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Wirtschafts-Wissenschaftlerin Renate Ohr: Überschuldete Länder pleitegehen lassen.

Stuttgart - Als Mahnerin vor einer überstürzten Euro-Einführung hat sich Renate Ohr einen Namen gemacht. Die Schwachstellen sind auch heute noch nicht behoben. Dennoch hält es die Ökonomin für sehr wahrscheinlich, dass der Euro die nächsten zehn Jahre überleben wird.

Frau Professor Ohr, haben Sie für Ihre Ersparnisse vorgesorgt, für den Fall, dass die Europäische Währungsunion doch noch auseinanderbricht?

Ich glaube nicht, dass die Währungsunion total auseinanderbricht. Selbst wenn, müsste ich keine Sorge um meine Ersparnisse haben, weil wir dann wahrscheinlich wieder eine relativ solide deutsche Währung bekämen. Mehr Angst um meine Ersparnisse muss ich haben, wenn der Euro bleibt und zu einer Schwachwährung wird, das heißt, wenn die Länder, die mangelndes Stabilitätsbewusstsein haben, jetzt zunehmend die Währungsunion und die Entwicklung des Euro dominieren.

Was heißt, die Währungsunion bricht nicht total auseinander?

Ich gehe davon aus, dass der Euro bestehen bleibt, aber nicht unbedingt auf Dauer in der jetzigen Zusammensetzung. Vermutlich wird das eine oder andere Land ausscheiden. Aber es wird auch in 20 Jahren noch einen Euro geben. Alles andere wäre jetzt auch schade. Ich habe die positive psychologische Wirkung des Euro ein bisschen unterschätzt. Er ist ein Symbol für die europäische Einheit.

Die Zahl der Mitgliedsländer ist seit Beginn des Euro gestiegen von seinerzeit 12 auf nun 17. Überrascht Sie das?

Nein. Es war von Anfang an erklärtes politisches Ziel, möglichst viele Länder dabeizuhaben. Estland als jüngstes Euro-Mitglied war zudem als sehr kleines Land bisher schon vom Euro abhängig und verspricht sich vielleicht eine stärkere Unterstützung, wenn es in der Währungsunion ist. Andere, größere Länder wie Polen, Tschechien oder Ungarn sind aber sehr viel skeptischer geworden und nicht mehr wild entschlossen beizutreten. Von Großbritannien und Schweden ganz zu schweigen.

Sie haben von Anfang an den Stabilitätspakt, der Obergrenzen für Neu- und Gesamtverschuldung der Euro-Länder festlegt, als zu weich kritisiert. Hat er deshalb die Schuldenkrise in der Euro-Zone nicht verhindert?

Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Der Stabilitätspakt war so ausgelegt, dass es keine automatischen Sanktionen gibt. Stattdessen entscheidet der Ministerrat, ob überhaupt bestraft werden soll. Und im Ministerrat sitzen potenzielle Sünder über aktuelle Sünder zu Gericht. Deshalb werden keine Strafen ausgesprochen. So lässt sich über den Stabilitätspakt keine Haushaltsdisziplin erzwingen.

Es heißt, in den vergangenen Jahren hat vor allem Deutschland vom Euro profitiert. Müssen wir deshalb besonders viel zahlen?

Das stimmt nicht. Deutschland hat nicht am meisten profitiert. Das ist eine von den unsäglichen propagandistischen Falschaussagen der Politik. Damit soll begründet werden, warum wir entsprechend zahlen sollen. Stark profitiert haben die kleinen Schwachwährungsländer, die durch den Euro stark gesunkene Zinsen hatten. Bei Deutschland wird immer auf den Export verwiesen. Doch der Anteil unseres Außenhandels mit Nicht-Euro-Ländern ist in den letzten zehn Jahren stärker gestiegen als mit Euro-Ländern. Das heißt: Der Euro ist gar nicht entscheidend für unseren Außenhandel, sondern unsere guten Produkte, die Qualität und der technologische Fortschritt.

Der Euro-Rettungsschirm soll erweitert werden. Rechnen Sie damit, dass trotzdem Anleihen der Wackelkandidaten teilweise ausfallen werden oder ein Euro-Land pleitegeht?

Ich halte die Ausweitung des Rettungsschirms, selbst schon die Ankündigung, für kontraproduktiv. Werden mehr Mittel bereitgestellt, kommen auch mehr Länder und beanspruchen Hilfe. Schon die Ankündigung einer solchen Ausweitung wird dazu führen, dass die Länder sich keine große Mühe mehr geben werden, ihren Haushalt zu sanieren. Von Deutschland fordert man Solidarität ein. Aber unsolidarisch ist doch nicht derjenige, der nicht alles zahlen will, sondern derjenige, der sich darauf verlässt, dass die anderen ihn schon retten werden. Ich glaube nicht, dass man ein Euro-Land pleitegehen lässt. Ich halte das aber nicht für den richtigen Weg.

Würde die Pleite eines Euro-Landes nicht zu großen Turbulenzen führen?

Es gäbe Turbulenzen, aber da müsste man durch. Ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende. Im Moment ist doch die Ansicht verbreitet: Deutschland geht's prima, die können alle retten. Aber das kann Deutschland auf Dauer nicht.

Die Südländer fahren einen harten Sparkurs, der auch zu sozialen Spannungen führt. Was passiert, wenn sie den harten Kurs nicht durchhalten?

