Keine Rockband begleitet Gabriel auf dieser Tournee, sondern das New Blood Orchestra – „no Drums, no Guitar“ –, benannt nach Gabriels jüngstem Album. Foto: dpa-Zentralbild

Ohne Gitarren und Schlagzeug: Peter Gabriel zeigt sich in Schleyerhalle wie neu durchblutet.

Trompeten mischen sich ein, plötzlich verwandelt sich „Solsbury Hill“ in das Finale von Beethovens 9. Sinfonie. 7500 Zuhörer applaudieren den triumphalen Klängen in der Schleyerhalle beim Konzert Peter Gabriels.

Keine Rockband begleitet Gabriel auf dieser Tournee, sondern das New Blood Orchestra – „no Drums, no Guitar“ –, benannt nach Gabriels jüngstem Album. Auf ihm präsentiert der stets zu Experimenten gestimmte Musiker eigene Stücke in neuen, orchestralen Arrangements. Konzertreise mit Orchester – welchem Rockmusiker ist ein solches Unternehmen jemals geglückt? Peter Gabriel allerdings zeigte sich nicht etwa museal verkitscht, sondern tatsächlich neu durchblutet.

Spätestens von seinem dritten Soloalbum an spielten in der Musik des ehemaligen Genesis-Frontmanns Klangflächen und Texturen eine immer wichtigere Rolle. Bei vielen Stücken erscheint die Orchestrierung nun als konsequent nächster Schritt – bei „Intruder“, das in der neuen Fassung zur noch nervöser zuckenden Inszenierung eines Film noir gerät, oder bei „San Jacinto“, das überwältigender denn je von einem indianischen Initiationsritus erzählt: Finster irisierende Klänge verwandeln sich in eine Hymne der Transzendenz. „I hold the Line“, singt Gabriel und lenkt mit einem Spiegel einen Strahl ins Publikum, so wie er es schon vor 30 Jahren tat, als er das Stück erstmals live aufführte.

Das Exzentrische hat der 62-Jährige abgelegt

Gabriels Shows sind längst zu sorgfältig durchinszenierten Happenings geworden. Über, neben und hinter der Bühne sind in der Schleyerhalle Leinwände positioniert, auf denen Filme, Farben und das Bühnengeschehen pulsieren – Bilder, die dem Konzert eine visuelle Tiefe verleihen, die in jedem Augenblick mit der Musik korrespondiert. Und dann ist da natürlich Gabriel selbst: Das Exzentrische hat der 62-Jährige abgelegt – heute wirkt er geradezu diskret, besitzt aber noch immer eine unglaubliche Präsenz.

Zu Beginn des Abends tritt Peter Gabriel alleine vor sein Publikum, um Rosie Doonan anzukündigen, die den Abend mit zwei eigenen wunderbaren Songs eröffnet. Später wird sie mit Gabriels Tochter Melanie die Background-Vocals singen, mit ihm selbst singt sie in der Zugabe „Don’t Give Up“ und nimmt die Rolle ein, die 1986 Kate Bush innehatte. Zuvor hört man 15 Stücke, die Peter Gabriel fraglos mit Blick auf ihre orchestralen Qualitäten ausgewählt hat – auf „Slegdehammer“ wartet man vergeblich, jedoch vermisst man diesen Hit auch nicht. Zu viel anderes ist geboten, in neuem, faszinierendem Gewand: David Bowies „Heroes“, minimalistisch grell mit Streichern hinterlegt, Arcade Fires „My Body Is A Cage“, dunkel, majestätisch, „Listening Wind“ von den Talking Heads, schwebend und zurückhaltend.

Sinistre Stimmungen gehören seit je zu Peter Gabriels Musik, Spannungen, die ihrer Auflösung entgegendrängen und die – wie bei „Intruder“ – visuelles Stakkato begleitet: Röntgenaufnahmen, Überwachungskameras, Bildfetzen, der Blick geht selbst in mikroskopische Bereiche. Bei „Upside Down“ verkehrt sich die Welt, blauer Himmel, Wolkenfetzen. Und ganz zuletzt löst sich diese Reise durch oft dunkle Klanglandschaften auf in die betörende Schönheit von „In Your Eyes“, einem der wenigen Gabriel-Songs, die von der Liebe handeln. Am Ende ist der Applaus groß – er gilt allen Beteiligten, aber vor allem Gabriel selbst und der Souveränität, mit der er sich auch heute noch auf neue Wege begibt.