen ist der zweitgrößte Immobilienentwickler Chinas und sitzt auf einem Schuldenberg von rund 300 Milliarden Dollar (256 Milliarden Euro). Ein Drittel dieser Verbindlichkeiten schuldet der Konzern Menschen, die eine Wohnung vorfinanziert haben – und nun fürchten müssen, dass diese nie gebaut wird.

„Es geht um 1,4 Millionen Wohnungen“, sagt Rolf Langhammer, Außenhandelsexperte am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Zudem ist Evergrande jenseits des Bausektors aktiv: Der Mischkonzern besitzt eine Mineralwasser-Marke und ist in die Entwicklung von E-Autos eingestiegen. In China ist das Unternehmen sehr bekannt – dass der Gigant in Existenznöte gerät, hat viele Menschen erschüttert.

Wodurch ist das Unternehmen in Existenznöte geraten?

Die chinesische Regierung hat im vergangenen Jahr begonnen, die Aufnahme weiterer Kredite durch den hoch verschuldeten Bausektor einzuschränken. Dadurch wird Evergrande die Refinanzierung auslaufender Darlehen erschwert. Zudem würden Finanzquellen, die der Konzern neben Bankdarlehen nutzte, allmählich ausgetrocknet, schreibt die japanische Bank Nomura in einer Analyse: Bauarbeiter, Handwerker oder Lieferanten wurden von Evergrande häufig mit Schuldtiteln bezahlt – also letztlich nur mit einem Zahlungsversprechen. Dies ist nur noch eingeschränkt möglich.

Zudem gehen die chinesischen Finanzaufsichtsbehörden verstärkt dagegen vor, dass Bankkunden Verbraucher- oder Geschäftskredite für Investitionen in Immobilien nutzen. Angesichts der exorbitanten Hauspreise in chinesischen Großstädten habe die politische Führung das Ziel ausgegeben, den staatlichen Wohnungsbau voranzutreiben, schreiben die Experten von Nomura. Die Regulierung der privaten Immobilienentwickler könne Peking nicht zurückdrehen.

Wird die Regierung Evergrande vor dem Bankrott bewahren?

Horst Löchel, Professor und Leiter des Sino-German Centers an der Frankfurt School of Finance, rechnet nicht mit einer Rettungsaktion der Regierung für Evergrande. „Ich glaube, dass es einen Schuldenschnitt geben wird, Banken und andere große Gläubiger also nicht ihr gesamtes Geld zurückbekommen.“ Peking werde aber vermutlich den Beschäftigten von Evergrande und betroffenen Zulieferern helfen sowie den Kunden, die ihre Wohnung vorfinanziert haben und nun auf deren Bau warten.

Würde eine Pleite die Finanzbranche weltweit erschüttern?

Ein schuldenfinanzierter Bauboom und ein insolventer Großkonzern sind eine explosive Mischung, wie sich 2008 gezeigt hat: Die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers löste damals eine regelrechte Kettenreaktion aus, in Deutschland mussten Kreditinstitute wie die Commerzbank oder die LBBW vom Steuerzahler gerettet werden.

Laut IfW-Experte Rolf Langhammer ist Evergrande mit Lehman aber nicht vergleichbar: „Die Papiere, die man um die Investmentbank Lehman Brothers herumgestrickt hatte, waren in der ganzen Welt verstreut.“ Evergrande dagegen sei überwiegend bei einheimischen Banken, Versicherung sowie eben den eigenen Lieferanten und Kunden verschuldet. Zudem sei die chinesische Regierung in der Lage, das Problem in den Griff zu bekommen: „Einen Kontrollverlust würde Präsident Xi Jinping nicht zulassen.“

Was bedeutet der Fall Evergrande für die Exportwirtschaft?

„Wenn in China die Hauspreise verfallen, hätte das einen starken Einfluss auf das Verhalten von Unternehmen und Haushalten – sie würden weniger investieren und konsumieren“, erklärt der Frankfurter Professor Horst Löchel. Die Folge wäre eine weitere Abkühlung der durch die Coronakrise ohnehin geschwächten chinesischen Konjunktur. „Ich erwarte nicht, dass das chinesische Wachstum radikal einbricht, aber die Wachstumsraten könnten schon in einen Korridor von drei bis fünf Prozent fallen“, sagt Löchel. Und: „Das weltweite Wirtschaftswachstum hängt zu etwa 30 Prozent von China ab.“

Für Deutschland ist die Volksrepublik ganz besonders wichtig: „China ist unser zweitwichtigster Exportmarkt“, sagt Außenhandelsexperte Rolf Langhammer. Eine Abschwächung der chinesischen Konjunktur würde deshalb auch die hiesige Wirtschaft schmerzen. Mit dramatischen Folgen rechnet Langhammer indes nicht: „Die Glanzzeiten der Globalisierung sind ohnehin vorbei, die internationalen Lieferketten werden auf den Prüfstand gestellt. Und zuletzt haben die USA als Absatzmarkt für deutsche Unternehmen noch stärker an Bedeutung gewonnen, nicht zuletzt wegen der milliardenschweren Konjunkturpakete.“