Spätestens dann sollte klarwerden, dass man falsche Anreize gesetzt hat, wenn die eigenen Bürger nicht einsehen wollen, dass sie nicht auf Kosten der anderen Länder leben können. Es ist keine Naturkatastrophe über Portugal oder Griechenland hereingebrochen. Da würde man natürlich sofort helfen, aber doch nicht bei selbst verschuldeten Problemen. Natürlich ist es für die Politiker sehr schwer zu sagen: Steuern müssen erhöht werden, Löhne und Renten müssen gekürzt werden, es muss länger gearbeitet werden. Die Alternative wäre, dass die Länder aus dem Euro aussteigen. Dann würde deren Währung abwerten, und sie würden dadurch wieder wettbewerbsfähig werden, zunächst begleitet allerdings von Turbulenzen an den Finanzmärkten.

In Deutschland boomt die Wirtschaft, Portugal steuert auf eine Rezession zu. Kann es für einen so unterschiedlichen Wirtschaftsraum wie der Euro-Zone eine für alle passende Geldpolitik geben?

Nein, das ist genau das Problem, das wir als Euro-Kritiker von Anfang an gesehen haben. Man hat nur versucht, unter einem einheitlichen monetären Mantel die Unterschiede zu verstecken. Stattdessen sind aber die Unterschiede durch die gemeinsame Geldpolitik immer größer geworden. Das hat man lange Zeit nicht wahrhaben wollen.

In den USA wird eine Geldpolitik für 50 Länder gemacht, die ebenfalls wirtschaftlich ganz unterschiedlich aufgestellt sind. Was klappt denn in den Vereinigten Staaten besser?

Die USA haben einen Nationalstaat, dem sich alle zugehörig fühlen. Trotzdem kann dort ein einzelner Bundesstaat pleitegehen. Es springt dann keiner ein und hilft.

Warum haben sich die Finanzmärkte auf Euro-Länder eingeschossen? Die USA sind höher verschuldet als Portugal oder Griechenland.

Es stimmt, die Auslandsverschuldung der USA ist sehr groß. Aber sie sind nach wie vor eine sehr große, wirtschaftlich und politisch mächtige Volkswirtschaft mit einem riesigen Vertrauensbonus. Und die USA haben auch flexiblere Strukturen an den Arbeitsmärkten, so dass sie, wenn sie Probleme haben, rascher darauf reagieren. Vielleicht testen die Finanzmärkte zurzeit aber auch einfach eine Währungsunion, die ihre Versprechungen, solide zu wirtschaften und den Stabilitäts- und Wachstumspakt einzuhalten, nicht eingehalten hat.

Was halten Sie von der Idee, Euro-Bonds - also europäische Anleihen - herauszugeben, für die solide wie unsolide Länder gemeinsam haften würden?

Das ist keine gute Idee. Euro-Bonds würden nur dazu führen, dass die bisher stabilen Länder höhere Zinsen zahlen müssen, quasi bestraft werden, und die instabileren Länder können sich wieder zu günstigeren Zinsen finanzieren. Da werden absolut die falschen Anreize gesetzt. Das wird kein Vertrauen schaffen.

Was passiert, wenn sich die Schuldenkrise in einem großen Land wie Spanien oder Italien zuspitzt?

Die Schuldenkrise und der Euro sind zwei getrennte Sachen, die immer vermischt werden. Eine Schuldenkrise ist primär Problem des jeweiligen Landes und nicht des Euro. Die Verbindung ist entstanden, weil die Politiker die Schuldenkrise von Griechenland oder Irland immer gleich mit dem Euro verknüpft haben und Unterstützung eingefordert haben, da sonst der Euro schwach würde. Zudem: Spanien und Italien sind objektiv wirtschaftlich hinreichend gesund. Beides sind keine Fälle für eine Pleite - solange man nicht in Panik verfällt.

Bundeskanzlerin Merkel fordert eine Beteiligung der Gläubiger an der Rettung der Schuldenländer. Das träfe über Lebensversicherungen und Investmentfonds auch die deutschen Sparer, deren Altersrücklagen weniger Rendite bringen. Rechnen Sie damit?

Ja, das wird kommen. Die Beteiligung der Gläubiger ist sinnvoller als der Rettungsschirm. Wenn der Rettungsschirm in Anspruch genommen wird, zahlt das der deutsche Steuerzahler. Wenn Gläubiger, also Banken und andere Institutionen, beteiligt werden, dann trifft das eventuell den Sparer. Doch zunächst müssen das die Banken selbst tragen, und nur wenn es ganz dramatisch wird, könnte der Staat den einheimischen großen Banken helfen oder Einbußen der Kleinsparer ausgleichen. Das ist etwas anderes, als wenn der deutsche Steuerzahler für griechische oder irische Schulden aufkommt.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Euro die nächsten zehn Jahre überleben wird?

Relativ groß, unter Umständen aber nicht mit allen derzeitigen Mitgliedsländern. Aber selbst wenn der Euro nicht überlebt, wäre das kein Drama. Wir haben den gemeinsamen Binnenmarkt, der auch ohne Euro sehr gut funktioniert. Schließlich gibt es nach wie vor EU-Länder, die keinen Euro haben und genauso gut integriert sind. Da sollte man kein Horrorszenario entwickeln.