Ephraim Jessener (im Vordergrund) ist 90 Jahre alt. Er ist der einzige in Pforzheim wohnende Jude, der den Holocaust überlebte. Foto: Schwarzwälder-Bote

Gedenken an Pogromnacht 1938 / Holocaust-Überlebender legt Kranz nieder / Auch Pforzheims Synagoge brannte

Pforzheim. Der Historiker Uri Kaufmann und Oberbürgermeister Gert Hager haben an die brennenden Synagogen in der Pogromnacht vor 72 Jahren erinnert und aufgerufen, die Lehren aus den Geschehnissen zu ziehen.

Es ist nur wenige Tage her, da versammelte man sich am Güterbahnhof, um der Deportation der Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland ins französische Gurs im Jahr 1940 zu gedenken. Darunter waren 196 jüdische Mitbürger aus Pforzheim.

Spätestens in der Nacht auf den 10. November 1938, als in Deutschland die Synagogen brannten, so auch in Pforzheim an der Zerrennerstraße, "musste es klar sein, wohin der Weg führte", so Oberbürgermeister Gert Hager an historischer Stelle, "nämlich in den Abgrund."

Erstmals fand die Gedenkstunde im Beisein Hunderter Schüler nicht auf dem "Platz der Synagoge" an der belebten Straßenkreuzung statt, sondern im Atrium des Volksbankhauses, was der akustischen Wahrnehmung von Reden, Gebet und Gesang im Gegensatz zu den Vorjahren deutlich zuträglich war. Lediglich die Kranzniederlegung am Ende des Gedenkens fand im Freien statt.

Von jüdischer Seite war die symbolische Geste Ephraim Jessener vorbehalten. Der 90-Jährige ist der einzige in Pforzheim wohnende Jude, der den Holocaust überlebte.

Der Schweizer Historiker Uri Kaufmann erinnerte in seiner Gedenkansprache an die einstmals fünftgrößte jüdische Gemeinde in Baden. 1925 zählte sie 886 Mitglieder. Die Mehrzahl versammelte sich in der 1892 geweihten Synagoge an der Zerrennerstraße.

In der Nacht auf den 10. November 1938 wurde diese weitgehend zerstört. Die jüdische Gemeinde wurde gezwungen, die Trümmer auf eigene Kosten völlig einzuebnen. Nachdem Hitler 1933 an die Macht gekommen war, flohen nach und nach rund 560 Pforzheimer Juden. Wer blieb, wurde deportiert, erst nach Gurs, und wer dort nicht starb, in die Vernichtungslager in Osteuropa.

Beispielhaft schilderte Kaufmann das Schicksal der Familie Emsheimer. Womit habe man das verdient?, schrieb aus Gurs Oskar Emsheimer an seinen 1938 in die Schweiz emigrierten Sohn Arthur. Der 1900 geborene Jurist war bis 1933 Amtsrichter in Lörrach gewesen. Ein "gewaltiges Sterben" herrsche im Lager. Entkräftet starb der Vater im September 1941; Mutter Alice wurde 1944 nach Auschwitz deportiert. Arthur Emsheimer erhielt 1980 in Pforzheim das Große Bundesverdienstkreuz.

Nach dem Holocaust kehrte nur langsam jüdisches Leben nach Deutschland zurück. In Karlsruhe wurde der Oberrat der Israeliten Badens ins Leben gerufen, in Freiburg die Jüdische Landesgemeinde Südbaden.

In Brötzingen existierte in der Privatwohnung von Moritz Reis bis 1961 die Israelitische Kultusgemeinde. 2006 schließlich bezogen die Pforzheimer Juden – mittlerweile zählt die Gemeinschaft in Baden rund 5000 Mitglieder – ihre neue Synagoge an der Simmlerstraße.